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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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Jahresfrist ist sie mit einem Verkoppelungsgcsetz auf den Plan getreten. Ob
es durchführbar und von wirklich rettender Wirkung wäre, kann man freilich
bezweifeln. Die große Verschiedenheit der Bvdenqualität, das Widerstrebe" derer,
die eine Ncactivuung der Gütergeschlosscnheil befürchten, die nicht unbedeutenden
Kosten, zumal wenn auch die vollen Cvnscqucnzc" gezogen werden sollen, vor
allem aber die Gefahr, das Tagclöhncrproletariat einerseits arbeitslos zu machen,
andererseits durch Ablösung der Weideservitute, Gemeinbeitstheilung und Aehn-
lich.es der Unterhaltsmittel für die einzige Kuh zu berauben, -- das alles würden
beachtenswerthe Hindernisse sein. Indeß, die in unsern Feldflurcn durchweg
verbreitete Gcmengewirthschaft macht eine Zusammenlegung der Grundstücke
dringend wünschenswerth, und will man die waldecksche Landwirtschaft über¬
haupt von ihrer noch sehr niedrigen Stufe ernstlich emporheben, so ist Ver¬
kuppelung das erste, was noth thut.

Auch in dieser Sache aber hinderte die Jämmerlichkeit der Kleinstaaterei
an einem energischen und wirklich freimüthigen Vorgehen. Statt die große
Maßregel ohne Verzug ins Leben zu führen, verband die Regierung damit ein
der Sache durchaus fernliegendes Gesetz über die Ablösung der Holzbercchtigung,
d. h. ein Gesetz, ersonnen einzig und allein zu Gunsten des Dvmaniums. So¬
wohl in der vorletzten wie in der letzten Landtagssession scheiterte das ganze
Werk an dieser Klippe. Und freilich, gründlich helfen würde auch die Ver-
koppelung nicht können, wenn nicht zugleich ein noch wichtigeres Erfordernis;
erfüllt würde: eine Eisenbahn durch die Mitte des Landes. Nur so würden
die Hauvtproduclionsorte des waldeckschen Getreideexports mit den Marktplätzen
in directe Verbindung kommen, ohne ihre Erzeugnisse fortan noch durch einen
langen Transport per Achse unnütz vertheuern zu müssen , nur so würde ein
wirklich intensiver Ackerbau, so weit es die Bodenverhältnisse überhaupt ge¬
statten, möglich werden. Seit mehr denn zehn Jahren dringt Tag für Tag
aus allen Winkeln des Landes der Nothschrei nach dieser Eisenbahn; wer aber
soll sie bauen? Preußen wird sicherlich keine Lust dazu haben, wenn es zu
gleicher Zeit Bezirke seines eigenen Staats damit beglücken kann; für eine
Privatgesellschaft wäre es ein sehr gewagtes Unternehmen, der Staat Waldeck
aber hört die stürmische Forderung seiner Bürger und -- fällt in Ohnmacht.

Nicht eben erfreulicher ist das Bild, welches wir von der Lage des handel-
und gewerbtreibenden Theils des waldeckschen Volkes zu entwerfen haben, wenn
überhaupt von diesem Stande in unserem Ländchen die Rede sein kann. Zwar
zählte man 1861 27 Procent der Bevölkerung zu demselben, rede" 32 Procent
Landwirthen, eine Annahme, nach welcher Waldeck, was die Jndlnsinc anlangt,
andere sehr gewerbthätige Staaten, z. B.Preußen, weit hinter sich zurücklassen
würde. Leider aber ist buse Rechnung grundfalsch. Denn hätte man bedacht,
daß eine halbwegs besonnene Statistik auch eine specielle Rubrik derjenigen aus-


8"

Jahresfrist ist sie mit einem Verkoppelungsgcsetz auf den Plan getreten. Ob
es durchführbar und von wirklich rettender Wirkung wäre, kann man freilich
bezweifeln. Die große Verschiedenheit der Bvdenqualität, das Widerstrebe» derer,
die eine Ncactivuung der Gütergeschlosscnheil befürchten, die nicht unbedeutenden
Kosten, zumal wenn auch die vollen Cvnscqucnzc» gezogen werden sollen, vor
allem aber die Gefahr, das Tagclöhncrproletariat einerseits arbeitslos zu machen,
andererseits durch Ablösung der Weideservitute, Gemeinbeitstheilung und Aehn-
lich.es der Unterhaltsmittel für die einzige Kuh zu berauben, — das alles würden
beachtenswerthe Hindernisse sein. Indeß, die in unsern Feldflurcn durchweg
verbreitete Gcmengewirthschaft macht eine Zusammenlegung der Grundstücke
dringend wünschenswerth, und will man die waldecksche Landwirtschaft über¬
haupt von ihrer noch sehr niedrigen Stufe ernstlich emporheben, so ist Ver¬
kuppelung das erste, was noth thut.

