Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

stand. Aber es war auch das Aeußerste, dessen seine Führer den gegebenen
Umständen nach fähig waren. Sie vermochten später nicht einmal alle, diesen
Standpunkt unerschüttert innezuhalten.

Nun kam der Krieg. Wider alle Erwartung zeigte sich die entschiedenste
Ueberlegenheit auf Preußens Seite, war der Sieg ebenso rasch errungen wie
definitiv und folgenreich. Die Politik des Grafen Bismarck, eben noch Gegen¬
stand des tiefsten und allgemeinsten Mißtrauens als eine abenteuerlich-unheil¬
volle, offenbarte plötzlich ihre zutreffende Berechnung, ausharrende Konsequenz
und kühne Energie. Ja sie streifte in den Augen der bewundernden Nation
nicht blos den Charakter des Tollverwegcnen ab, sondern nahm gleichzeitig ein
edles nationales Gepräge an. Ein Umschwung der Ansichten und Gefühle
vollzog sich, wie er vielleicht in unsrer Geschichte so jäh und vollständig nie
vorgekommen ist.

Die Männer des Nationalvereins blieben von dieser allgemeinen Umstim-
mung der Geister natürlich nicht unberührt. Allein vermöge ihrer Vergangen¬
heit und öffentlichen Stellung vermochten sie sich ihr auch nicht mit der Unbe¬
fangenheit zu überlassen, wie Hinz oder Kunz aus dem Volke. Sie mußten
die keimende neue Haltung mit der unmöglich gewordenen alten in einen ge¬
wissen Einklang zu bringen suchen, und darüber konnte im Fluge der sich über¬
stürzenden Ereignisse leicht die Zeit vergehen, in welcher ein erfolgreiches Ein¬
greifen, eine Wiedergewinnung der frühern moralischen Macht für den Natio¬
nalverein noch möglich erschien. In der That verging diese Zeit ungenutzt.
Das ergab sich schon, als einen Monat nach der Schlacht bei Königgrätz die
Führer des Nationalvereins gleichzeitig mit denen des volkswirtschaftlichen
Congresses in Braunschweig tagten. Die letzteren, durch keine politischen An-
tecedentien gehindert, freudig auf die veränderte Gestaltung der Dinge einzu¬
gehen, thaten es mit dem guten Erfolg, daß ihre Vorschläge für die neue
Bundesverfassung größtenteils schon von der preußischen Regierung adoptirt
wurden; die ersteren brachten nichts zu Stande als eine Erklärung, aus wel¬
cher hervorging, daß der unter ihnen herrschende Gemüthszustand der zum Han¬
deln und Schaffen ungeeignete der Resignation war.

Es rächte sich jetzt am Nationalverein, daß die ihm angehangen preußi¬
schen Politiker von Einfluß fast ausschließlich Demokraten von 1848 oder Ihres¬
gleichen waren. Dadurch wurde er mit Unfruchtbarkeit geschlagen, sobald die
außerordentliche Diversion, welche im Sommer 1866 den Verfassungskamps
abschnitt, die Hoffnungen der Schulze, Löwe, Duncker, v. Hoverbeck u. f. f. auf
schließliche Ueberwindung ihrer inneren Gegner zerstörte und sie, alt wie sie
als Politiker geworden waren, in stumpfe Negation zurückwarf. Zwar gehör¬
ten dem Ausschuß des Nationalvereins auch ein paar preußische Politiker jenes
andern Schlages an, die nachher die nationalliberale Partei begründen halfen:


stand. Aber es war auch das Aeußerste, dessen seine Führer den gegebenen
Umständen nach fähig waren. Sie vermochten später nicht einmal alle, diesen
Standpunkt unerschüttert innezuhalten.

Nun kam der Krieg. Wider alle Erwartung zeigte sich die entschiedenste
Ueberlegenheit auf Preußens Seite, war der Sieg ebenso rasch errungen wie
definitiv und folgenreich. Die Politik des Grafen Bismarck, eben noch Gegen¬
stand des tiefsten und allgemeinsten Mißtrauens als eine abenteuerlich-unheil¬
volle, offenbarte plötzlich ihre zutreffende Berechnung, ausharrende Konsequenz
und kühne Energie. Ja sie streifte in den Augen der bewundernden Nation
nicht blos den Charakter des Tollverwegcnen ab, sondern nahm gleichzeitig ein
edles nationales Gepräge an. Ein Umschwung der Ansichten und Gefühle
vollzog sich, wie er vielleicht in unsrer Geschichte so jäh und vollständig nie
vorgekommen ist.

