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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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ist erzielt worden durch erhöhte Steuern und die äußerste Beschränkung
derjenigen Ausgaben, die zur materiellen Hebung des Landes
dienen." Wer die furchtbare Bedeutung dieses naiven Geständnisses einer
Staatsschnft ganz aufhenke, der weiß nicht, soll er die Thoren belachen, welche
sich noch zu erwärmen vermögen an dem trügerischen Scheine liberaler Staate?-
sonnen.

Indes-, so lange die Kleinstaaten am Leben sind, werden auch ihre Ver¬
theidiger nicht fehlen, eineilci, ob sie von Selbsttäuschung oder von Heuchelei
getrieben werden. Welches von beiden Motiven im Spiele ist, wenn man
gar die Wohlfeilheit der waldeckschen Staatsmaschine zu beweisen sucht, wollen
wir nicht ausklügeln; eines sicher. Oder was sollen wir anders davon
halten, wenn man sich triumphirend die Hände reibt, weil in Preußen
die Justiz theurer sei als bei uns? Soll etwa ein Staat wie Preußen auch
seine Beamten am Hungertuche nagen lassen? Und andererseits, ein Staat,
der sparen will, wird doch nicht bei dem Besvldungsetat des Richterstandes an¬
fangen; es müßte ihm denn an der unbestechlichen Reinheit desselben nichts
gelegen sein. Daß aber die waldecksche Justiz dennoch, und zwar aus höchst
unnütze Weise, vertheuert wird durch ein Heer von Advocaten, deren wir ge¬
wöhnlich dreißig und einige zählen, während an einem preußischen Krcisgerichte
mit wo möglich noch größerem District als unser ganzes Staatsgebiet zwei
fungiren, -- davon schwe ge man ebenso weidlich, wie von den Kosten unserer
Berwaltung. Es ist nicht das geringfügigste Moment, mit welchem die Be¬
wunderer Waldecks sich brüsten, wenn sie reden von unserem Selfgovernment.
-- wozu aber dann noch dieser ungeheure Berwaltungsappar.it? Ein Ländchen
von S9.000 Seelen eingetheilt in vier Belwaltungshreise, an der Spitze eines
jeden ein Kreisrath,' entsprechend dem preusisclcn Landrath! -- und dennoch
giebt es bei uns zarte Seelen, die keinen gräßlicherer Gedanken zu denke"
wissen, als .-- die preußische Bureaukratie! Ein waldeckscher Kreisrath ist
Staatsdiener und demgemäß g, priori für seine Untergebenen eine geheiligte
Person. Seine Beigeordneten, die Mitglieder des Kreiovorstandcö, schweigen in
Demuth, wenn er redet. Er überwacht die Thätigkeit der Gemeinden und int. e-
Venirt nach Befinden; die gesammte Polizeigewalt liegt fast ausschließlich in
seinen Hände". Ihm fleht die Ertheilung und Entziehung von Concessionen
zum Handelsbetriebe zu, ihm auch die Bestimmung der Brod-, Bier-, Braunt-
weintaxe. Er leitet die Landtagswahlen mit mündlicher Abstimmung; bei der
Umlegung der Gewerbe- wie der Ctasscnstcucr ist er Borsitzender der Commission;
seine Worte haben Cemnerschwere; jedes Haus seines Kreises ist ihm bekannt;
jedes Mannes Gesinnung vor seinen Blicken offenbar. Nicht allein, daß dem
allmächtigen Manne Hunderte von Handhaben zu Gebote stehen, um im Ge¬
heimen zu wirken, alljährlich veröffentlicht er auch einen eingehenden Bericht,


ist erzielt worden durch erhöhte Steuern und die äußerste Beschränkung
derjenigen Ausgaben, die zur materiellen Hebung des Landes
dienen." Wer die furchtbare Bedeutung dieses naiven Geständnisses einer
Staatsschnft ganz aufhenke, der weiß nicht, soll er die Thoren belachen, welche
sich noch zu erwärmen vermögen an dem trügerischen Scheine liberaler Staate?-
sonnen.

Indes-, so lange die Kleinstaaten am Leben sind, werden auch ihre Ver¬
theidiger nicht fehlen, eineilci, ob sie von Selbsttäuschung oder von Heuchelei
getrieben werden. Welches von beiden Motiven im Spiele ist, wenn man
gar die Wohlfeilheit der waldeckschen Staatsmaschine zu beweisen sucht, wollen
wir nicht ausklügeln; eines sicher. Oder was sollen wir anders davon
halten, wenn man sich triumphirend die Hände reibt, weil in Preußen
die Justiz theurer sei als bei uns? Soll etwa ein Staat wie Preußen auch
seine Beamten am Hungertuche nagen lassen? Und andererseits, ein Staat,
der sparen will, wird doch nicht bei dem Besvldungsetat des Richterstandes an¬
fangen; es müßte ihm denn an der unbestechlichen Reinheit desselben nichts
gelegen sein. Daß aber die waldecksche Justiz dennoch, und zwar aus höchst
unnütze Weise, vertheuert wird durch ein Heer von Advocaten, deren wir ge¬
wöhnlich dreißig und einige zählen, während an einem preußischen Krcisgerichte
mit wo möglich noch größerem District als unser ganzes Staatsgebiet zwei
fungiren, — davon schwe ge man ebenso weidlich, wie von den Kosten unserer
Berwaltung. Es ist nicht das geringfügigste Moment, mit welchem die Be¬
wunderer Waldecks sich brüsten, wenn sie reden von unserem Selfgovernment.
— wozu aber dann noch dieser ungeheure Berwaltungsappar.it? Ein Ländchen
von S9.000 Seelen eingetheilt in vier Belwaltungshreise, an der Spitze eines
jeden ein Kreisrath,' entsprechend dem preusisclcn Landrath! — und dennoch
giebt es bei uns zarte Seelen, die keinen gräßlicherer Gedanken zu denke»
wissen, als .— die preußische Bureaukratie! Ein waldeckscher Kreisrath ist
Staatsdiener und demgemäß g, priori für seine Untergebenen eine geheiligte
Person. Seine Beigeordneten, die Mitglieder des Kreiovorstandcö, schweigen in
Demuth, wenn er redet. Er überwacht die Thätigkeit der Gemeinden und int. e-
Venirt nach Befinden; die gesammte Polizeigewalt liegt fast ausschließlich in
seinen Hände». Ihm fleht die Ertheilung und Entziehung von Concessionen
zum Handelsbetriebe zu, ihm auch die Bestimmung der Brod-, Bier-, Braunt-
weintaxe. Er leitet die Landtagswahlen mit mündlicher Abstimmung; bei der
Umlegung der Gewerbe- wie der Ctasscnstcucr ist er Borsitzender der Commission;
seine Worte haben Cemnerschwere; jedes Haus seines Kreises ist ihm bekannt;
jedes Mannes Gesinnung vor seinen Blicken offenbar. Nicht allein, daß dem
allmächtigen Manne Hunderte von Handhaben zu Gebote stehen, um im Ge¬
heimen zu wirken, alljährlich veröffentlicht er auch einen eingehenden Bericht,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/99>, abgerufen am 24.08.2024.