Auch in dieser Sache aber hinderte die Jämmerlichkeit der Kleinstaaterei
an einem energischen und wirklich freimüthigen Vorgehen. Statt die große
Maßregel ohne Verzug ins Leben zu führen, verband die Regierung damit ein
der Sache durchaus fernliegendes Gesetz über die Ablösung der Holzbercchtigung,
d. h. ein Gesetz, ersonnen einzig und allein zu Gunsten des Dvmaniums. So¬
wohl in der vorletzten wie in der letzten Landtagssession scheiterte das ganze
Werk an dieser Klippe. Und freilich, gründlich helfen würde auch die Ver-
koppelung nicht können, wenn nicht zugleich ein noch wichtigeres Erfordernis;
erfüllt würde: eine Eisenbahn durch die Mitte des Landes. Nur so würden
die Hauvtproduclionsorte des waldeckschen Getreideexports mit den Marktplätzen
in directe Verbindung kommen, ohne ihre Erzeugnisse fortan noch durch einen
langen Transport per Achse unnütz vertheuern zu müssen , nur so würde ein
wirklich intensiver Ackerbau, so weit es die Bodenverhältnisse überhaupt ge¬
statten, möglich werden. Seit mehr denn zehn Jahren dringt Tag für Tag
aus allen Winkeln des Landes der Nothschrei nach dieser Eisenbahn; wer aber
soll sie bauen? Preußen wird sicherlich keine Lust dazu haben, wenn es zu
gleicher Zeit Bezirke seines eigenen Staats damit beglücken kann; für eine
Privatgesellschaft wäre es ein sehr gewagtes Unternehmen, der Staat Waldeck
aber hört die stürmische Forderung seiner Bürger und — fällt in Ohnmacht.

Nicht eben erfreulicher ist das Bild, welches wir von der Lage des handel-
und gewerbtreibenden Theils des waldeckschen Volkes zu entwerfen haben, wenn
überhaupt von diesem Stande in unserem Ländchen die Rede sein kann. Zwar
zählte man 1861 27 Procent der Bevölkerung zu demselben, rede» 32 Procent
Landwirthen, eine Annahme, nach welcher Waldeck, was die Jndlnsinc anlangt,
andere sehr gewerbthätige Staaten, z. B.Preußen, weit hinter sich zurücklassen
würde. Leider aber ist buse Rechnung grundfalsch. Denn hätte man bedacht,
daß eine halbwegs besonnene Statistik auch eine specielle Rubrik derjenigen aus-


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[0063] Jahresfrist ist sie mit einem Verkoppelungsgcsetz auf den Plan getreten. Ob es durchführbar und von wirklich rettender Wirkung wäre, kann man freilich bezweifeln. Die große Verschiedenheit der Bvdenqualität, das Widerstrebe» derer, die eine Ncactivuung der Gütergeschlosscnheil befürchten, die nicht unbedeutenden Kosten, zumal wenn auch die vollen Cvnscqucnzc» gezogen werden sollen, vor allem aber die Gefahr, das Tagclöhncrproletariat einerseits arbeitslos zu machen, andererseits durch Ablösung der Weideservitute, Gemeinbeitstheilung und Aehn- lich.es der Unterhaltsmittel für die einzige Kuh zu berauben, — das alles würden beachtenswerthe Hindernisse sein. Indeß, die in unsern Feldflurcn durchweg verbreitete Gcmengewirthschaft macht eine Zusammenlegung der Grundstücke dringend wünschenswerth, und will man die waldecksche Landwirtschaft über¬ haupt von ihrer noch sehr niedrigen Stufe ernstlich emporheben, so ist Ver¬ kuppelung das erste, was noth thut. Auch in dieser Sache aber hinderte die Jämmerlichkeit der Kleinstaaterei an einem energischen und wirklich freimüthigen Vorgehen. Statt die große Maßregel ohne Verzug ins Leben zu führen, verband die Regierung damit ein der Sache durchaus fernliegendes Gesetz über die Ablösung der Holzbercchtigung, d. h. ein Gesetz, ersonnen einzig und allein zu Gunsten des Dvmaniums. So¬ wohl in der vorletzten wie in der letzten Landtagssession scheiterte das ganze Werk an dieser Klippe. Und freilich, gründlich helfen würde auch die Ver- koppelung nicht können, wenn nicht zugleich ein noch wichtigeres Erfordernis; erfüllt würde: eine Eisenbahn durch die Mitte des Landes. Nur so würden die Hauvtproduclionsorte des waldeckschen Getreideexports mit den Marktplätzen in directe Verbindung kommen, ohne ihre Erzeugnisse fortan noch durch einen langen Transport per Achse unnütz vertheuern zu müssen , nur so würde ein wirklich intensiver Ackerbau, so weit es die Bodenverhältnisse überhaupt ge¬ statten, möglich werden. Seit mehr denn zehn Jahren dringt Tag für Tag aus allen Winkeln des Landes der Nothschrei nach dieser Eisenbahn; wer aber soll sie bauen? Preußen wird sicherlich keine Lust dazu haben, wenn es zu gleicher Zeit Bezirke seines eigenen Staats damit beglücken kann; für eine Privatgesellschaft wäre es ein sehr gewagtes Unternehmen, der Staat Waldeck aber hört die stürmische Forderung seiner Bürger und — fällt in Ohnmacht. Nicht eben erfreulicher ist das Bild, welches wir von der Lage des handel- und gewerbtreibenden Theils des waldeckschen Volkes zu entwerfen haben, wenn überhaupt von diesem Stande in unserem Ländchen die Rede sein kann. Zwar zählte man 1861 27 Procent der Bevölkerung zu demselben, rede» 32 Procent Landwirthen, eine Annahme, nach welcher Waldeck, was die Jndlnsinc anlangt, andere sehr gewerbthätige Staaten, z. B.Preußen, weit hinter sich zurücklassen würde. Leider aber ist buse Rechnung grundfalsch. Denn hätte man bedacht, daß eine halbwegs besonnene Statistik auch eine specielle Rubrik derjenigen aus- 8»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/63>, abgerufen am 22.07.2024.