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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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neueste Wendung der ungarischen Verhältnisse interessirt, die Charakteristik zweier
Männer nothwendig Schwierigkeiten bereiten muß. Diese sind Stephan Sz6-
chenyi und Ludwig Kossuth. Kein Magyare, in welchem noch historische Er-
innerungen lebendig sind, kann leugnen, daß Kossuch ein Jahrzehnt lang der
angebetete Führer des Volks war, daß in dieser merkwürdigen Persönlichkeit
sich die Empfindungen, Wünsche, Gedanken der Nation am schärfsten und glän¬
zendsten verkörperten. Aber die Konsequenzen der Kossuth'schen Politik will
gegenwärtig kein ungarischer Palmöl mehr anerkennen. Den Schluß der Wirk¬
samkeit des einst allmächtigen Dictators bildet bekanntlich die Proclamation
einer Bundesverfassung, welche Magyaren. Donauslaven und Romanen gleich¬
berechtigt einschließt. Er trat vom Schauplätze mit dem Eingeständnisse ab,
daß die Alleinherrschaft des magyarischen Stammes sich auf die Dauer nicht
halten lasse. Solche Folgerungen kann weder ein Altconservativer noch ein
Anhänger Death heutzutage als richtig anerkennen. Ebenso sehr scheut er auch
SzSchenyis Inconsequenzen. darf er dessen politische Wege und Ziele nicht
billigen, wenn anders das eigne Streben nicht verdammt werden soll.

"Sie haben Unrecht, ruft Szöchenyi in seiner ersten Flugschrift (Hitel, der
Credit), die da sagen, der Ungar sei gewesen; ich meine, daß er erst sein wird."
Kein Wunder, daß dieser Ausspruch als ein revolutionärer galt, SzechcnyiS
Ansichten seiner Zeit als ausschweifend und übertrieben bezeichnet wurden. Einen
größeren Gegensatz als den zwischen der herrschenden politischen Anschauung in den
dreißiger Jahren und Szechenyis Wirken kann man sich kaum denken. In der
Wiedereroberung der alten Verfassung erblickte alle Welt das Heil des Landes,
die Wiederherstellung des alten Landesrechtes bedeutete für Jedermann das Glück
des Volks und nun wurde die ganze Vergangenheit gleichsam als null und
nichtig hingestellt, der Ungar mit seinen Hoffnungen ausschließlich auf die Zu¬
kunft verwiesen. Aber Szechenyis revolutionäre Gesinnung beschränkte sich aus
das wirthschaftliche Gebiet. Reich wollte er sein Vaterland machen und darum
kämpfte er so heftig gegen die Privilegien des Adels, soweit sie die Production
hemmten, den Verkehr fesselten, sprach er der Annäherung Ungarns an den
industriellen Occident das Wort, schwärmte er insbesondere für die englischen
Sitten und Einrichtungen. Unmittelbar die Verfassung anzutasten, eine streng
politische Agitation in das Leben zu setzen, lag nicht in seiner Absicht. Die
Steuerfreiheit des Adels greift er nicht mit Gründen des Rechtes an, sondern
bestreitet sie aus wirthschaftlichen Motiven und ans vorsichtigen Umwegen. Be¬
kanntlich verdankt die Pesth.Ofener Kettenbrücke dem Grasen Szschenyi ihr
Dasein. "Durch die Brücke beabsichtigte er unmittelbar die materielle Hebung
Pesths und die Verwandlung desselben in eine Handelshauvtstadt, aber mit-
telbar erwartete er keinen geringern Erfolg davon, als daß, wenn die Brücke
von einer Actiengesellschaft geHaut und demnach die von allen Passagen zu


neueste Wendung der ungarischen Verhältnisse interessirt, die Charakteristik zweier
Männer nothwendig Schwierigkeiten bereiten muß. Diese sind Stephan Sz6-
chenyi und Ludwig Kossuth. Kein Magyare, in welchem noch historische Er-
innerungen lebendig sind, kann leugnen, daß Kossuch ein Jahrzehnt lang der
angebetete Führer des Volks war, daß in dieser merkwürdigen Persönlichkeit
sich die Empfindungen, Wünsche, Gedanken der Nation am schärfsten und glän¬
zendsten verkörperten. Aber die Konsequenzen der Kossuth'schen Politik will
gegenwärtig kein ungarischer Palmöl mehr anerkennen. Den Schluß der Wirk¬
samkeit des einst allmächtigen Dictators bildet bekanntlich die Proclamation
einer Bundesverfassung, welche Magyaren. Donauslaven und Romanen gleich¬
berechtigt einschließt. Er trat vom Schauplätze mit dem Eingeständnisse ab,
daß die Alleinherrschaft des magyarischen Stammes sich auf die Dauer nicht
halten lasse. Solche Folgerungen kann weder ein Altconservativer noch ein
Anhänger Death heutzutage als richtig anerkennen. Ebenso sehr scheut er auch
SzSchenyis Inconsequenzen. darf er dessen politische Wege und Ziele nicht
billigen, wenn anders das eigne Streben nicht verdammt werden soll.

„Sie haben Unrecht, ruft Szöchenyi in seiner ersten Flugschrift (Hitel, der
Credit), die da sagen, der Ungar sei gewesen; ich meine, daß er erst sein wird."
Kein Wunder, daß dieser Ausspruch als ein revolutionärer galt, SzechcnyiS
Ansichten seiner Zeit als ausschweifend und übertrieben bezeichnet wurden. Einen
größeren Gegensatz als den zwischen der herrschenden politischen Anschauung in den
dreißiger Jahren und Szechenyis Wirken kann man sich kaum denken. In der
Wiedereroberung der alten Verfassung erblickte alle Welt das Heil des Landes,
die Wiederherstellung des alten Landesrechtes bedeutete für Jedermann das Glück
des Volks und nun wurde die ganze Vergangenheit gleichsam als null und
nichtig hingestellt, der Ungar mit seinen Hoffnungen ausschließlich auf die Zu¬
kunft verwiesen. Aber Szechenyis revolutionäre Gesinnung beschränkte sich aus
das wirthschaftliche Gebiet. Reich wollte er sein Vaterland machen und darum
kämpfte er so heftig gegen die Privilegien des Adels, soweit sie die Production
hemmten, den Verkehr fesselten, sprach er der Annäherung Ungarns an den
industriellen Occident das Wort, schwärmte er insbesondere für die englischen
Sitten und Einrichtungen. Unmittelbar die Verfassung anzutasten, eine streng
politische Agitation in das Leben zu setzen, lag nicht in seiner Absicht. Die
Steuerfreiheit des Adels greift er nicht mit Gründen des Rechtes an, sondern
bestreitet sie aus wirthschaftlichen Motiven und ans vorsichtigen Umwegen. Be¬
kanntlich verdankt die Pesth.Ofener Kettenbrücke dem Grasen Szschenyi ihr
Dasein. „Durch die Brücke beabsichtigte er unmittelbar die materielle Hebung
Pesths und die Verwandlung desselben in eine Handelshauvtstadt, aber mit-
telbar erwartete er keinen geringern Erfolg davon, als daß, wenn die Brücke
von einer Actiengesellschaft geHaut und demnach die von allen Passagen zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/11>, abgerufen am 20.10.2024.