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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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sichert und im Augenblicke kräftig genug, sein Recht zu schirmen. Wenn also
in Wien das Stichwort beliebt ist: Wir wollen alle wie die Ungarn, so ist das
zwar bezeichnend für die Elasticität des wiener Geistes, aber nicht ausreichend,
um die politische Operation darauf zu gründen. Es gilt, auch die Macht
zu einem solchen Wollen zu entwickeln. Ebensowenig können die Deutsch-
östreicher auf die Februarverfassung gleichsam wie auf ein festes Bollwerk hin¬
weisen, wo sie im schlimmsten Falle sich bergen könnten. Sie haben zwar die
Sistirung des Februarpatentes unter dem Ministerium Belcredi als die Quelle
alles Unheiles geschildert, bei den letzten Wahlen die Restitution desselben auf
ihre Fahne geschrieben und in diesem Zeichen auch gesiegt. Doch jetzt begnügen
sie sich mit einer "platonischen Liebe" zur Februarverfassung d. h. sie hat auf¬
gehört in lebendiger Weise zu gelten, sie wird den Förderalisten gegenüber als
Schild gebraucht, dem Dualismus aber geopfert!, sie besteht als wohlklingender
Name, hat aber keine thatsächliche Existenz mehr. Ohne Rückhalt im eigenen
Rechte, von den Ungarn wenig gefürchtet, matt umworben, sind die Deutsch-
östreicher zumeist auf den guten Willen der Regierung angewiesen. Was kann,
was will dieselbe ihnen an konstitutionellen Rechten bieten?

Herr von Beust sprach sich in der Adreßdebatte über die Verfassungsfrage
in folgender Weise aus: "Ich wurde in das große und schöne Reich berufen,
um dessen auswärtige Politik zu leiten. Daß ich bei der Verfolgung dieser
Aufgabe bald zu der Ueberzeugung gelangen mußte, Oestreichs Stellung nach
Außen, sein Einfluß, sein Credit sei nur dann wieder zu gewinnen, wenn die
Verständigung mit Ungarn zu einem entschiedenen Abschlüsse gebracht, gleich-
zeitig aber auch in den übrigen Ländern der Monarchie ein gesicherter verfassungs¬
mäßiger Zustand wieder hergestellt und ein freisinniges Regiment zur Geltung
gebracht wird, das hat wesentlich zu der Wendung beigetragen, die Europa mit
achtungsvollen Beifalle begrüßt hat." Diese glückliche Wendung offenbarte sich
bei dem luxemburger Streit. "Oestreich konnte bei diesem Anlasse nun erfolg¬
reich vermitteln, weil es einen Factor in den Berechnungen des Krieges oder
Friedens für beide streitende Theile bildete. Es hätte diesen Erfolg nimmer¬
mehr erreicht, wenn es eine brennende, offene innere Frage gehabt hätte, wie
es noch vor wenigen Monaten die ungarische war." Wir resumiren: dem
Minister des Aeußern lag der Ausgleich mit Ungarn am meisten am Herzen.
Für ihn war die Regelung der ungarischen Wirren eine Machtfrage. Ungarn
mußte um jeden Preis befriedigt werden, damit nicht die Gegner wie im Vori¬
gen Jahre aus der Unzufriedenheit des Volkes Capital schlagen, Oestreich seine
ungetheilte Kraft nach außen hin wenden könne. Wenn die Wiederherstellung der
ungarischen Verfassung nur zur Auffrischung der äußern Macht Oestreichs dient,
so wird folgerichtig das Verfassungsleben der andern Provinzen nur soweit es zu
diesem Zweck erforderlich erscheint, geordnet werden. Mit der Großmachtsstellung


sichert und im Augenblicke kräftig genug, sein Recht zu schirmen. Wenn also
in Wien das Stichwort beliebt ist: Wir wollen alle wie die Ungarn, so ist das
zwar bezeichnend für die Elasticität des wiener Geistes, aber nicht ausreichend,
um die politische Operation darauf zu gründen. Es gilt, auch die Macht
zu einem solchen Wollen zu entwickeln. Ebensowenig können die Deutsch-
östreicher auf die Februarverfassung gleichsam wie auf ein festes Bollwerk hin¬
weisen, wo sie im schlimmsten Falle sich bergen könnten. Sie haben zwar die
Sistirung des Februarpatentes unter dem Ministerium Belcredi als die Quelle
alles Unheiles geschildert, bei den letzten Wahlen die Restitution desselben auf
ihre Fahne geschrieben und in diesem Zeichen auch gesiegt. Doch jetzt begnügen
sie sich mit einer „platonischen Liebe" zur Februarverfassung d. h. sie hat auf¬
gehört in lebendiger Weise zu gelten, sie wird den Förderalisten gegenüber als
Schild gebraucht, dem Dualismus aber geopfert!, sie besteht als wohlklingender
Name, hat aber keine thatsächliche Existenz mehr. Ohne Rückhalt im eigenen
Rechte, von den Ungarn wenig gefürchtet, matt umworben, sind die Deutsch-
östreicher zumeist auf den guten Willen der Regierung angewiesen. Was kann,
was will dieselbe ihnen an konstitutionellen Rechten bieten?

Herr von Beust sprach sich in der Adreßdebatte über die Verfassungsfrage
in folgender Weise aus: „Ich wurde in das große und schöne Reich berufen,
um dessen auswärtige Politik zu leiten. Daß ich bei der Verfolgung dieser
Aufgabe bald zu der Ueberzeugung gelangen mußte, Oestreichs Stellung nach
Außen, sein Einfluß, sein Credit sei nur dann wieder zu gewinnen, wenn die
Verständigung mit Ungarn zu einem entschiedenen Abschlüsse gebracht, gleich-
zeitig aber auch in den übrigen Ländern der Monarchie ein gesicherter verfassungs¬
mäßiger Zustand wieder hergestellt und ein freisinniges Regiment zur Geltung
gebracht wird, das hat wesentlich zu der Wendung beigetragen, die Europa mit
achtungsvollen Beifalle begrüßt hat." Diese glückliche Wendung offenbarte sich
bei dem luxemburger Streit. „Oestreich konnte bei diesem Anlasse nun erfolg¬
reich vermitteln, weil es einen Factor in den Berechnungen des Krieges oder
Friedens für beide streitende Theile bildete. Es hätte diesen Erfolg nimmer¬
mehr erreicht, wenn es eine brennende, offene innere Frage gehabt hätte, wie
es noch vor wenigen Monaten die ungarische war." Wir resumiren: dem
Minister des Aeußern lag der Ausgleich mit Ungarn am meisten am Herzen.
Für ihn war die Regelung der ungarischen Wirren eine Machtfrage. Ungarn
mußte um jeden Preis befriedigt werden, damit nicht die Gegner wie im Vori¬
gen Jahre aus der Unzufriedenheit des Volkes Capital schlagen, Oestreich seine
ungetheilte Kraft nach außen hin wenden könne. Wenn die Wiederherstellung der
ungarischen Verfassung nur zur Auffrischung der äußern Macht Oestreichs dient,
so wird folgerichtig das Verfassungsleben der andern Provinzen nur soweit es zu
diesem Zweck erforderlich erscheint, geordnet werden. Mit der Großmachtsstellung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/493>, abgerufen am 22.07.2024.