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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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aigle die Octroyirung sowie die Aufhebung der Grundrechte und den Beitritt
zum reactivirtcn Bundestage.

An diesen hatte sich mittlerweile der Binder des verstorbenen Fürsten,
Prinz Hermann gewandt, um auf Grund des pg-eenen primosoniturg." von
1K87 gegen das Staatsgrundgcsctz von 1849 Protest zu erbeben. Ein Beschluß
der Bundesversammlung vom 7. Januar 1852 forderte die waldecksche Regie¬
rung alsdann zur Aenderung der Verfassung und zur Verschiebung der Ableistung
des V^rfassungseides Seitens des am 14. Ianuardic Volljährigkeit beschreitcnde"
Fürsten Georg Victor auf. Dieser selbst eiklärte in einem Patent von jenem
Tag vie bestehende Verfassung für unannehmbar; weder mit den wahren Be¬
dürfnissen des Landes, noch mir den fürstlichen Rechten stehe sie im Einklang.
Im Widerspruch mit dem klaren Wortlaut der Bestimmungen des Titels V. des
Staatsgrundgesetzes ward die Regentschaft fortgesetzt, um die für nöthig erachteten
Aenderungen vorzunehmen. Sonderbarerweise aber scheint man die heimischen
Staatsmänner zur erwünschten Durchführung des Werkes nicht für fähig ge¬
halten zu haben. Vertrauensvoll wandte man sich an den mächiigen Nachbar",
und dieser sandte ven passenden Mann: Geheimen Regierungsrath Beyer, Ober¬
bürgermeister von Potsdam. Nicht etwa hinter den Coulissen hielt nun dieser
die Fäden in der Hand, nein, er trat offen aus die Bühne und unterhandelte
mit dem Landtage, er gerate sich als Minister über den Ministern, -- und das
alles, ohne in den waldeckschen Staatsdienst getreten zu sein. Das Verhältniß
war verfassungswidrig und sür die verantwortliche Regierung beleidigend. Nur
ein Mitglied indeß, Severin, hatte den Muth, aus derselben auszuscheiden.
Der Landtag sträubte sich, so viel er konnte, gegen den neuen Verfassungs¬
entwurf, Beyer blieb fest; von Zeit zu Zeit ein Fingerzeig auf die damalige
Lage der Dinge in Kurhessen thar seine Wirkung: die Stände wurden schlie߬
lich ungeduldig und nahmen an.

Am 17. August 1852 hielt der Thronfolger seinen feierlichen Einzug in
die Residenz, ohne daß jedoch die neue Verfassung vorher publicirt war. Trat er
also wirklich in diesem Augenblicke die Regierung an, so war es "ur möglich
auf Grund des noch bestehenden Staatsgrundgesetzes von 1849; nur indem er
dieses beschwor, wende er Staatsoberhaupt. Laut seines Antrittspatents aber
übernahm der Fürst die Regierung, indem er dem neuen Versassungsentwurfe,
wie er aus den ständischen Verhandlungen hervorgegangen, seine Zustimmung
ertheilte. Der alte Rechtszustand war beseitigt, er bestieg den Thron mit Ein¬
führung eines neuen und leistete den Eid auf eine Verfassung, welche im Augen¬
blicke seines NegierungsantriltS noch gar nicht existirte, sondern erst durch
Ausübung der Regierung, wenn auch noch am selben Tage, ins Leben ge¬
führt ward.

Wir dürfen annehmen, daß der damalige Landtag im Drange der Ruhe-


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aigle die Octroyirung sowie die Aufhebung der Grundrechte und den Beitritt
zum reactivirtcn Bundestage.

An diesen hatte sich mittlerweile der Binder des verstorbenen Fürsten,
Prinz Hermann gewandt, um auf Grund des pg-eenen primosoniturg.« von
1K87 gegen das Staatsgrundgcsctz von 1849 Protest zu erbeben. Ein Beschluß
der Bundesversammlung vom 7. Januar 1852 forderte die waldecksche Regie¬
rung alsdann zur Aenderung der Verfassung und zur Verschiebung der Ableistung
des V^rfassungseides Seitens des am 14. Ianuardic Volljährigkeit beschreitcnde»
Fürsten Georg Victor auf. Dieser selbst eiklärte in einem Patent von jenem
Tag vie bestehende Verfassung für unannehmbar; weder mit den wahren Be¬
dürfnissen des Landes, noch mir den fürstlichen Rechten stehe sie im Einklang.
Im Widerspruch mit dem klaren Wortlaut der Bestimmungen des Titels V. des
Staatsgrundgesetzes ward die Regentschaft fortgesetzt, um die für nöthig erachteten
Aenderungen vorzunehmen. Sonderbarerweise aber scheint man die heimischen
Staatsmänner zur erwünschten Durchführung des Werkes nicht für fähig ge¬
halten zu haben. Vertrauensvoll wandte man sich an den mächiigen Nachbar»,
und dieser sandte ven passenden Mann: Geheimen Regierungsrath Beyer, Ober¬
bürgermeister von Potsdam. Nicht etwa hinter den Coulissen hielt nun dieser
die Fäden in der Hand, nein, er trat offen aus die Bühne und unterhandelte
mit dem Landtage, er gerate sich als Minister über den Ministern, — und das
alles, ohne in den waldeckschen Staatsdienst getreten zu sein. Das Verhältniß
war verfassungswidrig und sür die verantwortliche Regierung beleidigend. Nur
ein Mitglied indeß, Severin, hatte den Muth, aus derselben auszuscheiden.
Der Landtag sträubte sich, so viel er konnte, gegen den neuen Verfassungs¬
entwurf, Beyer blieb fest; von Zeit zu Zeit ein Fingerzeig auf die damalige
Lage der Dinge in Kurhessen thar seine Wirkung: die Stände wurden schlie߬
lich ungeduldig und nahmen an.

Am 17. August 1852 hielt der Thronfolger seinen feierlichen Einzug in
die Residenz, ohne daß jedoch die neue Verfassung vorher publicirt war. Trat er
also wirklich in diesem Augenblicke die Regierung an, so war es »ur möglich
auf Grund des noch bestehenden Staatsgrundgesetzes von 1849; nur indem er
dieses beschwor, wende er Staatsoberhaupt. Laut seines Antrittspatents aber
übernahm der Fürst die Regierung, indem er dem neuen Versassungsentwurfe,
wie er aus den ständischen Verhandlungen hervorgegangen, seine Zustimmung
ertheilte. Der alte Rechtszustand war beseitigt, er bestieg den Thron mit Ein¬
führung eines neuen und leistete den Eid auf eine Verfassung, welche im Augen¬
blicke seines NegierungsantriltS noch gar nicht existirte, sondern erst durch
Ausübung der Regierung, wenn auch noch am selben Tage, ins Leben ge¬
führt ward.

Wir dürfen annehmen, daß der damalige Landtag im Drange der Ruhe-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/95>, abgerufen am 22.07.2024.