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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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mit Wald bedeckt. Was übrig bleibt, ohne als Wiese und Weide zu dienen,
ist dem Pfluge und Spaten des ackerbauenden Standes unterworfen. Er
ist die Basis und der weit überwiegende Bestandtheil der waideckschen Bevöl¬
kerung, begreiflich also, daß die gesammte Staatsthätigkeit zumeist auf die
Wahrnehmung seiner Interessen bedacht sein muß. So bekam denn auch die
Bewegung des Jahres 1848 von dieser Seite her für uns ihre große Bedeu¬
tung. Dem Bauernstande, bis dahin auch hier sehr abhängig und bedrückt,
wurde durch eine Reihe von Ablösungsgesetzen die Möglichkeit geboten, sich der
feudalen Belastungen zu entledigen, und zwar unter für ihn so überaus gün¬
stigen Bedingungen, daß es nicht Wunder nehmen kann, wenn er, unterstützt
noch durch eine eigens zu diesem Zwecke errichtete Landrentenbank, bereits 1860
sich bis auf einen geringen Rest von allen mittelalterlichen Schranken befreit
hatte. Gewiß ein sehr erfreuliches Resultat und von hervorragendster Bedeu¬
tung: konnte doch erst so der Kern der Bevölkerung, das Fundament des
Staatsgebäudes, die wirkliche Kraft der Selbsterhaltung erlangen! Aber, das
ist das Unheil der Kleinstaaterei: jede große, wahrhaft reformatorische Maßregel
hat hier zugleich ihre verderbliche Seite. Während man dem Bauer die Existenz
ermöglichte, untergrub man die Lebensbedingungen der Kirche und Schule. Die
Dotation der Pfarrer- und Lehrerstellen beruhte zum größten Theile auf bäuer¬
lichen Abgaben. Schon bisher nicht glänzend, wurde sie nach der Ablösung
gradezu kümmerlich. Hatte man doch in den einschlägigen Gesetzen zum Zwecke
der Gehaltefixirung nicht etwa eine bewegliche scena, noch einen die künftigen
Preisveränderungen berücksichtigenden Procentsatz, sondern die niedrige Kammer-
taxe zu Grunde gelegt. Natürlich, daß das Sinken des Geldpreises, anderer¬
seits die Vertheuerung der Lebensmittel, das Wachsen der socialen Bedürfnisse
die Besoldung zu der Stellung ganz außer Verhältniß setzte. Anderweitige
Hilfsquellen aber, dieser Ccilanutät zu steuern, waren schlechterdings nicht vor¬
handen, -- was Wunder da, wenn zum Studium der Theologie niemand mehr
Lust verspürte, wenn die fähigsten Schulamtscandidaten über die Grenze gingen?
Erst in der letzten Session des Landtags ist man auf eine gerechtere Normirung
der Gehalte bedacht gewesen. Wie aber die Mittel zur Ausführung zu be¬
schaffen, mag die Finanzverwaltung ausfindig machen. -- Doch bleiben wir
vorerst bei den Bauern! Nicht allein die mancherlei drückenden Abgaben waren
zu beseitigen; um den Landmann wirklich frei zu machen, ward zugleich die
Geschlossenheit der Bauergüter aufgehoben. Auch hier aber verwehrte die Eng¬
herzigkeit der kleinlichen und bedrängten Verhältnisse die volle Ausdehnung der
liberalen Maßregel. Ausdrücklich wurde die Bestimmung getroffen, daß Ver¬
äußerungsverträge über bäuerliche Grundstücke wie bisher der gerichtlichen Be¬
stätigung bedürfen, -- und sie wird ausgeübt bis auf den heutigen Tag,
obgleich sie nach vollendeter Ablösung vollkommen unberechtigt ist und jedes


