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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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in ihrer Kühnheit natürlich nur bestärken. Von einer etwaigen Aushebung der¬
selben aber ist kein Vortheil zu erwarten; denn schwerlich würde solides Capital,
wenn es sich wirklich fände, geneigt sein, unter diesen Verhältnissen dem ge¬
schäftsmäßigen Wucher wirksame Concurrenz zu machen und so den enormen
Procentsatz herabzudrücken. Ohne zu schwarz zu malen, kann man es aus¬
sprechen: es ist die permanente Verzweiflung, in welcher der größte Theil der
waideckschcn Landleute schwebt, und Advocaten und Juden wetteifern, dieselbe
auszunutzen. Besonders die letzteren, und oft schlimmer noch ihre christlichen
Genossen, verstehen das Geschäft aus dem Grunde. Ein Bauer ist in Geld¬
verlegenheit, er wendet sich an seinen vertrauten Freund N. N. Nach längerem
Bitten erhält er das Darlehen, aber eine beträchtliche Anzahl Procente wird
von vornherein als Zinsen abgezogen, ein Theil in klingender Münze bezahlt,
der Nest dem Bedrängten in einem entsprechenden Quantum Waare aufge¬
drungen, Waare d. h. in den meisten Fällen ein magen- und hinizcrreißender
Branntwein. Natürlich kann der Bauer den festgesetzten Rückzahlungstermin
nicht einhalten, der vertraute Freund erscheint und nimmt als Aequivalent für
die vorgestreckte Summe, was an Früchten, Vieh und dergleichen zu bekommen
ist; ein etwaiger Ueberschuß art durch ein abermaliges Faß Branntwein ver¬
golten. Unmöglich also, daß bei solcher Wirthschaft der Bauer sich die günstigen
Chancen des Kornmarkts zu Nutze machen, unmöglich aber auch, daß er die
Kraft der Selbsterhaltrmg, den Glauben an sich selbst bewahren kann. Keine
Secunde ohne die quälendsten Sorgen, -- er darf sie nicht ausdenken, er greift
zur Flasche und -- geht zu Grunde.

Auf diesem Wege ist ein ganzer Strich des Fürstenthums, das sogenannte
Upland, an den Rand des physischen und moralischen Verderbens gerathen.
Es ist ein herzzerreißender Anblick: die de'hen, kräftigen Gestalten dieses Wald¬
gebirges, mit der derben Sprache und den treuen Augen, genickt und entnervt,
das heranwachsende Geschlecht verkümmert und verdorben, sie allesammt ohne
die tröstende Gewißheit einer besseren Zukunft, nur mit der Aussicht, dem auf-
saugenden Wucher auch mit der letzten Scholle Landes zu verfallen. Kaum
scheint es möglich, als könnte dem äußersten Elende anders als durch eine
Art Latifundienbildung gewehrt werden, -- Und wie hier im Uplcmde in grellen
Farben aufgetragen, so liegen die Dinge mehr oder weniger überall; schon die
unverhälinißmäßig große Anzahl bäuerlicher Concurse mag eine Ahnung davon
geben. Die Staatsthätigleit aber steht, so scheint es, diesen Thatsachen in
vollendeter Impotenz gegenüber. Der aus freier Vereinigung hervorgegangene
"Landwirthsebaflliche Verein" macht wenigstens Versuche zur Besserung; fieilich
genügen weder die Mittel noch die persönlichen Kräfte der ungeheuren Aus¬
gabe. Die Negierung aber scheint alles Vertrauen verloren zu haben. Zwar,
der Wahrheit die Ehre, auch sie hat Versuche gemacht: bereits vor mehr denn


in ihrer Kühnheit natürlich nur bestärken. Von einer etwaigen Aushebung der¬
selben aber ist kein Vortheil zu erwarten; denn schwerlich würde solides Capital,
wenn es sich wirklich fände, geneigt sein, unter diesen Verhältnissen dem ge¬
schäftsmäßigen Wucher wirksame Concurrenz zu machen und so den enormen
Procentsatz herabzudrücken. Ohne zu schwarz zu malen, kann man es aus¬
sprechen: es ist die permanente Verzweiflung, in welcher der größte Theil der
waideckschcn Landleute schwebt, und Advocaten und Juden wetteifern, dieselbe
auszunutzen. Besonders die letzteren, und oft schlimmer noch ihre christlichen
Genossen, verstehen das Geschäft aus dem Grunde. Ein Bauer ist in Geld¬
verlegenheit, er wendet sich an seinen vertrauten Freund N. N. Nach längerem
Bitten erhält er das Darlehen, aber eine beträchtliche Anzahl Procente wird
von vornherein als Zinsen abgezogen, ein Theil in klingender Münze bezahlt,
der Nest dem Bedrängten in einem entsprechenden Quantum Waare aufge¬
drungen, Waare d. h. in den meisten Fällen ein magen- und hinizcrreißender
Branntwein. Natürlich kann der Bauer den festgesetzten Rückzahlungstermin
nicht einhalten, der vertraute Freund erscheint und nimmt als Aequivalent für
die vorgestreckte Summe, was an Früchten, Vieh und dergleichen zu bekommen
ist; ein etwaiger Ueberschuß art durch ein abermaliges Faß Branntwein ver¬
golten. Unmöglich also, daß bei solcher Wirthschaft der Bauer sich die günstigen
Chancen des Kornmarkts zu Nutze machen, unmöglich aber auch, daß er die
Kraft der Selbsterhaltrmg, den Glauben an sich selbst bewahren kann. Keine
Secunde ohne die quälendsten Sorgen, — er darf sie nicht ausdenken, er greift
zur Flasche und — geht zu Grunde.

Auf diesem Wege ist ein ganzer Strich des Fürstenthums, das sogenannte
Upland, an den Rand des physischen und moralischen Verderbens gerathen.
Es ist ein herzzerreißender Anblick: die de'hen, kräftigen Gestalten dieses Wald¬
gebirges, mit der derben Sprache und den treuen Augen, genickt und entnervt,
das heranwachsende Geschlecht verkümmert und verdorben, sie allesammt ohne
die tröstende Gewißheit einer besseren Zukunft, nur mit der Aussicht, dem auf-
saugenden Wucher auch mit der letzten Scholle Landes zu verfallen. Kaum
scheint es möglich, als könnte dem äußersten Elende anders als durch eine
Art Latifundienbildung gewehrt werden, — Und wie hier im Uplcmde in grellen
Farben aufgetragen, so liegen die Dinge mehr oder weniger überall; schon die
unverhälinißmäßig große Anzahl bäuerlicher Concurse mag eine Ahnung davon
geben. Die Staatsthätigleit aber steht, so scheint es, diesen Thatsachen in
vollendeter Impotenz gegenüber. Der aus freier Vereinigung hervorgegangene
„Landwirthsebaflliche Verein" macht wenigstens Versuche zur Besserung; fieilich
genügen weder die Mittel noch die persönlichen Kräfte der ungeheuren Aus¬
gabe. Die Negierung aber scheint alles Vertrauen verloren zu haben. Zwar,
der Wahrheit die Ehre, auch sie hat Versuche gemacht: bereits vor mehr denn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/62>, abgerufen am 22.07.2024.