Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.von den sechzig Städten des Landes, war am Ausgang des 16. Jahrhunderts von den sechzig Städten des Landes, war am Ausgang des 16. Jahrhunderts <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0176" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/191937"/> <p xml:id="ID_483" prev="#ID_482" next="#ID_484"> von den sechzig Städten des Landes, war am Ausgang des 16. Jahrhunderts<lb/> kaum ein Dutzend übrig geblieben, das in der Folge bis aus neun herabsanf.<lb/> Gegen die Uebermacht dieses Feindes wäre kein Widerstand möglich gewesen,<lb/> auch wenn dieser nicht schon von vornherein durch die Ueppigkeit und Entsitt¬<lb/> lichung der zur Vertheidigung Berufenen gebrochen worden wäre. Gleichzeitig<lb/> mit den Russen drangen schwedische und Polnische Heere über die Grenzen des<lb/> alten Ordenslandes, es fragte sich nur noch, welchem der Eindringlinge man<lb/> sich unterwerfen sollte. Vergebens wandten die schwerbcdrohtcn Landesherren<lb/> sich mit verzweifelten Bitten an das Reich, Kaiser Ferdinand I., zugleich von<lb/> widerspenstigen Reichsfürsten und eroberungslustigen Türken bedrängt, war taub<lb/> für den Hilferuf der Livländer; das Schreiben, mit welchem er auf Andringen<lb/> des Reichstags von Augsburg einen „Hatschier" an den Zaaren absandte (1559)<lb/> blieb ebenso wirkungslos, wie eine später angeordnete nicht einmal in Angriff<lb/> genommene „Neichsexecution" — es schien, man wollte den Livländern den Ab¬<lb/> schied vom Reiche nicht all zu schwer machen. In dieser Noth und von aller<lb/> Welt verlassen wandten der Ordensmeister Gotthard Kettler und der Erzbischof<lb/> von Riga ihre Blicke auf den König Sigismund August von Polen; sie ver¬<lb/> pfändeten ihm gegen die Summe von 160,000 Gulden einen bedeutenden Theil<lb/> ihrer Territorien; der Herzog Magnus von Holstein, der sich in der Folge als<lb/> livländischer Schattenkönig unter russischen Schutz stellte, kaufte gleichzeitig die<lb/> Stifte Oesel, Kurland und Neval. Da er aber außer Stande war, dem durch<lb/> die Russen hartbedrängten Estland irgend welche Hilfe zu gewähren, unterwarf<lb/> die Stadt Reval sich am 4. Juli 1561 dem König Erich von Schweden; ihrem<lb/> Beispiele folgten wenig später die vereinigten cstländischen Ritterschaften von<lb/> Harnen, Wierland, Jerwen und Allentaken. Diese Unterwerfung Estlands<lb/> unter ein fremdes Scepter war das Signal zu einer vollständigen Zerstückelung<lb/> des livländischen Staatenbundes. König Sigismund August von Polen unter¬<lb/> warf sich im November 1561 das südliche Livland, (Dorpat blieb bis 1582 in<lb/> russischen Händen) Kurland wurde unter Kettler ein polnisches Lehnsherzogthum,<lb/> nur die Stadt Riga wahrte noch zwanzig Jahre lang ihre Selbständigkeit, bis<lb/> auch sie sich im Januar 1582 der Krone Polen unterwerfen mußte. Ein feier¬<lb/> licher Staatsvertrag, jenes ?rivi1vL^ni LiMmunäi ^ugusti, clawin keria<lb/> sextg, xost echon Ltae. virtliarinao, das noch heute die wichtigste Rechtsgrund¬<lb/> lage des öffentlichen Zustandes in Livland bildet, sollte den lutherischen Glau¬<lb/> ben, die deutsche Sprache, das ererbte Recht und die Selbstverwaltung für alle<lb/> Zeit sicher stellen und vor Gefährdung schützen, nebenbei freilich auch die feu¬<lb/> dale Herrlichkeit des Adels und dessen unbeschränktes Dispositionsrecht über<lb/> die Bauern aufrecht erhalten. Mit einer Treue, welche ihnen das Stammland<lb/> niemals gedankt hat, aus deren schwerfälligen Ausdrücken der Patriot aber noch<lb/> heute den tiefen Schmerz der preisgegebenen Colonie nicht ohne Bewegung</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0176]
von den sechzig Städten des Landes, war am Ausgang des 16. Jahrhunderts
kaum ein Dutzend übrig geblieben, das in der Folge bis aus neun herabsanf.
