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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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Amel.Hengstenberg, Elberfeld. Friderichs.

einer Schrift, welche selbst nach dem famosen Straußfeder Pamphlet keine über-
flüssige IIig.8 post Houel'um ist, da sie die neuesten Windungen des aalglatten
Urharmonisten auf praktischem Gebiet verfolgt. Das Bedeutende an den Be¬
strebungen Hannes ist, daß er als Ziel eine große protestantische Nationalkirche
vor Augen hat. so inadäquat uns auch öfters die von ihm angedeuteten Mittel,
z. B. der Vorschlag zu kleineren freireligiösen Vereinigungen lderen Ausgang
jederzeit nur Zersplitterung und Sectirerei gewesen ist) erscheinen müssen. Der
Protestantismus wird in nächster Zeit vor allem zu zeigen haben, was er als
kirchliches Princip in der Oberleitung neu vereinigter Provinzen zu leisten ver¬
mag; der Lebensproceß, den unser kraftvoller junger Großstaat, der rechte Herd
und Hort des lebendigen Protestantismus, zu vollziehen hat, ist auch hier von
höchstem Interesse, indem er bewähren wird, in wiefern die Einfügung der
annectirten Gebiete in den Organismus der preußischen Landeskirche, mit deren
Oberkirchenrath dermalen kaum eine einzige Partei im eignen Lande zufrieden
ist.*) das jetzige Kirchenregiment zu consolidiren und neuzugestalten im Stande
ist. Findet sich für diese Aufgabe nicht ebenfalls eine einigende und organi¬
satorische Kraft, wie auf dem politischen Gebiete, so lauft bei einer allzu zer¬
splitternden "Schonung der berechtigten Eigenthümlichkeiten" der Protestantismus
Gefahr, als religiös-sociales Princip aufs bedenklichste in die Brüche zu gehen.
Wie groß diese Gefahr für ihn ist, mag er aus der sichern und geschlossenen
Haltung ermessen, die ihm auf politischem wie literarischem Gebiete der Katho¬
licismus entgegensetzt, wie das in letzterer Beziehung namentlich die jüngst
erschienene Schrift des Bischofs Ketteler "Deutschland nach dem Kriege von
1866" (Mainz, Kirchheim) klar genug kundgiebt. -- Wir wollen jedoch, indem
wir die Polemik wider die historischen und politischen Anschauungen des Bi¬
schofs einer andern Stelle zuweisen, hier nur das Tröstliche daraus bemerken,
wie in der Anerkennung der vortrefflichen Stellung des Katholicismus in
Preußen und in dem Rath zum Anschluß der süddeutschen Staaten an den
norddeutschen Bund der Gegenpartei ein Oelzweig zu friedlicher Vertragung
gereicht wird, der freilich nur auch unter Beigabe einer möglichst ebenso ge¬
wichtigen theologischen Erörterung, von dort erwiedert werden sollte.

Wie in der Politik sich der Blick immer wieder unwillkürlich auf unser
westliches Nachbarland richtet, so möge dies bei unsrer literarischen Umschau,
nachdem wir bereits zwei französische Autoren hervorgehoben, heute noch für
einen dritten verstattet sein, den greisen Guizot, der den Abend seines Lebens



Man vergleiche den interessanten Aufsatz in dem ersten diesjährigen Heft der Schenkti¬
schen kirchlichen Zeitschrift: "Ein Votum über die kirchliche Lage aus Preußen", -- Auch die
von uns neulich bei Gelegenheit der brasilianischen Mission berührte Niederlage dieser Behörde
lGrenzboten Ur. 6 S. 197) ist hier zu beachte".
Grenzboten II. 18V7. 4S
Amel.Hengstenberg, Elberfeld. Friderichs.

einer Schrift, welche selbst nach dem famosen Straußfeder Pamphlet keine über-
flüssige IIig.8 post Houel'um ist, da sie die neuesten Windungen des aalglatten
Urharmonisten auf praktischem Gebiet verfolgt. Das Bedeutende an den Be¬
strebungen Hannes ist, daß er als Ziel eine große protestantische Nationalkirche
vor Augen hat. so inadäquat uns auch öfters die von ihm angedeuteten Mittel,
z. B. der Vorschlag zu kleineren freireligiösen Vereinigungen lderen Ausgang
jederzeit nur Zersplitterung und Sectirerei gewesen ist) erscheinen müssen. Der
Protestantismus wird in nächster Zeit vor allem zu zeigen haben, was er als
kirchliches Princip in der Oberleitung neu vereinigter Provinzen zu leisten ver¬
mag; der Lebensproceß, den unser kraftvoller junger Großstaat, der rechte Herd
und Hort des lebendigen Protestantismus, zu vollziehen hat, ist auch hier von
höchstem Interesse, indem er bewähren wird, in wiefern die Einfügung der
annectirten Gebiete in den Organismus der preußischen Landeskirche, mit deren
Oberkirchenrath dermalen kaum eine einzige Partei im eignen Lande zufrieden
ist.*) das jetzige Kirchenregiment zu consolidiren und neuzugestalten im Stande
ist. Findet sich für diese Aufgabe nicht ebenfalls eine einigende und organi¬
satorische Kraft, wie auf dem politischen Gebiete, so lauft bei einer allzu zer¬
splitternden „Schonung der berechtigten Eigenthümlichkeiten" der Protestantismus
Gefahr, als religiös-sociales Princip aufs bedenklichste in die Brüche zu gehen.
Wie groß diese Gefahr für ihn ist, mag er aus der sichern und geschlossenen
Haltung ermessen, die ihm auf politischem wie literarischem Gebiete der Katho¬
licismus entgegensetzt, wie das in letzterer Beziehung namentlich die jüngst
erschienene Schrift des Bischofs Ketteler „Deutschland nach dem Kriege von
1866" (Mainz, Kirchheim) klar genug kundgiebt. — Wir wollen jedoch, indem
wir die Polemik wider die historischen und politischen Anschauungen des Bi¬
schofs einer andern Stelle zuweisen, hier nur das Tröstliche daraus bemerken,
wie in der Anerkennung der vortrefflichen Stellung des Katholicismus in
Preußen und in dem Rath zum Anschluß der süddeutschen Staaten an den
norddeutschen Bund der Gegenpartei ein Oelzweig zu friedlicher Vertragung
gereicht wird, der freilich nur auch unter Beigabe einer möglichst ebenso ge¬
wichtigen theologischen Erörterung, von dort erwiedert werden sollte.

Wie in der Politik sich der Blick immer wieder unwillkürlich auf unser
westliches Nachbarland richtet, so möge dies bei unsrer literarischen Umschau,
nachdem wir bereits zwei französische Autoren hervorgehoben, heute noch für
einen dritten verstattet sein, den greisen Guizot, der den Abend seines Lebens



Man vergleiche den interessanten Aufsatz in dem ersten diesjährigen Heft der Schenkti¬
schen kirchlichen Zeitschrift: „Ein Votum über die kirchliche Lage aus Preußen", — Auch die
von uns neulich bei Gelegenheit der brasilianischen Mission berührte Niederlage dieser Behörde
lGrenzboten Ur. 6 S. 197) ist hier zu beachte».
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/357>, abgerufen am 22.07.2024.