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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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paischen FestlandsPoMk gleich zu theilen. Uns Deutschen aber haben Kaiser
Napoleon und die Franzosen durch ihre Haltung vor wenig Wochen nahe gelegt,
jetzt daran zu denken, daß es lange her ist, seit ein König von Preußen zugleich
mit dem Kaiser von Rußland durch die Straßen von Paris fuhr. Damals, in
harter Kriegszeit, stand der Vater König Wilhelms freiwillig zurück neben der
glänzenden Gestalt Kaiser Alexanders. Der Kriegsherr des deutschen Bundes
darf höher von seiner Stellung unter den Fürsten Europas denken und wir
hoffen, jeder aus seiner Umgebung wird den Gedanken mit nach Paris nehmen,
daß seit dem Jahre 1814 sich die realen Machtverhältnisse Preußens wesentlich
geändert haben, Dank einer funfzigjährigen Arbeit des preußischen Volkes und
der Sorgfalt seiner Fürsten.

Es ist allerdings möglich, daß die Politik Europas für die nächste Zukunft
durch diese Fürstcnbesuche friedlicher, daß den Neubildungen in Deutschland wie
im Südosten Europas die Kriegsgefahr in größere Ferne gerückt wird. Aber
eine Bürgschaft dafür geben die realen Verhältnisse der Heimath so wenig
als die des Orients. Wir in Deutschland fühlen jetzt die Schranken, welche
die Verträge des Jahres 1866 nicht beseitigt oder neu aufgerichtet haben. Diese
Empfindung soll uns nicht undankbar machen gegen die großen Resultate, die
Wird cur Kampf und Friedensschluß verdanken. Aber die Stimmung ist nüchterner
geworden, und wie Menschennatur ist, auf das Gefühl der Befriedigung folgen
berechtigte neue Forderungen. Die sächsische und hessische Frage ist durch die
von Luxemburg abgelöst worden; jetzt ist die von Nordschleswig erhoben und
es drängt die schwierigste und heiklichste von allen, die der Mainlinie.

Die Minister der Südstaqten sind zu Vorverhandlungen über Reorgani¬
sation des Zollvereins in Berlin vereinigt, und Preußen ist bereits in der Lage,
dem deutschen Süden gegenüber seine Hauptkarte, die Zolleinheit, auszuspielen.
Innig wünschen wir dadurch eine schnelle Förderung der politischen Einheit
Deutschlands, aber wir wagen kaum noch die baldige Erfüllung unserer Wün¬
sche zu hoffen. Nach allem, was man von der Stimmung der südlichen Höfe
immer Baden ausgenommen -- wußte, war die Eile doch überraschend,
Mit welcher die Regierungen und Völker nach einer kurzen Aufwallung der
Furcht und des Patriotismus in ihr souveränes Selbstgefühl zurückgesunken sind.
Wohl klingt die preußische Behauptung gut, daß man in dem Zollverein ein
großes letztes Mittel zur Hand habe, sie an den deutschen Bund festzuschnüren,
Der Uebelstand ist nur, daß man hierbei das Correctiv. Kündigung der Zoll¬
verträge, nur im äußersten Nothfall gebrauchen kann. Die Zugehörigkeit zum
Zollverein ist eine Lebensfrage für den Süden und man darf annehmen, daß
dort keine Negierung, welche ihr Land dem Zollverein zu entziehen w^gte, gegen
Zorn und Noth der eigenen Bevölkerung bestehen könnte. Nicht ganz, ebenso
Würde die Wirkung sein, wenn Preußen seinerseits die Verträge kündigte oder


paischen FestlandsPoMk gleich zu theilen. Uns Deutschen aber haben Kaiser
Napoleon und die Franzosen durch ihre Haltung vor wenig Wochen nahe gelegt,
jetzt daran zu denken, daß es lange her ist, seit ein König von Preußen zugleich
mit dem Kaiser von Rußland durch die Straßen von Paris fuhr. Damals, in
harter Kriegszeit, stand der Vater König Wilhelms freiwillig zurück neben der
glänzenden Gestalt Kaiser Alexanders. Der Kriegsherr des deutschen Bundes
darf höher von seiner Stellung unter den Fürsten Europas denken und wir
hoffen, jeder aus seiner Umgebung wird den Gedanken mit nach Paris nehmen,
daß seit dem Jahre 1814 sich die realen Machtverhältnisse Preußens wesentlich
geändert haben, Dank einer funfzigjährigen Arbeit des preußischen Volkes und
der Sorgfalt seiner Fürsten.

Es ist allerdings möglich, daß die Politik Europas für die nächste Zukunft
durch diese Fürstcnbesuche friedlicher, daß den Neubildungen in Deutschland wie
im Südosten Europas die Kriegsgefahr in größere Ferne gerückt wird. Aber
eine Bürgschaft dafür geben die realen Verhältnisse der Heimath so wenig
als die des Orients. Wir in Deutschland fühlen jetzt die Schranken, welche
die Verträge des Jahres 1866 nicht beseitigt oder neu aufgerichtet haben. Diese
Empfindung soll uns nicht undankbar machen gegen die großen Resultate, die
Wird cur Kampf und Friedensschluß verdanken. Aber die Stimmung ist nüchterner
geworden, und wie Menschennatur ist, auf das Gefühl der Befriedigung folgen
berechtigte neue Forderungen. Die sächsische und hessische Frage ist durch die
von Luxemburg abgelöst worden; jetzt ist die von Nordschleswig erhoben und
es drängt die schwierigste und heiklichste von allen, die der Mainlinie.

Die Minister der Südstaqten sind zu Vorverhandlungen über Reorgani¬
sation des Zollvereins in Berlin vereinigt, und Preußen ist bereits in der Lage,
dem deutschen Süden gegenüber seine Hauptkarte, die Zolleinheit, auszuspielen.
Innig wünschen wir dadurch eine schnelle Förderung der politischen Einheit
Deutschlands, aber wir wagen kaum noch die baldige Erfüllung unserer Wün¬
sche zu hoffen. Nach allem, was man von der Stimmung der südlichen Höfe
immer Baden ausgenommen — wußte, war die Eile doch überraschend,
Mit welcher die Regierungen und Völker nach einer kurzen Aufwallung der
Furcht und des Patriotismus in ihr souveränes Selbstgefühl zurückgesunken sind.
Wohl klingt die preußische Behauptung gut, daß man in dem Zollverein ein
großes letztes Mittel zur Hand habe, sie an den deutschen Bund festzuschnüren,
Der Uebelstand ist nur, daß man hierbei das Correctiv. Kündigung der Zoll¬
verträge, nur im äußersten Nothfall gebrauchen kann. Die Zugehörigkeit zum
Zollverein ist eine Lebensfrage für den Süden und man darf annehmen, daß
dort keine Negierung, welche ihr Land dem Zollverein zu entziehen w^gte, gegen
Zorn und Noth der eigenen Bevölkerung bestehen könnte. Nicht ganz, ebenso
Würde die Wirkung sein, wenn Preußen seinerseits die Verträge kündigte oder


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/410>, abgerufen am 22.07.2024.