mit Wald bedeckt. Was übrig bleibt, ohne als Wiese und Weide zu dienen,
ist dem Pfluge und Spaten des ackerbauenden Standes unterworfen. Er
ist die Basis und der weit überwiegende Bestandtheil der waideckschen Bevöl¬
kerung, begreiflich also, daß die gesammte Staatsthätigkeit zumeist auf die
Wahrnehmung seiner Interessen bedacht sein muß. So bekam denn auch die
Bewegung des Jahres 1848 von dieser Seite her für uns ihre große Bedeu¬
tung. Dem Bauernstande, bis dahin auch hier sehr abhängig und bedrückt,
wurde durch eine Reihe von Ablösungsgesetzen die Möglichkeit geboten, sich der
feudalen Belastungen zu entledigen, und zwar unter für ihn so überaus gün¬
stigen Bedingungen, daß es nicht Wunder nehmen kann, wenn er, unterstützt
noch durch eine eigens zu diesem Zwecke errichtete Landrentenbank, bereits 1860
sich bis auf einen geringen Rest von allen mittelalterlichen Schranken befreit
hatte. Gewiß ein sehr erfreuliches Resultat und von hervorragendster Bedeu¬
tung: konnte doch erst so der Kern der Bevölkerung, das Fundament des
Staatsgebäudes, die wirkliche Kraft der Selbsterhaltung erlangen! Aber, das
ist das Unheil der Kleinstaaterei: jede große, wahrhaft reformatorische Maßregel
hat hier zugleich ihre verderbliche Seite. Während man dem Bauer die Existenz
ermöglichte, untergrub man die Lebensbedingungen der Kirche und Schule. Die
Dotation der Pfarrer- und Lehrerstellen beruhte zum größten Theile auf bäuer¬
lichen Abgaben. Schon bisher nicht glänzend, wurde sie nach der Ablösung
gradezu kümmerlich. Hatte man doch in den einschlägigen Gesetzen zum Zwecke
der Gehaltefixirung nicht etwa eine bewegliche scena, noch einen die künftigen
Preisveränderungen berücksichtigenden Procentsatz, sondern die niedrige Kammer-
taxe zu Grunde gelegt. Natürlich, daß das Sinken des Geldpreises, anderer¬
seits die Vertheuerung der Lebensmittel, das Wachsen der socialen Bedürfnisse
die Besoldung zu der Stellung ganz außer Verhältniß setzte. Anderweitige
Hilfsquellen aber, dieser Ccilanutät zu steuern, waren schlechterdings nicht vor¬
handen, — was Wunder da, wenn zum Studium der Theologie niemand mehr
Lust verspürte, wenn die fähigsten Schulamtscandidaten über die Grenze gingen?
Erst in der letzten Session des Landtags ist man auf eine gerechtere Normirung
der Gehalte bedacht gewesen. Wie aber die Mittel zur Ausführung zu be¬
schaffen, mag die Finanzverwaltung ausfindig machen. — Doch bleiben wir
vorerst bei den Bauern! Nicht allein die mancherlei drückenden Abgaben waren
zu beseitigen; um den Landmann wirklich frei zu machen, ward zugleich die
Geschlossenheit der Bauergüter aufgehoben. Auch hier aber verwehrte die Eng¬
herzigkeit der kleinlichen und bedrängten Verhältnisse die volle Ausdehnung der
liberalen Maßregel. Ausdrücklich wurde die Bestimmung getroffen, daß Ver¬
äußerungsverträge über bäuerliche Grundstücke wie bisher der gerichtlichen Be¬
stätigung bedürfen, — und sie wird ausgeübt bis auf den heutigen Tag,
obgleich sie nach vollendeter Ablösung vollkommen unberechtigt ist und jedes


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[0059] mit Wald bedeckt. Was übrig bleibt, ohne als Wiese und Weide zu dienen, ist dem Pfluge und Spaten des ackerbauenden Standes unterworfen. Er ist die Basis und der weit überwiegende Bestandtheil der waideckschen Bevöl¬ kerung, begreiflich also, daß die gesammte Staatsthätigkeit zumeist auf die Wahrnehmung seiner Interessen bedacht sein muß. So bekam denn auch die Bewegung des Jahres 1848 von dieser Seite her für uns ihre große Bedeu¬ tung. Dem Bauernstande, bis dahin auch hier sehr abhängig und bedrückt, wurde durch eine Reihe von Ablösungsgesetzen die Möglichkeit geboten, sich der feudalen Belastungen zu entledigen, und zwar unter für ihn so überaus gün¬ stigen Bedingungen, daß es nicht Wunder nehmen kann, wenn er, unterstützt noch durch eine eigens zu diesem Zwecke errichtete Landrentenbank, bereits 1860 sich bis auf einen geringen Rest von allen mittelalterlichen Schranken befreit hatte. Gewiß ein sehr erfreuliches Resultat und von hervorragendster Bedeu¬ tung: konnte doch erst so der Kern der Bevölkerung, das Fundament des Staatsgebäudes, die wirkliche Kraft der Selbsterhaltung erlangen! Aber, das ist das Unheil der Kleinstaaterei: jede große, wahrhaft reformatorische Maßregel hat hier zugleich ihre verderbliche Seite. Während man dem Bauer die Existenz ermöglichte, untergrub man die Lebensbedingungen der Kirche und Schule. Die Dotation der Pfarrer- und Lehrerstellen beruhte zum größten Theile auf bäuer¬ lichen Abgaben. Schon bisher nicht glänzend, wurde sie nach der Ablösung gradezu kümmerlich. Hatte man doch in den einschlägigen Gesetzen zum Zwecke der Gehaltefixirung nicht etwa eine bewegliche scena, noch einen die künftigen Preisveränderungen berücksichtigenden Procentsatz, sondern die niedrige Kammer- taxe zu Grunde gelegt. Natürlich, daß das Sinken des Geldpreises, anderer¬ seits die Vertheuerung der Lebensmittel, das Wachsen der socialen Bedürfnisse die Besoldung zu der Stellung ganz außer Verhältniß setzte. Anderweitige Hilfsquellen aber, dieser Ccilanutät zu steuern, waren schlechterdings nicht vor¬ handen, — was Wunder da, wenn zum Studium der Theologie niemand mehr Lust verspürte, wenn die fähigsten Schulamtscandidaten über die Grenze gingen? Erst in der letzten Session des Landtags ist man auf eine gerechtere Normirung der Gehalte bedacht gewesen. Wie aber die Mittel zur Ausführung zu be¬ schaffen, mag die Finanzverwaltung ausfindig machen. — Doch bleiben wir vorerst bei den Bauern! Nicht allein die mancherlei drückenden Abgaben waren zu beseitigen; um den Landmann wirklich frei zu machen, ward zugleich die Geschlossenheit der Bauergüter aufgehoben. Auch hier aber verwehrte die Eng¬ herzigkeit der kleinlichen und bedrängten Verhältnisse die volle Ausdehnung der liberalen Maßregel. Ausdrücklich wurde die Bestimmung getroffen, daß Ver¬ äußerungsverträge über bäuerliche Grundstücke wie bisher der gerichtlichen Be¬ stätigung bedürfen, — und sie wird ausgeübt bis auf den heutigen Tag, obgleich sie nach vollendeter Ablösung vollkommen unberechtigt ist und jedes

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/59>, abgerufen am 03.07.2024.