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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band.

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sauber politischer Verein nicht herzustellen gewesen wäre, konnte man nicht um¬
hin, auch in das Programm die Fordeiung der Freiheit gleichberechtigt neben
die der Einheit zu stellen; erstere mehr zur Befriedigung der an der Einheit
nicht direct genug interessirten Massen, letztere als das eigentliche Ziel der
Führer.

Es war ohne Zweifel, mit dem Maßstab der fünfziger Jahre gemessen,
eine äußerst stattliche Versammlung, die sich im September 1859 zu Frank¬
furt am Main zusammenfand, um den Nationalverein zu constituiren. Das
gesammte liberale Deutschland aber umfaßte sie doch nicht. Auf der einen Seite
hielten die Nachwirkungen des im Frühjahr geführten leidenschaftlichen Zeitungs-
kampses über Deutschlands Stellung zu dem französisch-italienischen Angriffs-
kriege gegen Oesterreich selbst solche süddeutsche Politiker, die im Herzen dem
voraufgegangenen sogenannten Eisenacher Programm, dem ideellen Keime des
Nationalvereins, d. h. der preußischen Führung zugethan waren, von dem Er.
scheinen in Frankfurt und dem Veitritt zu dem dort gestifteten Verein zurück,
weil sie sonst fürchteten, ihren Halt im Volke zu verlieren. Auf der andern
Seite gelang es nicht, die in Preußen regierenden Altliberalen völlig in den
Verein hineinzuziehen. Theils ließen diese sich durch ministerielle Aengstlichkeit,
aristokratisch-borussische Vornehmheit, altliberale Scheu vor näherer Berührung
mit den Demokraten abhalten, theils mag auch nicht genug geschehen sein, die Haupr-
Persönlichkeit, den damals in Berlin beinahe allmächtigen -- wenn auch unbe¬
wußt und jedenfalls ungenutzt allmächtigen -- Georg v. Vincke zu gewinnen.
Nur ein paar preußische AltUberale zweiten Ranges wie Bräuer, v. Sänger,
Veit traten dem Vereine und dem Ausschusse bei. und diese auch nur, um bald
wieder einer nach dem andern aus den Vorderreihen zu verschwinden. Von
den bayrischen Gesinnungsgenossen schlössen sich Brater und Cramer öffentlich
an, Barth und Volk blieben draußen. In Würtemberg gewann man brei¬
teren Boden und namhaftere Repräsentanten -- die Gebrüder Adolf und Lud¬
wig Seeger -- erst einige Zeit später. Im übrigen aber bewährte sich am
Nationalverein durchaus das allgemeine Gesetz, daß derartige Schöpfungen nicht
leicht über die Basis hinauswachsen, auf welcher sie uisprünglich angelegt wor¬
den sind.

Der eigentliche Herd des Vereins waren demnach jene Mittel- und nord¬
deutschen Gebiete, die ein geistreicher Mann einmal treffend die Büsser ge¬
nannt hat, welche durch ihre glückliche Mittelstellung verhüten, daß der Nord¬
osten und der Südwesten, Preußen und Süddeutschland, zu heftig gegeneinan¬
der stoßen, um hinterdrein dann desto weiter auseinanderzufahren. Hannover.
Thüringen, Hessen, Nassau, einigermaßen auch Sachsen. Baden und die Hanse¬
städte führten dem Nationalverein die stärksten und ansehnlichsten Contingente
zu. In Bayern und Würtemberg würde er aus die Dauer nie recht Volks-


sauber politischer Verein nicht herzustellen gewesen wäre, konnte man nicht um¬
hin, auch in das Programm die Fordeiung der Freiheit gleichberechtigt neben
die der Einheit zu stellen; erstere mehr zur Befriedigung der an der Einheit
nicht direct genug interessirten Massen, letztere als das eigentliche Ziel der
Führer.

Es war ohne Zweifel, mit dem Maßstab der fünfziger Jahre gemessen,
eine äußerst stattliche Versammlung, die sich im September 1859 zu Frank¬
furt am Main zusammenfand, um den Nationalverein zu constituiren. Das
gesammte liberale Deutschland aber umfaßte sie doch nicht. Auf der einen Seite
hielten die Nachwirkungen des im Frühjahr geführten leidenschaftlichen Zeitungs-
kampses über Deutschlands Stellung zu dem französisch-italienischen Angriffs-
kriege gegen Oesterreich selbst solche süddeutsche Politiker, die im Herzen dem
voraufgegangenen sogenannten Eisenacher Programm, dem ideellen Keime des
Nationalvereins, d. h. der preußischen Führung zugethan waren, von dem Er.
scheinen in Frankfurt und dem Veitritt zu dem dort gestifteten Verein zurück,
weil sie sonst fürchteten, ihren Halt im Volke zu verlieren. Auf der andern
Seite gelang es nicht, die in Preußen regierenden Altliberalen völlig in den
Verein hineinzuziehen. Theils ließen diese sich durch ministerielle Aengstlichkeit,
aristokratisch-borussische Vornehmheit, altliberale Scheu vor näherer Berührung
mit den Demokraten abhalten, theils mag auch nicht genug geschehen sein, die Haupr-
Persönlichkeit, den damals in Berlin beinahe allmächtigen — wenn auch unbe¬
wußt und jedenfalls ungenutzt allmächtigen — Georg v. Vincke zu gewinnen.
Nur ein paar preußische AltUberale zweiten Ranges wie Bräuer, v. Sänger,
Veit traten dem Vereine und dem Ausschusse bei. und diese auch nur, um bald
wieder einer nach dem andern aus den Vorderreihen zu verschwinden. Von
den bayrischen Gesinnungsgenossen schlössen sich Brater und Cramer öffentlich
an, Barth und Volk blieben draußen. In Würtemberg gewann man brei¬
teren Boden und namhaftere Repräsentanten — die Gebrüder Adolf und Lud¬
wig Seeger — erst einige Zeit später. Im übrigen aber bewährte sich am
Nationalverein durchaus das allgemeine Gesetz, daß derartige Schöpfungen nicht
leicht über die Basis hinauswachsen, auf welcher sie uisprünglich angelegt wor¬
den sind.

Der eigentliche Herd des Vereins waren demnach jene Mittel- und nord¬
deutschen Gebiete, die ein geistreicher Mann einmal treffend die Büsser ge¬
nannt hat, welche durch ihre glückliche Mittelstellung verhüten, daß der Nord¬
osten und der Südwesten, Preußen und Süddeutschland, zu heftig gegeneinan¬
der stoßen, um hinterdrein dann desto weiter auseinanderzufahren. Hannover.
Thüringen, Hessen, Nassau, einigermaßen auch Sachsen. Baden und die Hanse¬
städte führten dem Nationalverein die stärksten und ansehnlichsten Contingente
zu. In Bayern und Würtemberg würde er aus die Dauer nie recht Volks-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349919/108>, abgerufen am 27.09.2024.