Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Plaudereien ans Paris.

Der Fremde wird bei seiner Berührung mit der Bevölkerung einer Stadt
wie Paris immer nur sehr unvollständige Einblicke in die politische Stimmung
entnehmen. Dennoch orientiren sie zuweilen besser als die Zeitungen. Hier
gebe ich Ihnen Einiges, was ich an Eindrücken der Art empfing.

Zuerst soll ein mir bekannter französischer Socialist sprechen, welcher drei
Monate in Paris zugebracht hatte und, das Herz voll hochschwellender Hoff¬
nungen, wieder auf seinen englischen Landsitz zurückkehrte. "Wie haben Sie
Paris gefunden?" "In Fäulniß," lautete die Antwort. Ich erhob einige
Einwendungen, aber er hielt seinen Ausdruck fest: "Greis, Mann, Jüngling.
Amt, alles trägt den Stempel tamills Lenoitou. Vergnügen, Geldmacher,
Geldtodtschlagen, das sind die einzigen Hausgötter, von welchen diese Stadt
noch weiß. Fragen Sie bei den ersten Buchhändlern nach. Nie war es un¬
möglicher, ein wissenschaftliches Werk zu verkaufen, selbst politische Brochüren,
geben Sie Acht, werden außer "Trochu" während der bevorstehenden Krise kaum
gelesen werden. Niemand fragt danach; man hat übergenug an den politischen
Zeitungen und würde auch den Harlekin Girardin nicht lesen, wenn er
nicht eben ein Harlekin wäre. Daß keine kriegerische Ader mehr in
uns klopft, hat die Aufnahme der luxemburger Aussichten, ja was viel
wichtiger war, bereits die Ausnahme des Militärreorganisationsgesetzes zur
Genüge bewiesen. Wir rühmen uns die Apostel der Gleichheit zu sein und
wenn man uns beim Worte nimmt, gerathen wir völlig außer uns. Was?
heißt es dann, ich soll meinen Sohn unter die Soldaten stecken? Aber hat er
darum im College dreimal den ersten Preis gewonnen und mir seit 12 Se¬
mestern jährlich 1000 Fr. gekostet? Unmöglich! Wenn ihm der Arm abge¬
schossen wird, taugt er zu nichts mehr. Wir danken dafür. Um gleich zu sein
vor dem Gesetz, haben wir wahrhaftig nicht nöthig, auch ä'LtrL öZaux äevant
I<zö e-nous." -- Ich fragte, was unter solchen Umständen von den Kricgsaus-
sichtcn zu halten sei? -- "3i 1'on rwus 5g.it la, guer-rö," lautete die Antwort,
"He vous MiÄntis hu'Lir moins de "Muse ^oui'8 UessiourL les krussiens
piomensrvnt sur les dvulevaräs." -- Ich war über diese behagliche Auf¬
fassung doch erstaunt: "Und trotz alle dem hatten Sie von großen Hoffnungen
gesprochen?" -- "Gewiß," war die Antwort, "und unsere Sachen standen nie
besser. Wir werden eine Revolution haben, wie sie noch nicht erlebt worden
ist- Ich habe von der Fäulniß geredet. Aber es giebt "och Classen, die von


Plaudereien ans Paris.

Der Fremde wird bei seiner Berührung mit der Bevölkerung einer Stadt
wie Paris immer nur sehr unvollständige Einblicke in die politische Stimmung
entnehmen. Dennoch orientiren sie zuweilen besser als die Zeitungen. Hier
gebe ich Ihnen Einiges, was ich an Eindrücken der Art empfing.