Die Männer des Nationalvereins blieben von dieser allgemeinen Umstim-
mung der Geister natürlich nicht unberührt. Allein vermöge ihrer Vergangen¬
heit und öffentlichen Stellung vermochten sie sich ihr auch nicht mit der Unbe¬
fangenheit zu überlassen, wie Hinz oder Kunz aus dem Volke. Sie mußten
die keimende neue Haltung mit der unmöglich gewordenen alten in einen ge¬
wissen Einklang zu bringen suchen, und darüber konnte im Fluge der sich über¬
stürzenden Ereignisse leicht die Zeit vergehen, in welcher ein erfolgreiches Ein¬
greifen, eine Wiedergewinnung der frühern moralischen Macht für den Natio¬
nalverein noch möglich erschien. In der That verging diese Zeit ungenutzt.
Das ergab sich schon, als einen Monat nach der Schlacht bei Königgrätz die
Führer des Nationalvereins gleichzeitig mit denen des volkswirtschaftlichen
Congresses in Braunschweig tagten. Die letzteren, durch keine politischen An-
tecedentien gehindert, freudig auf die veränderte Gestaltung der Dinge einzu¬
gehen, thaten es mit dem guten Erfolg, daß ihre Vorschläge für die neue
Bundesverfassung größtenteils schon von der preußischen Regierung adoptirt
wurden; die ersteren brachten nichts zu Stande als eine Erklärung, aus wel¬
cher hervorging, daß der unter ihnen herrschende Gemüthszustand der zum Han¬
deln und Schaffen ungeeignete der Resignation war.

Es rächte sich jetzt am Nationalverein, daß die ihm angehangen preußi¬
schen Politiker von Einfluß fast ausschließlich Demokraten von 1848 oder Ihres¬
gleichen waren. Dadurch wurde er mit Unfruchtbarkeit geschlagen, sobald die
außerordentliche Diversion, welche im Sommer 1866 den Verfassungskamps
abschnitt, die Hoffnungen der Schulze, Löwe, Duncker, v. Hoverbeck u. f. f. auf
schließliche Ueberwindung ihrer inneren Gegner zerstörte und sie, alt wie sie
als Politiker geworden waren, in stumpfe Negation zurückwarf. Zwar gehör¬
ten dem Ausschuß des Nationalvereins auch ein paar preußische Politiker jenes
andern Schlages an, die nachher die nationalliberale Partei begründen halfen:


