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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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tiefgehend. nicht sehr lebhaft erweckt ist. Dies soll nun gar nicht zum Lob,
unseres Volkes gesagt sein, aber es ist ein Zeugniß, daß die große Mehrzahl
der unwiderruflichen Entwicklung der deutschen Dinge mit Gleichmuth und Er-
gebung zusieht. Sie kümmert sich um die Zukunft eben deshalb wenig, weil
sie über das schließlich" Resultat nicht mehr im Zweifel ist. Sie wirkt nicht
dazu mit, aber sie sperrt sich auch nicht dagegen; sie hat nicht eben Sympathien
mit dem Gang der Dinge, der das kleine Gemeinwesen unaufhaltsam an das
große Ganze bindet, allein sie hat auch keine Lust zum Widerstand, eben weil
sie dessen Vergeblichkeit fühlt, ja sie ist gegen die Versuche des Widerstandes,
weil dadurch ohne irgend eine andere Wirkung nur der peinliche Zustand der
Ungewißheit erhalten wird. Schon vor einem Jahr, als die Agitation der
deutschen Partei begann, war der Einwand der trägen Menge, den man am
häufigsten hörte, der: wozu das unnöthige Agitiren, da jetzt doch alles ent.
schieden ist und das weitere vollends von selbst kommt?

Nimmt man an, daß die beiden organisirten Parteien an Kräften einan¬
der ziemlich gleich sind, -- und die Volkspartei kann sich jedenfalls über diese
Schätzung nicht beklagen, -- so liegt die Entscheidung überhaupt nicht bei die¬
sen Parteien, sondern bei der schwer beweglichen Masse, die dazwischen liegt.
Diese aber wird so lange durch Sympathien und Antipathien bestimmt, als
nicht materielle Interessen mit ins Spiel kommen, die schließlich doch stärker
sind als jene. Seitdem nun die Frage des Zollvereins ernstlich in den Vor¬
dergrund gerückt ist, sind die Aussichten der deutschen Partei entschieden im
Steigen. Die politischen Gründe derselben erhalten ihren wirksamsten Bundes¬
genossen an den materiellen Gründen, für die auch die große Menge empfäng¬
lich ist. Die öffentliche Meinung steht so ungefähr auf derselben Linie wie
das Ministerium. Wie dieses sich ernstlich um die Annahme der Verträge be-
müht, aber für jetzt jede weitergehende Einigung, zumal den Eintritt in den
norddeutschen Bund zurückweist, so ist die große Mehrzahl zwar noch keines¬
wegs reif für den freiwilligen Eintritt in den Bund, -- man wird erst fühlen
müssen, was der Ausschluß vom deutschen Reich bedeutet, --aber die Annahme
jener Verträge, durch welche die jetzt herrschende Ungewißheit beseitigt, ein
näheres Verhältniß zum Nordbund hergestellt wird und doch die Souveränität
des eigenen Staats erhalten bleibt, entspricht entschieden der Durchschniltsmei-
nung des Landes.

Und damit ist auch die Annahme jener Verträge von feiten der Kammer
wahrscheinlich, deren gegenwärtige Zusammensetzung ziemlich genau die Durch,
schnittsmeinung des Landes repräsentirt. Auch in der Kammer gehört nur die
Minderzahl den beiden organisirten Parteien an. die Mehrheit fluctuirt unent¬
schieden zwischen beiden, läßt sich von der allgemeinen Strömung tragen und


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tiefgehend. nicht sehr lebhaft erweckt ist. Dies soll nun gar nicht zum Lob,
unseres Volkes gesagt sein, aber es ist ein Zeugniß, daß die große Mehrzahl
der unwiderruflichen Entwicklung der deutschen Dinge mit Gleichmuth und Er-
gebung zusieht. Sie kümmert sich um die Zukunft eben deshalb wenig, weil
sie über das schließlich« Resultat nicht mehr im Zweifel ist. Sie wirkt nicht
dazu mit, aber sie sperrt sich auch nicht dagegen; sie hat nicht eben Sympathien
mit dem Gang der Dinge, der das kleine Gemeinwesen unaufhaltsam an das
große Ganze bindet, allein sie hat auch keine Lust zum Widerstand, eben weil
sie dessen Vergeblichkeit fühlt, ja sie ist gegen die Versuche des Widerstandes,
weil dadurch ohne irgend eine andere Wirkung nur der peinliche Zustand der
Ungewißheit erhalten wird. Schon vor einem Jahr, als die Agitation der
deutschen Partei begann, war der Einwand der trägen Menge, den man am
häufigsten hörte, der: wozu das unnöthige Agitiren, da jetzt doch alles ent.
schieden ist und das weitere vollends von selbst kommt?

Nimmt man an, daß die beiden organisirten Parteien an Kräften einan¬
der ziemlich gleich sind, — und die Volkspartei kann sich jedenfalls über diese
Schätzung nicht beklagen, — so liegt die Entscheidung überhaupt nicht bei die¬
sen Parteien, sondern bei der schwer beweglichen Masse, die dazwischen liegt.
Diese aber wird so lange durch Sympathien und Antipathien bestimmt, als
nicht materielle Interessen mit ins Spiel kommen, die schließlich doch stärker
sind als jene. Seitdem nun die Frage des Zollvereins ernstlich in den Vor¬
dergrund gerückt ist, sind die Aussichten der deutschen Partei entschieden im
Steigen. Die politischen Gründe derselben erhalten ihren wirksamsten Bundes¬
genossen an den materiellen Gründen, für die auch die große Menge empfäng¬
lich ist. Die öffentliche Meinung steht so ungefähr auf derselben Linie wie
das Ministerium. Wie dieses sich ernstlich um die Annahme der Verträge be-
müht, aber für jetzt jede weitergehende Einigung, zumal den Eintritt in den
norddeutschen Bund zurückweist, so ist die große Mehrzahl zwar noch keines¬
wegs reif für den freiwilligen Eintritt in den Bund, — man wird erst fühlen
müssen, was der Ausschluß vom deutschen Reich bedeutet, —aber die Annahme
jener Verträge, durch welche die jetzt herrschende Ungewißheit beseitigt, ein
näheres Verhältniß zum Nordbund hergestellt wird und doch die Souveränität
des eigenen Staats erhalten bleibt, entspricht entschieden der Durchschniltsmei-
nung des Landes.

Und damit ist auch die Annahme jener Verträge von feiten der Kammer
wahrscheinlich, deren gegenwärtige Zusammensetzung ziemlich genau die Durch,
schnittsmeinung des Landes repräsentirt. Auch in der Kammer gehört nur die
Minderzahl den beiden organisirten Parteien an. die Mehrheit fluctuirt unent¬
schieden zwischen beiden, läßt sich von der allgemeinen Strömung tragen und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/117>, abgerufen am 20.10.2024.