Zuerst soll ein mir bekannter französischer Socialist sprechen, welcher drei
Monate in Paris zugebracht hatte und, das Herz voll hochschwellender Hoff¬
nungen, wieder auf seinen englischen Landsitz zurückkehrte. „Wie haben Sie
Paris gefunden?" „In Fäulniß," lautete die Antwort. Ich erhob einige
Einwendungen, aber er hielt seinen Ausdruck fest: „Greis, Mann, Jüngling.
Amt, alles trägt den Stempel tamills Lenoitou. Vergnügen, Geldmacher,
Geldtodtschlagen, das sind die einzigen Hausgötter, von welchen diese Stadt
noch weiß. Fragen Sie bei den ersten Buchhändlern nach. Nie war es un¬
möglicher, ein wissenschaftliches Werk zu verkaufen, selbst politische Brochüren,
geben Sie Acht, werden außer „Trochu" während der bevorstehenden Krise kaum
gelesen werden. Niemand fragt danach; man hat übergenug an den politischen
Zeitungen und würde auch den Harlekin Girardin nicht lesen, wenn er
nicht eben ein Harlekin wäre. Daß keine kriegerische Ader mehr in
uns klopft, hat die Aufnahme der luxemburger Aussichten, ja was viel
wichtiger war, bereits die Ausnahme des Militärreorganisationsgesetzes zur
Genüge bewiesen. Wir rühmen uns die Apostel der Gleichheit zu sein und
wenn man uns beim Worte nimmt, gerathen wir völlig außer uns. Was?
heißt es dann, ich soll meinen Sohn unter die Soldaten stecken? Aber hat er
darum im College dreimal den ersten Preis gewonnen und mir seit 12 Se¬
mestern jährlich 1000 Fr. gekostet? Unmöglich! Wenn ihm der Arm abge¬
schossen wird, taugt er zu nichts mehr. Wir danken dafür. Um gleich zu sein
vor dem Gesetz, haben wir wahrhaftig nicht nöthig, auch ä'LtrL öZaux äevant
I<zö e-nous." — Ich fragte, was unter solchen Umständen von den Kricgsaus-
sichtcn zu halten sei? — „3i 1'on rwus 5g.it la, guer-rö," lautete die Antwort,
„He vous MiÄntis hu'Lir moins de «Muse ^oui'8 UessiourL les krussiens
piomensrvnt sur les dvulevaräs." — Ich war über diese behagliche Auf¬
fassung doch erstaunt: „Und trotz alle dem hatten Sie von großen Hoffnungen
gesprochen?" — „Gewiß," war die Antwort, „und unsere Sachen standen nie
besser. Wir werden eine Revolution haben, wie sie noch nicht erlebt worden
ist- Ich habe von der Fäulniß geredet. Aber es giebt »och Classen, die von