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0112" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/191873"/>
          <p xml:id="ID_265" prev="#ID_264"> stand. Aber es war auch das Aeußerste, dessen seine Führer den gegebenen<lb/>
Umständen nach fähig waren. Sie vermochten später nicht einmal alle, diesen<lb/>
Standpunkt unerschüttert innezuhalten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_266"> Nun kam der Krieg. Wider alle Erwartung zeigte sich die entschiedenste<lb/>
Ueberlegenheit auf Preußens Seite, war der Sieg ebenso rasch errungen wie<lb/>
definitiv und folgenreich. Die Politik des Grafen Bismarck, eben noch Gegen¬<lb/>
stand des tiefsten und allgemeinsten Mißtrauens als eine abenteuerlich-unheil¬<lb/>
volle, offenbarte plötzlich ihre zutreffende Berechnung, ausharrende Konsequenz<lb/>
und kühne Energie. Ja sie streifte in den Augen der bewundernden Nation<lb/>
nicht blos den Charakter des Tollverwegcnen ab, sondern nahm gleichzeitig ein<lb/>
edles nationales Gepräge an. Ein Umschwung der Ansichten und Gefühle<lb/>
vollzog sich, wie er vielleicht in unsrer Geschichte so jäh und vollständig nie<lb/>
vorgekommen ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_267"> Die Männer des Nationalvereins blieben von dieser allgemeinen Umstim-<lb/>
mung der Geister natürlich nicht unberührt. Allein vermöge ihrer Vergangen¬<lb/>
heit und öffentlichen Stellung vermochten sie sich ihr auch nicht mit der Unbe¬<lb/>
fangenheit zu überlassen, wie Hinz oder Kunz aus dem Volke. Sie mußten<lb/>
die keimende neue Haltung mit der unmöglich gewordenen alten in einen ge¬<lb/>
wissen Einklang zu bringen suchen, und darüber konnte im Fluge der sich über¬<lb/>
stürzenden Ereignisse leicht die Zeit vergehen, in welcher ein erfolgreiches Ein¬<lb/>
greifen, eine Wiedergewinnung der frühern moralischen Macht für den Natio¬<lb/>
nalverein noch möglich erschien. In der That verging diese Zeit ungenutzt.<lb/>
Das ergab sich schon, als einen Monat nach der Schlacht bei Königgrätz die<lb/>
Führer des Nationalvereins gleichzeitig mit denen des volkswirtschaftlichen<lb/>
Congresses in Braunschweig tagten. Die letzteren, durch keine politischen An-<lb/>
tecedentien gehindert, freudig auf die veränderte Gestaltung der Dinge einzu¬<lb/>
gehen, thaten es mit dem guten Erfolg, daß ihre Vorschläge für die neue<lb/>
Bundesverfassung größtenteils schon von der preußischen Regierung adoptirt<lb/>
wurden; die ersteren brachten nichts zu Stande als eine Erklärung, aus wel¬<lb/>
cher hervorging, daß der unter ihnen herrschende Gemüthszustand der zum Han¬<lb/>
deln und Schaffen ungeeignete der Resignation war.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_268" next="#ID_269"> Es rächte sich jetzt am Nationalverein, daß die ihm angehangen preußi¬<lb/>
schen Politiker von Einfluß fast ausschließlich Demokraten von 1848 oder Ihres¬<lb/>
gleichen waren. Dadurch wurde er mit Unfruchtbarkeit geschlagen, sobald die<lb/>
außerordentliche Diversion, welche im Sommer 1866 den Verfassungskamps<lb/>
abschnitt, die Hoffnungen der Schulze, Löwe, Duncker, v. Hoverbeck u. f. f. auf<lb/>
schließliche Ueberwindung ihrer inneren Gegner zerstörte und sie, alt wie sie<lb/>
als Politiker geworden waren, in stumpfe Negation zurückwarf. Zwar gehör¬<lb/>
ten dem Ausschuß des Nationalvereins auch ein paar preußische Politiker jenes<lb/>
andern Schlages an, die nachher die nationalliberale Partei begründen halfen:</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0112] stand. Aber es war auch das Aeußerste, dessen seine Führer den gegebenen Umständen nach fähig waren. Sie vermochten später nicht einmal alle, diesen Standpunkt unerschüttert innezuhalten. Nun kam der Krieg. Wider alle Erwartung zeigte sich die entschiedenste Ueberlegenheit auf Preußens Seite, war der Sieg ebenso rasch errungen wie definitiv und folgenreich. Die Politik des Grafen Bismarck, eben noch Gegen¬ stand des tiefsten und allgemeinsten Mißtrauens als eine abenteuerlich-unheil¬ volle, offenbarte plötzlich ihre zutreffende Berechnung, ausharrende Konsequenz und kühne Energie. Ja sie streifte in den Augen der bewundernden Nation nicht blos den Charakter des Tollverwegcnen ab, sondern nahm gleichzeitig ein edles nationales Gepräge an. Ein Umschwung der Ansichten und Gefühle vollzog sich, wie er vielleicht in unsrer Geschichte so jäh und vollständig nie vorgekommen ist. Die Männer des Nationalvereins blieben von dieser allgemeinen Umstim- mung der Geister natürlich nicht unberührt. Allein vermöge ihrer Vergangen¬ heit und öffentlichen Stellung vermochten sie sich ihr auch nicht mit der Unbe¬ fangenheit zu überlassen, wie Hinz oder Kunz aus dem Volke. Sie mußten die keimende neue Haltung mit der unmöglich gewordenen alten in einen ge¬ wissen Einklang zu bringen suchen, und darüber konnte im Fluge der sich über¬ stürzenden Ereignisse leicht die Zeit vergehen, in welcher ein erfolgreiches Ein¬ greifen, eine Wiedergewinnung der frühern moralischen Macht für den Natio¬ nalverein noch möglich erschien. In der That verging diese Zeit ungenutzt. Das ergab sich schon, als einen Monat nach der Schlacht bei Königgrätz die Führer des Nationalvereins gleichzeitig mit denen des volkswirtschaftlichen Congresses in Braunschweig tagten. Die letzteren, durch keine politischen An- tecedentien gehindert, freudig auf die veränderte Gestaltung der Dinge einzu¬ gehen, thaten es mit dem guten Erfolg, daß ihre Vorschläge für die neue Bundesverfassung größtenteils schon von der preußischen Regierung adoptirt wurden; die ersteren brachten nichts zu Stande als eine Erklärung, aus wel¬ cher hervorging, daß der unter ihnen herrschende Gemüthszustand der zum Han¬ deln und Schaffen ungeeignete der Resignation war. Es rächte sich jetzt am Nationalverein, daß die ihm angehangen preußi¬ schen Politiker von Einfluß fast ausschließlich Demokraten von 1848 oder Ihres¬ gleichen waren. Dadurch wurde er mit Unfruchtbarkeit geschlagen, sobald die außerordentliche Diversion, welche im Sommer 1866 den Verfassungskamps abschnitt, die Hoffnungen der Schulze, Löwe, Duncker, v. Hoverbeck u. f. f. auf schließliche Ueberwindung ihrer inneren Gegner zerstörte und sie, alt wie sie als Politiker geworden waren, in stumpfe Negation zurückwarf. Zwar gehör¬ ten dem Ausschuß des Nationalvereins auch ein paar preußische Politiker jenes andern Schlages an, die nachher die nationalliberale Partei begründen halfen:

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/112
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/112>, abgerufen am 20.10.2024.