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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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durch die Massen zu erdrücken, wie Napoleon rechnet er vor allem nicht auf die
politisch urtheilsfähigem Staatsbürger, sondern auf die Unwissenheit, die Leiden¬
schaften und Vorurtheile des großen Haufens, und mit Recht rief I. Stewart
Mill ihm zu: "Die Politik des sehr ehrenwerthen Herrn ist, unsere Institu¬
tionen zu reconstruiren auf dem Princip der Demokratie geführt durch die
Grundaristokratie, und seine Bill ist schlau so ersonnen, daß sie einer großen
abhängigen, aber nur einer kleinen unabhängigen Zahl von Arbeitern das
Stimmrecht giebt, während sie den Einfluß der Reichen nur steigern wird."

Nichtsdestoweniger siegte die Regierung in zwei auf einander folgenden
Abstimmungen mit großer Majorität, und Gladstone steigerte ihren Triumph,
indem er im Aerger über diese Niederlagen an einen seiner Freunde schrieb, er
sei es müde, Führer einer Partei zu sein, die ihm nicht mehr folge. Freilich
nicht mit Gründen in der Debatte siegte die Regierung, sondern mit versteckten
Drohungen in den Vorzimmern des Hauses, die parlamentarischen Agenten
gingen umher und flüsterten den Schwachen ins Ohr, wenn die Regierung ge¬
schlagen werde, wolle sie ans Land appelliren. -- Das wirkte mehr als die
schlagendsten Argumente, eine Auflösung drohte mit großen Kosten, vielleicht
Verlust des Sitzes, eine Herbstsession, die der Jagd Eintrag thun müßte, neue
Agitation der Reformligc inzwischen -- rrv kirrt voulä not 60, etre tding
muLt de settleä irr, vues, so hieß es und die Majorität ward gewonnen.
Nachdem nun dieser kritische Punkt glücklich umschifft war, ignorirte Disraeli
mit seiner gewöhnlichen eisernen Stirn alle seine vorherigen Erklärungen über
die Ungerechtigkeit einer "Irarä auel last uns" und schlug eine solche von
10 F für Miether einzelner Zimmer vor, ebenso von 4 ^ für Schottland,
wo es keine Compounder giebt, was praktisch auf einfaches Haushaltsstimm¬
recht herauskommt, da nicht leicht jemand weniger als 4 ^ jährliche Miethe
zahlt, während er früher hoch und theuer schwur, nichts würde ihn dahin
bringen, Haushaltsstimmrecht ohne persönliche Sicherheiten zu bewilligen. Indeß
die größte Ueberraschung sollte noch kommen. Am 18. Mai stellte ein wenig
bekanntes Mitglied, Herr Hodkinson, den Antrag, das ganze System des 00m-
xormdinA abzuschaffen und nur solche Leute auf das Steuerregister zu setzen,
folglich für sähig zu erklären, welche ihre Abgaben direct bezahlten. Gladstone
anerkannte, daß dieser Vorschlag, da einmal das von ihm bekämpfte Princip
angenommen, die Bill sehr vereinfachen und verbessern würde; und siehe da,
während die meisten Mitglieder zum Essen gegangen waren, erhob sich Disraeli
und erklärte, das Amendement sei ihm aus der Seele gesprochen, er habe ein
derartiges Verfahren immer für das richtige gehalten und nur nicht gewagt, es
gleich selbst vorzuschlagen, weil er zu heftigen Widerstand dagegen befürchtet,
nichts könne ihm lieber sein, als wenn das Haus darauf eingehe. Dies geschah,
das Amendement ward mit großer Majorität angenommen und somit der viel-


durch die Massen zu erdrücken, wie Napoleon rechnet er vor allem nicht auf die
politisch urtheilsfähigem Staatsbürger, sondern auf die Unwissenheit, die Leiden¬
schaften und Vorurtheile des großen Haufens, und mit Recht rief I. Stewart
Mill ihm zu: „Die Politik des sehr ehrenwerthen Herrn ist, unsere Institu¬
tionen zu reconstruiren auf dem Princip der Demokratie geführt durch die
Grundaristokratie, und seine Bill ist schlau so ersonnen, daß sie einer großen
abhängigen, aber nur einer kleinen unabhängigen Zahl von Arbeitern das
Stimmrecht giebt, während sie den Einfluß der Reichen nur steigern wird."

Nichtsdestoweniger siegte die Regierung in zwei auf einander folgenden
Abstimmungen mit großer Majorität, und Gladstone steigerte ihren Triumph,
indem er im Aerger über diese Niederlagen an einen seiner Freunde schrieb, er
sei es müde, Führer einer Partei zu sein, die ihm nicht mehr folge. Freilich
nicht mit Gründen in der Debatte siegte die Regierung, sondern mit versteckten
Drohungen in den Vorzimmern des Hauses, die parlamentarischen Agenten
gingen umher und flüsterten den Schwachen ins Ohr, wenn die Regierung ge¬
schlagen werde, wolle sie ans Land appelliren. — Das wirkte mehr als die
schlagendsten Argumente, eine Auflösung drohte mit großen Kosten, vielleicht
Verlust des Sitzes, eine Herbstsession, die der Jagd Eintrag thun müßte, neue
Agitation der Reformligc inzwischen — rrv kirrt voulä not 60, etre tding
muLt de settleä irr, vues, so hieß es und die Majorität ward gewonnen.
Nachdem nun dieser kritische Punkt glücklich umschifft war, ignorirte Disraeli
mit seiner gewöhnlichen eisernen Stirn alle seine vorherigen Erklärungen über
die Ungerechtigkeit einer „Irarä auel last uns" und schlug eine solche von
10 F für Miether einzelner Zimmer vor, ebenso von 4 ^ für Schottland,
wo es keine Compounder giebt, was praktisch auf einfaches Haushaltsstimm¬
recht herauskommt, da nicht leicht jemand weniger als 4 ^ jährliche Miethe
zahlt, während er früher hoch und theuer schwur, nichts würde ihn dahin
bringen, Haushaltsstimmrecht ohne persönliche Sicherheiten zu bewilligen. Indeß
die größte Ueberraschung sollte noch kommen. Am 18. Mai stellte ein wenig
bekanntes Mitglied, Herr Hodkinson, den Antrag, das ganze System des 00m-
xormdinA abzuschaffen und nur solche Leute auf das Steuerregister zu setzen,
folglich für sähig zu erklären, welche ihre Abgaben direct bezahlten. Gladstone
anerkannte, daß dieser Vorschlag, da einmal das von ihm bekämpfte Princip
angenommen, die Bill sehr vereinfachen und verbessern würde; und siehe da,
während die meisten Mitglieder zum Essen gegangen waren, erhob sich Disraeli
und erklärte, das Amendement sei ihm aus der Seele gesprochen, er habe ein
derartiges Verfahren immer für das richtige gehalten und nur nicht gewagt, es
gleich selbst vorzuschlagen, weil er zu heftigen Widerstand dagegen befürchtet,
nichts könne ihm lieber sein, als wenn das Haus darauf eingehe. Dies geschah,
das Amendement ward mit großer Majorität angenommen und somit der viel-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/370>, abgerufen am 22.07.2024.