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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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Sammlung am Dönhofsplatze: "Meine geliebten Zuhörer in Christo" anzureden.
Die freilich nach und nach dünner werdende Schaar der Vvllsvereinler in
Würtemberg bewundert Sie, und die schwäbische" Blätter, welche bisher unter
der Devise fochten: "Lieber französisch als preußisch" (d. i. deutsch), verehren Sie
als Gesinnungsgenossen, unbekümmert darum, ob Ihnen solche Bruderschaft recht sei.

Man darf sich nicht darüber wundern, daß alle diese widerstrebenden Par¬
teien sich auf einen gemeinsamen Namen einigen. Dies ist das Loos d>sva-
rater Gewalten, welche sich Plötzlich gegenüber einem neuen, mächtig empor¬
strebenden Dritten sehen und eine bange Ahnung ihres demnächstigen Unter¬
ganges fühlen. Als in Deutschland der Mittelstand, die Bürger und Bauern,
ansingen, durch ihren Fleiß und ihr Geschick eine mächtige Stellung einzuneh¬
men, die traditionellen Irrthümer des Mittelalters und der canonistischen Welt¬
anschauung abzulegen, und das Freihandelssystem und andere rationelle Lehren
der volkswirtschaftlichen Wissenschaft zu adoptiren, da lehnte sich nicht nur
der socialistische Apostel Lassalle dagegen auf, sondern es schloß sich ihm auch
eine ganze Reihe von extremen Parteien, welche dem Mittelstande grollen, weil
sie keinen Boden in ihm haben, mehr oder weniger offen an. Der Freiherr
Wilhelm Emanuel von Ketteler, Bischof von Mainz. Thron-Assistent Seiner
Heiligkeit des Papstes, Haupt der Sanfcdisten in Deutschland, machte plötzlich
volkswirtschaftliche Studien. Er schrieb ein Buch über die "Arbeiterfrage",
in welchem er mit Lassalle kokettirt und Schulze-Delitsch, den berühmten Ur¬
heber der modernen Genossenschaften, anfeindet; in gleicher Richtung bewegte
sich der Geheimrath Wagener, der Führer der Feudalen, und der Hohepriester
des Zunstzopfes, der Schuster Pause in Berlin, der, welcher damals von den preu¬
ßischen Konservativen auffallend begönne,: wurde, zwischenzeitig aber wieder in sein
Dunkel zurückgesunken ist. Alle diese Schichten wurden plötzlich Anbeter jenes
Fetisches, welchen man "Proletariat" nennt, und von welchem sie flüher nichts
hatten wissen wollen.

Es ist mir, und nicht mir Min, aufrichtig leid, daß die centrifugalen und
antinationalen Gewalten in Deutschland gegenwärtig Sie zum Gegenstande
solcher Huldigungen auserkoren hätten. Erlauben Sie mir, Ihnen eine Probe
von der süddeutschen Demokratie zu geben, wie sie z. B. in dem officiellen
Organ derselben vertreten ist, das sich betitelt: "Der Beobachter, ein Volks¬
blatt aus Schwaben" und in Stuttgart erscheint.

Als in diesen Wochen die Nachricht durch die Zeitungen ging, der Landtag
in Weimar wolle im Interesse des Landeshaushalts ein paar Tausend Thaler
an der Civilliste kürzen, fand sich dieses Bolksblatt, das so oft die Republik
gepriesen, veranlaßt, "seiner treuen Eckardts *)-Rolle gemäß mit dem Finger auf



") Es ist wohl der Prof. Ludwig Eckardt in Mannheim gemeint, welcher zusammen mit
Oesterlen und Trabert die süddeutschen Volksvereine gestiftet hat?

Sammlung am Dönhofsplatze: „Meine geliebten Zuhörer in Christo" anzureden.
Die freilich nach und nach dünner werdende Schaar der Vvllsvereinler in
Würtemberg bewundert Sie, und die schwäbische» Blätter, welche bisher unter
der Devise fochten: „Lieber französisch als preußisch" (d. i. deutsch), verehren Sie
als Gesinnungsgenossen, unbekümmert darum, ob Ihnen solche Bruderschaft recht sei.

Man darf sich nicht darüber wundern, daß alle diese widerstrebenden Par¬
teien sich auf einen gemeinsamen Namen einigen. Dies ist das Loos d>sva-
rater Gewalten, welche sich Plötzlich gegenüber einem neuen, mächtig empor¬
strebenden Dritten sehen und eine bange Ahnung ihres demnächstigen Unter¬
ganges fühlen. Als in Deutschland der Mittelstand, die Bürger und Bauern,
ansingen, durch ihren Fleiß und ihr Geschick eine mächtige Stellung einzuneh¬
men, die traditionellen Irrthümer des Mittelalters und der canonistischen Welt¬
anschauung abzulegen, und das Freihandelssystem und andere rationelle Lehren
der volkswirtschaftlichen Wissenschaft zu adoptiren, da lehnte sich nicht nur
der socialistische Apostel Lassalle dagegen auf, sondern es schloß sich ihm auch
eine ganze Reihe von extremen Parteien, welche dem Mittelstande grollen, weil
sie keinen Boden in ihm haben, mehr oder weniger offen an. Der Freiherr
Wilhelm Emanuel von Ketteler, Bischof von Mainz. Thron-Assistent Seiner
Heiligkeit des Papstes, Haupt der Sanfcdisten in Deutschland, machte plötzlich
volkswirtschaftliche Studien. Er schrieb ein Buch über die „Arbeiterfrage",
in welchem er mit Lassalle kokettirt und Schulze-Delitsch, den berühmten Ur¬
heber der modernen Genossenschaften, anfeindet; in gleicher Richtung bewegte
sich der Geheimrath Wagener, der Führer der Feudalen, und der Hohepriester
des Zunstzopfes, der Schuster Pause in Berlin, der, welcher damals von den preu¬
ßischen Konservativen auffallend begönne,: wurde, zwischenzeitig aber wieder in sein
Dunkel zurückgesunken ist. Alle diese Schichten wurden plötzlich Anbeter jenes
Fetisches, welchen man „Proletariat" nennt, und von welchem sie flüher nichts
hatten wissen wollen.

Es ist mir, und nicht mir Min, aufrichtig leid, daß die centrifugalen und
antinationalen Gewalten in Deutschland gegenwärtig Sie zum Gegenstande
solcher Huldigungen auserkoren hätten. Erlauben Sie mir, Ihnen eine Probe
von der süddeutschen Demokratie zu geben, wie sie z. B. in dem officiellen
Organ derselben vertreten ist, das sich betitelt: „Der Beobachter, ein Volks¬
blatt aus Schwaben" und in Stuttgart erscheint.

Als in diesen Wochen die Nachricht durch die Zeitungen ging, der Landtag
in Weimar wolle im Interesse des Landeshaushalts ein paar Tausend Thaler
an der Civilliste kürzen, fand sich dieses Bolksblatt, das so oft die Republik
gepriesen, veranlaßt, „seiner treuen Eckardts *)-Rolle gemäß mit dem Finger auf



") Es ist wohl der Prof. Ludwig Eckardt in Mannheim gemeint, welcher zusammen mit
Oesterlen und Trabert die süddeutschen Volksvereine gestiftet hat?
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/514>, abgerufen am 22.07.2024.