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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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naiv natürlich, so poetisch lebendig, so gab es wohl keinen der Mitwirkenden,
keinen der Zuschauer, in welchem nicht Gedanken wuchtigen Ernstes, Empfin¬
dungen ergreifender Art rege wurden. Nach achtzehnjährigen Dulden und
Warten hatte das alte Recht doch endlich gesiegt. Wünsche, die längst begraben
waren, fanden ihre Erfüllung, Hoffnungen, längst aufgegeben, ihre Verwirkli¬
chung. Das Reich des heiligen Stephan feiert seine Auferstehung, die Unab¬
hängigkeit des Landes, das seit Jahrhunderten heiß ersehnte, niemals bisher
erreichte Ziel, ist eine festbegründete Thatsache geworden. Nicht die alte avitische
Verfassung gilt zwar in Ungarn, aber was an ihre Stelle tritt, sichert die alten
Rechte, fügt neue hinzu. Durch die Aufnahme moderner konstitutioneller For¬
men in die Verfassung ist derselben die Gewähr wirklicher Lebenskraft, einer
Dauer verliehen worden, ohne daß an ihrem Kern gerüttelt würde.

Die Krönung des Königs Franz Joseph bedeutet noch mehr als die
Wiederherstellung des altungarischen Landesrechtes: den förmlichen Bruch mit
den Traditionen der östreichischen Politik. Denn in diesem Falle ist die Krönung
keine bloße Ceremonie, die ohne weitere Besinnung durchgemacht wird, weil es
Herkommen und Gebrauch so wollen, sondern nach der langen Weigerung der
Fürsten, nach all den vorhergegangenen Ereignissen, ein wirklicher Staatsact.
Was Maria Theresia. Joseph der Zweite und Franz der Erste jeder in anderer
Art, jeder mit dem gleichen Eifer angestrebt haben, wird verdammt, für null
und nichtig erklärt. Vergebens waren ihre Bemühungen, den ungarischen
Sondergeist zu brechen, umsonst alle Versuche, durch einschmeichelndes Wohl¬
wollen, durch Gewaltacte, durch hinhaltende List die Verfassung zu unter¬
graben. Der Erbfeind.des östreichischen Staates, wie ihn die alten Staats¬
männer wenigstens auffaßten, der Dualismus hat gesiegt, ist das Grundgesetz des
Reiches geworden.

Ob nicht den Einen und Andern, die im Krönungszug pomphaft einher¬
schritten, der blutige Schatten Ludwig Batthyanis aufschreckte, der nichts An¬
deres wollte, als was heute der Fürst beschwört, die wiener Minister billigen,
die östreichischen Generale als nützlich und nothwendig anerkennen? Ob nicht,
als der ehemalige "Hochverräther" und gegenwärtige Ministerpräsident Gras
Andrassy mit lautem Rufe das I^'en g. LiiÄv ausbrachte und die Versamm¬
lung jubelnd in das Hoch auf den König einstimmte, die Märtyrer von Arad,
die gepeitschten Frauen, die von Haus und Hof verjagten Männer, die in die
Gefängnisse geschleppten Jünglinge wie ein Geisterchor durch die Krönungskirche
schwebten, sie alle jetzt gerechtfertigt in ihrem Beginnen, um so beklagens-
werther in ihrem entsetzlichen Schicksale.

Wenn diese Erinnerungen keinen Mißton in die festliche Stimmung, in den
lauten Jubel warfen, so kann es nur dadurch erklärt werden, daß die Ueber¬
zeugung allgemein herrscht: die Opfer waren nicht unnütz, ohne die absolute


naiv natürlich, so poetisch lebendig, so gab es wohl keinen der Mitwirkenden,
keinen der Zuschauer, in welchem nicht Gedanken wuchtigen Ernstes, Empfin¬
dungen ergreifender Art rege wurden. Nach achtzehnjährigen Dulden und
Warten hatte das alte Recht doch endlich gesiegt. Wünsche, die längst begraben
waren, fanden ihre Erfüllung, Hoffnungen, längst aufgegeben, ihre Verwirkli¬
chung. Das Reich des heiligen Stephan feiert seine Auferstehung, die Unab¬
hängigkeit des Landes, das seit Jahrhunderten heiß ersehnte, niemals bisher
erreichte Ziel, ist eine festbegründete Thatsache geworden. Nicht die alte avitische
Verfassung gilt zwar in Ungarn, aber was an ihre Stelle tritt, sichert die alten
Rechte, fügt neue hinzu. Durch die Aufnahme moderner konstitutioneller For¬
men in die Verfassung ist derselben die Gewähr wirklicher Lebenskraft, einer
Dauer verliehen worden, ohne daß an ihrem Kern gerüttelt würde.

Die Krönung des Königs Franz Joseph bedeutet noch mehr als die
Wiederherstellung des altungarischen Landesrechtes: den förmlichen Bruch mit
den Traditionen der östreichischen Politik. Denn in diesem Falle ist die Krönung
keine bloße Ceremonie, die ohne weitere Besinnung durchgemacht wird, weil es
Herkommen und Gebrauch so wollen, sondern nach der langen Weigerung der
Fürsten, nach all den vorhergegangenen Ereignissen, ein wirklicher Staatsact.
Was Maria Theresia. Joseph der Zweite und Franz der Erste jeder in anderer
Art, jeder mit dem gleichen Eifer angestrebt haben, wird verdammt, für null
und nichtig erklärt. Vergebens waren ihre Bemühungen, den ungarischen
Sondergeist zu brechen, umsonst alle Versuche, durch einschmeichelndes Wohl¬
wollen, durch Gewaltacte, durch hinhaltende List die Verfassung zu unter¬
graben. Der Erbfeind.des östreichischen Staates, wie ihn die alten Staats¬
männer wenigstens auffaßten, der Dualismus hat gesiegt, ist das Grundgesetz des
Reiches geworden.

Ob nicht den Einen und Andern, die im Krönungszug pomphaft einher¬
schritten, der blutige Schatten Ludwig Batthyanis aufschreckte, der nichts An¬
deres wollte, als was heute der Fürst beschwört, die wiener Minister billigen,
die östreichischen Generale als nützlich und nothwendig anerkennen? Ob nicht,
als der ehemalige „Hochverräther" und gegenwärtige Ministerpräsident Gras
Andrassy mit lautem Rufe das I^'en g. LiiÄv ausbrachte und die Versamm¬
lung jubelnd in das Hoch auf den König einstimmte, die Märtyrer von Arad,
die gepeitschten Frauen, die von Haus und Hof verjagten Männer, die in die
Gefängnisse geschleppten Jünglinge wie ein Geisterchor durch die Krönungskirche
schwebten, sie alle jetzt gerechtfertigt in ihrem Beginnen, um so beklagens-
werther in ihrem entsetzlichen Schicksale.

Wenn diese Erinnerungen keinen Mißton in die festliche Stimmung, in den
lauten Jubel warfen, so kann es nur dadurch erklärt werden, daß die Ueber¬
zeugung allgemein herrscht: die Opfer waren nicht unnütz, ohne die absolute


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/490>, abgerufen am 23.07.2024.