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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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näher dringendes Wolfsgeheul. Während er sein Gehirn mit Zweifeln abmartert,
ob wohl die Wölfe den hölzernen Kanzleirath oder die papiernen Acten fressen
wollen, oder gar beides, erwacht er, gebadet in Angstschweiß, und die Gattin
lispelt: "Ach Wilhelm, seit wir preußisch sind, hast Du keine ruhige Nacht
mehr; Gott gebe, daß es bald anders werde." "Schweig," ruft Wilhelm
der Gattin zu. "Du bringst uns noch ins Zuchthaus, weißt Du nicht, daß
in Preußen die Wände Ohren haben; und der schlechte Kanzlist Cigarctto paßt
mir ohnedies schon auf den Dienst und möchte mir die Schlappen austreten;
vor einem halben Jahr noch lief er alle drei Tage nach Rumpenheim, um sich
nach dem Befinden unserer allergnädigsten Frau Herzogin Adelheid zu erkun¬
digen, und jetzt kriecht er vor dem hergelaufenen Junker, dem ---". Ach, auf
dreihundert Stunden Wegs versetzt zu werden, ist doch auch gar zu schmerzlich.
Bisher konnte doch die Negierung selbst im Falle der äußersten Ungnade nicht
weiter gehen, als zehn Meilen. Denn weiter reichte ihr Gebiet nicht, und
unsere Bauern, wenn sie bildlich ausdrücken wollen, daß der böse Wille seine
Grenze in der Impotenz finde, sagen: "Einer Ziege gehört kein langer Schwanz."
Ein anderes Stillleben:

"Was soll aus uns werden," seufzt die sentimentale Tochter einer verwitt-
weten Geheimen Hof-Kammer-Rcithin, "betteln mag ich nicht und arbeiten hab'
ich nicht gelernt; und am Ende nimmt Dir der garstige Preuß' auch noch Deine
Pension." "Das wird er wohl bleiben lassen." erwidert die resolute Mutter,
"man läßt sich viel gefallen, aber daß man seine durch eine langjährige getreue
Pflichterfüllung -- Dein Vater selig ging jeden Tag drei geschlagene Stunden
auf das Bureau, und es kam sogar im Winter manchmal auch vor. daß er bei
Licht arbeitete -- im Schweiße seines Angesichts erworbene Pension soll ver¬
lieren, das läßt man sich nicht gefallen; das ist zu arg; und in dem Bcsitz-
ergreifungspatente heißt es "wohlerworbene Rechte und berechtigte Eigenthüm¬
lichkeiten" sollen bleiben; und wenn das keine berechtigte Eigenthümlichkeit ist
für eine arme Wittwe, die, abgesehen von der Pension, von ihren Zinsen
leben muß, die erfallcn von dem Bischen Capital, was Dein Vater selig durch
den Mäusefraß erworben hat, dann möcht' ich einmal wissen "was denn über¬
haupt nach der Meinung dieser Preußen da eine berechtigte Eigenthümlichkeit
sein soll." -- "Ja Mutter, das ist alles schön," seufzt Minchen; "aber, wenn Du
sterben solltest, was Gott verhüte, was soll aus einem armen jungen Mädchen
werden, das dann allein steht; Deine Pension hört dann auf, und ich bekomme
keine; unter dem guten Herzog hätte ich als eines hochverdienten Angestellten
hinterlassene Waise eine jährliche Unterstützung von ein paar Hundert Gulden
aus Staatsmitteln erhalten; aber wenn ich mir denke, bei dem Preuß' so etwas
nachzusuchen, das wäre mir schrecklich; denn man bekam'nichts". "Nun, nun,"
tröstet die Mutter, "mit Deiner Jugend hat's gute Wege, und ich bin doch


näher dringendes Wolfsgeheul. Während er sein Gehirn mit Zweifeln abmartert,
ob wohl die Wölfe den hölzernen Kanzleirath oder die papiernen Acten fressen
wollen, oder gar beides, erwacht er, gebadet in Angstschweiß, und die Gattin
lispelt: „Ach Wilhelm, seit wir preußisch sind, hast Du keine ruhige Nacht
mehr; Gott gebe, daß es bald anders werde." „Schweig," ruft Wilhelm
der Gattin zu. „Du bringst uns noch ins Zuchthaus, weißt Du nicht, daß
in Preußen die Wände Ohren haben; und der schlechte Kanzlist Cigarctto paßt
mir ohnedies schon auf den Dienst und möchte mir die Schlappen austreten;
vor einem halben Jahr noch lief er alle drei Tage nach Rumpenheim, um sich
nach dem Befinden unserer allergnädigsten Frau Herzogin Adelheid zu erkun¬
digen, und jetzt kriecht er vor dem hergelaufenen Junker, dem —-". Ach, auf
dreihundert Stunden Wegs versetzt zu werden, ist doch auch gar zu schmerzlich.
Bisher konnte doch die Negierung selbst im Falle der äußersten Ungnade nicht
weiter gehen, als zehn Meilen. Denn weiter reichte ihr Gebiet nicht, und
unsere Bauern, wenn sie bildlich ausdrücken wollen, daß der böse Wille seine
Grenze in der Impotenz finde, sagen: „Einer Ziege gehört kein langer Schwanz."
Ein anderes Stillleben:

„Was soll aus uns werden," seufzt die sentimentale Tochter einer verwitt-
weten Geheimen Hof-Kammer-Rcithin, „betteln mag ich nicht und arbeiten hab'
ich nicht gelernt; und am Ende nimmt Dir der garstige Preuß' auch noch Deine
Pension." „Das wird er wohl bleiben lassen." erwidert die resolute Mutter,
„man läßt sich viel gefallen, aber daß man seine durch eine langjährige getreue
Pflichterfüllung — Dein Vater selig ging jeden Tag drei geschlagene Stunden
auf das Bureau, und es kam sogar im Winter manchmal auch vor. daß er bei
Licht arbeitete — im Schweiße seines Angesichts erworbene Pension soll ver¬
lieren, das läßt man sich nicht gefallen; das ist zu arg; und in dem Bcsitz-
ergreifungspatente heißt es „wohlerworbene Rechte und berechtigte Eigenthüm¬
lichkeiten" sollen bleiben; und wenn das keine berechtigte Eigenthümlichkeit ist
für eine arme Wittwe, die, abgesehen von der Pension, von ihren Zinsen
leben muß, die erfallcn von dem Bischen Capital, was Dein Vater selig durch
den Mäusefraß erworben hat, dann möcht' ich einmal wissen „was denn über¬
haupt nach der Meinung dieser Preußen da eine berechtigte Eigenthümlichkeit
sein soll." — „Ja Mutter, das ist alles schön," seufzt Minchen; „aber, wenn Du
sterben solltest, was Gott verhüte, was soll aus einem armen jungen Mädchen
werden, das dann allein steht; Deine Pension hört dann auf, und ich bekomme
keine; unter dem guten Herzog hätte ich als eines hochverdienten Angestellten
hinterlassene Waise eine jährliche Unterstützung von ein paar Hundert Gulden
aus Staatsmitteln erhalten; aber wenn ich mir denke, bei dem Preuß' so etwas
nachzusuchen, das wäre mir schrecklich; denn man bekam'nichts". „Nun, nun,"
tröstet die Mutter, „mit Deiner Jugend hat's gute Wege, und ich bin doch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/393>, abgerufen am 22.07.2024.