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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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"Aber Mährenländer wirds feine mehr geben!"

"Ja, so lang alles beim Alten bleibt, so lang die Neuerer nur einzeln
dastehen und allgemein verachtet sind."

"Ich dürfte hundert Gulden wetten, daß so eine Verfolgung und Ver¬
treibung nicht mehr möglich wäre," rief der Zimmermann.

"Und ich setzte lieber aufs Gegentheil. Aber nicht hundert Gulden,
lieber unsere beste Kraft wollen wir auf und für das Volk und seine Erlösung einsetzen."

"Es lebe die Freiheit!" riefen Alle und die Gläser klangen. Dann ward
es einen Augenblick wunderbar still. Jetzt fingen die ernsten Tannen da droben
an der Berghalde ganz eigenthümlich zu brummen an, die im abendlichen Halb-
dunkel wie verschneit dastehenden älteren Obstbäume begannen sich unwillig zu
schütteln, und ich hatte das Gefühl: So ein Ruf müsse in diesem Thale wohl
lange nicht gehört worden sein.

Jetzt kam ein Grenzjäger zu uns ins Brauhaus. Er war hergebeten worden,
damit er die von der Finanzwache geschlossene Bierpfanne morgen zu einem
Suet entsiegele und nichts unbesteucrt ins Faß rinnen lassen möge.

Meine Freunde schlichen von den noch nicht ganz leeren Gläsern weg.
Auch ich ging, obwohl ich zum Schlafen noch nicht in der rechten Gemüths¬
verfassung war.

Am Berg neben dem Dorf auf einem kleinen Felsen etwas ab den Häusern
war ich schon als Knabe besonders gern gesessen, hatte eine Haushaltung nach
der andern an mir vorbeiziehen lassen oder Ereignisse in die Häuser hinein¬
gedichtet, um etwas mehr Leben da hinab zu bringen und die Leute mir han¬
delnd zu. vergegenwärtigen. Hier saß ich auch heute auf einem moosbedeckten
Stein unter den dichtbelaubten Aesten einer hohlen Buche, und meine nach allen
Richtungen eilenden Gedanken hatten bald die ganze Gemeinde um mich her
versammelt. Jeder erzählte, Keiner wollte auch dem Andern das Wort gönnen,
um seine Angelegenheiten vorzubringen. Mir ward angst und ich begleitete sie
in Gedanken wieder in ihre Häuser, wo ich so viel Glück und Unglück beisammen
sah, wie ich mir es früher nie eingebildet hatte. Ach, Allen wünschte ich etwas
zu sagen, dem verknöcherten Frömmler, der sich und Andern jede Freude ver¬
darb und dem nur Klugen dort, der sein Talent in Thaler zu verwandeln suchte.
In diesem Augenblick hätte ich denen da unten -- eine Bergpredigt halten mögen.
Etwas Unaussprechliches, ich möchte sagen Göttliches hatte sich in mir geregt;
aber zugleich erwachte auch das Gefühl, daß das zu groß sei für mein Dorf
und seine kleinlichen Verhältnisse. Ich dachte wieder an die Brücke, von
welcher der Zimmermann gesagt hatte. Es wäre wohl schön gewesen; aber
noch sah ich selbst den schwachen Nothsteg in Gefahr, über den ich mich gewagt
hatte, ohne mich zu fragen, was wohl die Studirten und Zünftigen sagen
würden, wenn ich wirklich drüben ans Land kommen sollte.


„Aber Mährenländer wirds feine mehr geben!"

„Ja, so lang alles beim Alten bleibt, so lang die Neuerer nur einzeln
dastehen und allgemein verachtet sind."

„Ich dürfte hundert Gulden wetten, daß so eine Verfolgung und Ver¬
treibung nicht mehr möglich wäre," rief der Zimmermann.

„Und ich setzte lieber aufs Gegentheil. Aber nicht hundert Gulden,
lieber unsere beste Kraft wollen wir auf und für das Volk und seine Erlösung einsetzen."

„Es lebe die Freiheit!" riefen Alle und die Gläser klangen. Dann ward
es einen Augenblick wunderbar still. Jetzt fingen die ernsten Tannen da droben
an der Berghalde ganz eigenthümlich zu brummen an, die im abendlichen Halb-
dunkel wie verschneit dastehenden älteren Obstbäume begannen sich unwillig zu
schütteln, und ich hatte das Gefühl: So ein Ruf müsse in diesem Thale wohl
lange nicht gehört worden sein.

Jetzt kam ein Grenzjäger zu uns ins Brauhaus. Er war hergebeten worden,
damit er die von der Finanzwache geschlossene Bierpfanne morgen zu einem
Suet entsiegele und nichts unbesteucrt ins Faß rinnen lassen möge.

Meine Freunde schlichen von den noch nicht ganz leeren Gläsern weg.
Auch ich ging, obwohl ich zum Schlafen noch nicht in der rechten Gemüths¬
verfassung war.

Am Berg neben dem Dorf auf einem kleinen Felsen etwas ab den Häusern
war ich schon als Knabe besonders gern gesessen, hatte eine Haushaltung nach
der andern an mir vorbeiziehen lassen oder Ereignisse in die Häuser hinein¬
gedichtet, um etwas mehr Leben da hinab zu bringen und die Leute mir han¬
delnd zu. vergegenwärtigen. Hier saß ich auch heute auf einem moosbedeckten
Stein unter den dichtbelaubten Aesten einer hohlen Buche, und meine nach allen
Richtungen eilenden Gedanken hatten bald die ganze Gemeinde um mich her
versammelt. Jeder erzählte, Keiner wollte auch dem Andern das Wort gönnen,
um seine Angelegenheiten vorzubringen. Mir ward angst und ich begleitete sie
in Gedanken wieder in ihre Häuser, wo ich so viel Glück und Unglück beisammen
sah, wie ich mir es früher nie eingebildet hatte. Ach, Allen wünschte ich etwas
zu sagen, dem verknöcherten Frömmler, der sich und Andern jede Freude ver¬
darb und dem nur Klugen dort, der sein Talent in Thaler zu verwandeln suchte.
In diesem Augenblick hätte ich denen da unten — eine Bergpredigt halten mögen.
Etwas Unaussprechliches, ich möchte sagen Göttliches hatte sich in mir geregt;
aber zugleich erwachte auch das Gefühl, daß das zu groß sei für mein Dorf
und seine kleinlichen Verhältnisse. Ich dachte wieder an die Brücke, von
welcher der Zimmermann gesagt hatte. Es wäre wohl schön gewesen; aber
noch sah ich selbst den schwachen Nothsteg in Gefahr, über den ich mich gewagt
hatte, ohne mich zu fragen, was wohl die Studirten und Zünftigen sagen
würden, wenn ich wirklich drüben ans Land kommen sollte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/501>, abgerufen am 22.07.2024.