Gegen die Uebermacht dieses Feindes wäre kein Widerstand möglich gewesen,
auch wenn dieser nicht schon von vornherein durch die Ueppigkeit und Entsitt¬
lichung der zur Vertheidigung Berufenen gebrochen worden wäre. Gleichzeitig
mit den Russen drangen schwedische und Polnische Heere über die Grenzen des
alten Ordenslandes, es fragte sich nur noch, welchem der Eindringlinge man
sich unterwerfen sollte. Vergebens wandten die schwerbcdrohtcn Landesherren
sich mit verzweifelten Bitten an das Reich, Kaiser Ferdinand I., zugleich von
widerspenstigen Reichsfürsten und eroberungslustigen Türken bedrängt, war taub
für den Hilferuf der Livländer; das Schreiben, mit welchem er auf Andringen
des Reichstags von Augsburg einen „Hatschier" an den Zaaren absandte (1559)
blieb ebenso wirkungslos, wie eine später angeordnete nicht einmal in Angriff
genommene „Neichsexecution" — es schien, man wollte den Livländern den Ab¬
schied vom Reiche nicht all zu schwer machen. In dieser Noth und von aller
Welt verlassen wandten der Ordensmeister Gotthard Kettler und der Erzbischof
von Riga ihre Blicke auf den König Sigismund August von Polen; sie ver¬
pfändeten ihm gegen die Summe von 160,000 Gulden einen bedeutenden Theil
ihrer Territorien; der Herzog Magnus von Holstein, der sich in der Folge als
livländischer Schattenkönig unter russischen Schutz stellte, kaufte gleichzeitig die
Stifte Oesel, Kurland und Neval. Da er aber außer Stande war, dem durch
die Russen hartbedrängten Estland irgend welche Hilfe zu gewähren, unterwarf
die Stadt Reval sich am 4. Juli 1561 dem König Erich von Schweden; ihrem
Beispiele folgten wenig später die vereinigten cstländischen Ritterschaften von
Harnen, Wierland, Jerwen und Allentaken. Diese Unterwerfung Estlands
unter ein fremdes Scepter war das Signal zu einer vollständigen Zerstückelung
des livländischen Staatenbundes. König Sigismund August von Polen unter¬
warf sich im November 1561 das südliche Livland, (Dorpat blieb bis 1582 in
russischen Händen) Kurland wurde unter Kettler ein polnisches Lehnsherzogthum,
nur die Stadt Riga wahrte noch zwanzig Jahre lang ihre Selbständigkeit, bis
auch sie sich im Januar 1582 der Krone Polen unterwerfen mußte. Ein feier¬
licher Staatsvertrag, jenes ?rivi1vL^ni LiMmunäi ^ugusti, clawin keria
sextg, xost echon Ltae. virtliarinao, das noch heute die wichtigste Rechtsgrund¬
lage des öffentlichen Zustandes in Livland bildet, sollte den lutherischen Glau¬
ben, die deutsche Sprache, das ererbte Recht und die Selbstverwaltung für alle
Zeit sicher stellen und vor Gefährdung schützen, nebenbei freilich auch die feu¬
dale Herrlichkeit des Adels und dessen unbeschränktes Dispositionsrecht über
die Bauern aufrecht erhalten. Mit einer Treue, welche ihnen das Stammland
niemals gedankt hat, aus deren schwerfälligen Ausdrücken der Patriot aber noch
heute den tiefen Schmerz der preisgegebenen Colonie nicht ohne Bewegung
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |