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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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ändern, künstlich zu organisiren, wo eine natürliche Organisation bereits vor.
Handen ist, welche aber durch unnatürliches Eingreifen, durch absolutistische
Maßregeln gestört wurde. Gewissermaßen verlangte die französische Februar-
Revolution die Garantie der Arbeit. Der Staat kann aber nur für das Er¬
arbeitete einen bestimmten Schutz leisten, nie aber die Pflicht übernehmen, jeder
Arbeitskraft in der Gesellschaft den entsprechenden Antheil zu verschaffen. Eine
solche der Befugniß und dem Zwecke des Staates widersprechende Verpflichtung
würde die größten Störungen des persönlichen und staatlichen Rechtes nach
sich ziehen, welches das ganze Leben des Menschen, seine geistigen und mate¬
riellen, socialen und individuellen Beziehungen zu seines Gleichen umfaßt, und
deshalb nicht absoluter, sondern bedingter Natur ist. Das materielle und
das geistige Gebiet der Arbeit ergänzen sich gegenseitig, keines kann ohne
das andere bestehen, sie bilden, "ökonomisch betrachtet" die Einheit der Arbeit,
und das Recht des einen ist deshalb auch das Recht des andern. Wenn also
eine Garantie der Arbeit geleistet werden könnte, so müßte sich dieselbe aus
die geistige wie auf die materielle Arbeit erstrecken. Es ist bis jetzt aber z. B.
noch keinem Naturforscher eingefallen, für seine Fähigkeit, gute naturwissenschaft¬
liche Bücher zu schreiben, vom Staate eine Garantie in Anspruch zu nehmen.
Er schreibt sie und das Geschriebene wird vom Staate beschützt, nicht aber das
Talent zum Schreiben. Ebenso wenig hat die ackerbautreibende Classe Garantie
für ihre Arbeit auf dem Felde und in der Tenne gefordert, denn sie weih, daß
diese Arbeit abhängig ist vom Regen und Sonnenschein, vom Wind und
Wetter, über die der Staat das Recht der freien Verfügung zur Zeit noch nicht
besitzt. Nicht also die Arbeit an sich oder die subjective Anlage und Fähigkeit
zur Arbeit, sondern nur die Arbeit als ökonomisches Object von reellem Werth
kann ein Recht auf Schutz und Garantie beanspruchen.

Wenn in der französischen Revolutionszeit und auch neuerlich wieder durch
den Kaiser Napoleon vorgeschrieben wird, daß die Bäcker das Brod nicht
über einen bestimmten Preis hinaus verkaufen dürfen, was ist das anders als
eine Bestimmung: daß der Lohn der Bäcker zu Gunsten der Brodverbraucher ernie¬
drigt werden soll, während die Erfahrung hundertfältig gelehrt hat, daß nur der
freie Verkehr, also das ungehinderte Schwanken durch Nachfrage und Angebot
das allein Nichtige ist.

Wie fast immer Erfahrung und Geschichte geräusch- und oft Nachdrucks-
voller, aber auch weit empfindlicher als alle Theorie die Irrthümer der Men¬
schen an den Pranger stellt, so hat sie auch die unheilvollen Phrasen vom Ga¬
rantierecht in jenem Sinne vor den Blicken der Gegenwart entlarvt. Wie
kläglich ist die practische Consequenz der Garantie der Arbeit, die hochgeprie¬
senen Nationalwerkstätten, dieses kostspielige Experiment unseres Jahrhunderts
gescheitert! Und ist es Zufall oder hat es nicht vielmehr Sinn genug, daß ge-


ändern, künstlich zu organisiren, wo eine natürliche Organisation bereits vor.
Handen ist, welche aber durch unnatürliches Eingreifen, durch absolutistische
Maßregeln gestört wurde. Gewissermaßen verlangte die französische Februar-
Revolution die Garantie der Arbeit. Der Staat kann aber nur für das Er¬
arbeitete einen bestimmten Schutz leisten, nie aber die Pflicht übernehmen, jeder
Arbeitskraft in der Gesellschaft den entsprechenden Antheil zu verschaffen. Eine
solche der Befugniß und dem Zwecke des Staates widersprechende Verpflichtung
würde die größten Störungen des persönlichen und staatlichen Rechtes nach
sich ziehen, welches das ganze Leben des Menschen, seine geistigen und mate¬
riellen, socialen und individuellen Beziehungen zu seines Gleichen umfaßt, und
deshalb nicht absoluter, sondern bedingter Natur ist. Das materielle und
das geistige Gebiet der Arbeit ergänzen sich gegenseitig, keines kann ohne
das andere bestehen, sie bilden, „ökonomisch betrachtet" die Einheit der Arbeit,
und das Recht des einen ist deshalb auch das Recht des andern. Wenn also
eine Garantie der Arbeit geleistet werden könnte, so müßte sich dieselbe aus
die geistige wie auf die materielle Arbeit erstrecken. Es ist bis jetzt aber z. B.
noch keinem Naturforscher eingefallen, für seine Fähigkeit, gute naturwissenschaft¬
liche Bücher zu schreiben, vom Staate eine Garantie in Anspruch zu nehmen.
Er schreibt sie und das Geschriebene wird vom Staate beschützt, nicht aber das
Talent zum Schreiben. Ebenso wenig hat die ackerbautreibende Classe Garantie
für ihre Arbeit auf dem Felde und in der Tenne gefordert, denn sie weih, daß
diese Arbeit abhängig ist vom Regen und Sonnenschein, vom Wind und
Wetter, über die der Staat das Recht der freien Verfügung zur Zeit noch nicht
besitzt. Nicht also die Arbeit an sich oder die subjective Anlage und Fähigkeit
zur Arbeit, sondern nur die Arbeit als ökonomisches Object von reellem Werth
kann ein Recht auf Schutz und Garantie beanspruchen.

Wenn in der französischen Revolutionszeit und auch neuerlich wieder durch
den Kaiser Napoleon vorgeschrieben wird, daß die Bäcker das Brod nicht
über einen bestimmten Preis hinaus verkaufen dürfen, was ist das anders als
eine Bestimmung: daß der Lohn der Bäcker zu Gunsten der Brodverbraucher ernie¬
drigt werden soll, während die Erfahrung hundertfältig gelehrt hat, daß nur der
freie Verkehr, also das ungehinderte Schwanken durch Nachfrage und Angebot
das allein Nichtige ist.

Wie fast immer Erfahrung und Geschichte geräusch- und oft Nachdrucks-
voller, aber auch weit empfindlicher als alle Theorie die Irrthümer der Men¬
schen an den Pranger stellt, so hat sie auch die unheilvollen Phrasen vom Ga¬
rantierecht in jenem Sinne vor den Blicken der Gegenwart entlarvt. Wie
kläglich ist die practische Consequenz der Garantie der Arbeit, die hochgeprie¬
senen Nationalwerkstätten, dieses kostspielige Experiment unseres Jahrhunderts
gescheitert! Und ist es Zufall oder hat es nicht vielmehr Sinn genug, daß ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/145>, abgerufen am 27.09.2024.