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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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jährigen Bauern. Viele meinten, er müsse die Auszehrung oder sonst eine
Krankheit haben, denn nur die Mutter hatte es schon damals vom Pfarrer ge¬
hört, daß Leuten, die Gartenlaube und derlei Sachen lasen, gar bald die Ruhe
des Gewissens und die Gnade Gottes fehle. O manche Thräne hat die gute
Mutter geweint wegen ihrem Verlornen Sohn, aber sie vermochte doch nicht so
hart gegen mich zu sein, wie es von ihr gefordert und ihr sogar zur Pflicht ge¬
macht wurde. Wir beide verstanden uns oft nicht recht, aber jedes fühlte inner¬
lich, daß das Andere es herzlich gut meine -- das band und trennte uns fast
jeden Tag. Mit der Gemeinde war es, wie gesagt, beinahe das Nämliche, nur
daß die für mich denn doch nicht das Herz der Mutter hatte. Man konnte
mich nicht schlecht nennen, und doch war ich Keinem recht; drum wollten sogar
die mir den Meister zeigen auf jede Art, die sonst Wohl keinem Menschen einreden
durften. Die traurigsten Tage waren die, welche in andern Häusern die fröh¬
lichsten sind, nämlich wenn die Verwandten und Bekannte<uns besuchten und
erzählten, wie oft und oft sie meinetwegen vor dem Pfarrer und vor andern
vernünftigen Leuten hätten schamroth werden müssen. Wenn man mir doch
nur das erste Buch auf den Händen verbrannt hätte, statt wie der sonst doch
so vernünftige Vater selig im letzten Lebensjahr meine närrische Leserei halbe
Nächte lang mitzumachen. Doch genug von dem! Jetzt ist die Mutter guter
Dinge und trägt meinen Jakob herum, während mein auch ihr so liebes
Wible die Hausarbeit verrichtet."

"Grade so wird sichs bald auch im Dorfe verändern," behauptete der
Zimmermann.

"Nach meiner Ansicht," sagte ich, "gehört nur das dem Menschen wirklich
und ganz zu, was er selbst sich erkämpft hat. Glaubt ja nicht, daß die Seg¬
nungen unseres Jahrhunderts dem aus jede Weise abgeschlossenen Bregenzer¬
wald so mir nichts dir nichts in den Schoß fallen werden. Wenn ich je
werde, was ich sein möchte, so hab ich den Frieden mit der Gemeinde noch
nicht so bald zu erwarten. Aber wenn sichs nur regt! Wir halten zusammen
für Wahrheit und Recht und Wenns uns auch beinahe gehen sollte, wie den
Mährenländern in An."

"Das müßte man jetzt nicht mehr fürchten, wenn man auch wirklich ein
Ketzer und Irrlehrer wäre."

Ich zweifelte: "Ihr wißt, wie unsere jungen Geistlichen jeden Gedanken,
jede freiere Regung, selbst die unschuldigste mit allen menschenmöglichen Mitteln
niederhalten."

"Die sind denn doch nicht das Volk."

"Aber sie haben es völlig im Sack. Jeder Einzelne gehört ihnen vom
ersten Tage seines Lebens bis zum letzten Willen und zur letzten Oelung,
wenn nicht ein Wunder geschieht, was heutzutage sehr selten ist."


jährigen Bauern. Viele meinten, er müsse die Auszehrung oder sonst eine
Krankheit haben, denn nur die Mutter hatte es schon damals vom Pfarrer ge¬
hört, daß Leuten, die Gartenlaube und derlei Sachen lasen, gar bald die Ruhe
des Gewissens und die Gnade Gottes fehle. O manche Thräne hat die gute
Mutter geweint wegen ihrem Verlornen Sohn, aber sie vermochte doch nicht so
hart gegen mich zu sein, wie es von ihr gefordert und ihr sogar zur Pflicht ge¬
macht wurde. Wir beide verstanden uns oft nicht recht, aber jedes fühlte inner¬
lich, daß das Andere es herzlich gut meine — das band und trennte uns fast
jeden Tag. Mit der Gemeinde war es, wie gesagt, beinahe das Nämliche, nur
daß die für mich denn doch nicht das Herz der Mutter hatte. Man konnte
mich nicht schlecht nennen, und doch war ich Keinem recht; drum wollten sogar
die mir den Meister zeigen auf jede Art, die sonst Wohl keinem Menschen einreden
durften. Die traurigsten Tage waren die, welche in andern Häusern die fröh¬
lichsten sind, nämlich wenn die Verwandten und Bekannte<uns besuchten und
erzählten, wie oft und oft sie meinetwegen vor dem Pfarrer und vor andern
vernünftigen Leuten hätten schamroth werden müssen. Wenn man mir doch
nur das erste Buch auf den Händen verbrannt hätte, statt wie der sonst doch
so vernünftige Vater selig im letzten Lebensjahr meine närrische Leserei halbe
Nächte lang mitzumachen. Doch genug von dem! Jetzt ist die Mutter guter
Dinge und trägt meinen Jakob herum, während mein auch ihr so liebes
Wible die Hausarbeit verrichtet."

„Grade so wird sichs bald auch im Dorfe verändern," behauptete der
Zimmermann.

„Nach meiner Ansicht," sagte ich, „gehört nur das dem Menschen wirklich
und ganz zu, was er selbst sich erkämpft hat. Glaubt ja nicht, daß die Seg¬
nungen unseres Jahrhunderts dem aus jede Weise abgeschlossenen Bregenzer¬
wald so mir nichts dir nichts in den Schoß fallen werden. Wenn ich je
werde, was ich sein möchte, so hab ich den Frieden mit der Gemeinde noch
nicht so bald zu erwarten. Aber wenn sichs nur regt! Wir halten zusammen
für Wahrheit und Recht und Wenns uns auch beinahe gehen sollte, wie den
Mährenländern in An."

„Das müßte man jetzt nicht mehr fürchten, wenn man auch wirklich ein
Ketzer und Irrlehrer wäre."

Ich zweifelte: „Ihr wißt, wie unsere jungen Geistlichen jeden Gedanken,
jede freiere Regung, selbst die unschuldigste mit allen menschenmöglichen Mitteln
niederhalten."

„Die sind denn doch nicht das Volk."

„Aber sie haben es völlig im Sack. Jeder Einzelne gehört ihnen vom
ersten Tage seines Lebens bis zum letzten Willen und zur letzten Oelung,
wenn nicht ein Wunder geschieht, was heutzutage sehr selten ist."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/500>, abgerufen am 22.07.2024.