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0345" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/191039"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Plaudereien ans Paris.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1187"> Der Fremde wird bei seiner Berührung mit der Bevölkerung einer Stadt<lb/>
wie Paris immer nur sehr unvollständige Einblicke in die politische Stimmung<lb/>
entnehmen. Dennoch orientiren sie zuweilen besser als die Zeitungen. Hier<lb/>
gebe ich Ihnen Einiges, was ich an Eindrücken der Art empfing.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1188" next="#ID_1189"> Zuerst soll ein mir bekannter französischer Socialist sprechen, welcher drei<lb/>
Monate in Paris zugebracht hatte und, das Herz voll hochschwellender Hoff¬<lb/>
nungen, wieder auf seinen englischen Landsitz zurückkehrte. &#x201E;Wie haben Sie<lb/>
Paris gefunden?" &#x201E;In Fäulniß," lautete die Antwort. Ich erhob einige<lb/>
Einwendungen, aber er hielt seinen Ausdruck fest: &#x201E;Greis, Mann, Jüngling.<lb/>
Amt, alles trägt den Stempel tamills Lenoitou. Vergnügen, Geldmacher,<lb/>
Geldtodtschlagen, das sind die einzigen Hausgötter, von welchen diese Stadt<lb/>
noch weiß. Fragen Sie bei den ersten Buchhändlern nach. Nie war es un¬<lb/>
möglicher, ein wissenschaftliches Werk zu verkaufen, selbst politische Brochüren,<lb/>
geben Sie Acht, werden außer &#x201E;Trochu" während der bevorstehenden Krise kaum<lb/>
gelesen werden. Niemand fragt danach; man hat übergenug an den politischen<lb/>
Zeitungen und würde auch den Harlekin Girardin nicht lesen, wenn er<lb/>
nicht eben ein Harlekin wäre. Daß keine kriegerische Ader mehr in<lb/>
uns klopft, hat die Aufnahme der luxemburger Aussichten, ja was viel<lb/>
wichtiger war, bereits die Ausnahme des Militärreorganisationsgesetzes zur<lb/>
Genüge bewiesen. Wir rühmen uns die Apostel der Gleichheit zu sein und<lb/>
wenn man uns beim Worte nimmt, gerathen wir völlig außer uns. Was?<lb/>
heißt es dann, ich soll meinen Sohn unter die Soldaten stecken? Aber hat er<lb/>
darum im College dreimal den ersten Preis gewonnen und mir seit 12 Se¬<lb/>
mestern jährlich 1000 Fr. gekostet? Unmöglich! Wenn ihm der Arm abge¬<lb/>
schossen wird, taugt er zu nichts mehr. Wir danken dafür. Um gleich zu sein<lb/>
vor dem Gesetz, haben wir wahrhaftig nicht nöthig, auch ä'LtrL öZaux äevant<lb/>
I&lt;zö e-nous." &#x2014; Ich fragte, was unter solchen Umständen von den Kricgsaus-<lb/>
sichtcn zu halten sei? &#x2014; &#x201E;3i 1'on rwus 5g.it la, guer-rö," lautete die Antwort,<lb/>
&#x201E;He vous MiÄntis hu'Lir moins de «Muse ^oui'8 UessiourL les krussiens<lb/>
piomensrvnt sur les dvulevaräs." &#x2014; Ich war über diese behagliche Auf¬<lb/>
fassung doch erstaunt: &#x201E;Und trotz alle dem hatten Sie von großen Hoffnungen<lb/>
gesprochen?" &#x2014; &#x201E;Gewiß," war die Antwort, &#x201E;und unsere Sachen standen nie<lb/>
besser. Wir werden eine Revolution haben, wie sie noch nicht erlebt worden<lb/>
ist- Ich habe von der Fäulniß geredet.  Aber es giebt »och Classen, die von</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0345] Plaudereien ans Paris. Der Fremde wird bei seiner Berührung mit der Bevölkerung einer Stadt wie Paris immer nur sehr unvollständige Einblicke in die politische Stimmung entnehmen. Dennoch orientiren sie zuweilen besser als die Zeitungen. Hier gebe ich Ihnen Einiges, was ich an Eindrücken der Art empfing. Zuerst soll ein mir bekannter französischer Socialist sprechen, welcher drei Monate in Paris zugebracht hatte und, das Herz voll hochschwellender Hoff¬ nungen, wieder auf seinen englischen Landsitz zurückkehrte. „Wie haben Sie Paris gefunden?" „In Fäulniß," lautete die Antwort. Ich erhob einige Einwendungen, aber er hielt seinen Ausdruck fest: „Greis, Mann, Jüngling. Amt, alles trägt den Stempel tamills Lenoitou. Vergnügen, Geldmacher, Geldtodtschlagen, das sind die einzigen Hausgötter, von welchen diese Stadt noch weiß. Fragen Sie bei den ersten Buchhändlern nach. Nie war es un¬ möglicher, ein wissenschaftliches Werk zu verkaufen, selbst politische Brochüren, geben Sie Acht, werden außer „Trochu" während der bevorstehenden Krise kaum gelesen werden. Niemand fragt danach; man hat übergenug an den politischen Zeitungen und würde auch den Harlekin Girardin nicht lesen, wenn er nicht eben ein Harlekin wäre. Daß keine kriegerische Ader mehr in uns klopft, hat die Aufnahme der luxemburger Aussichten, ja was viel wichtiger war, bereits die Ausnahme des Militärreorganisationsgesetzes zur Genüge bewiesen. Wir rühmen uns die Apostel der Gleichheit zu sein und wenn man uns beim Worte nimmt, gerathen wir völlig außer uns. Was? heißt es dann, ich soll meinen Sohn unter die Soldaten stecken? Aber hat er darum im College dreimal den ersten Preis gewonnen und mir seit 12 Se¬ mestern jährlich 1000 Fr. gekostet? Unmöglich! Wenn ihm der Arm abge¬ schossen wird, taugt er zu nichts mehr. Wir danken dafür. Um gleich zu sein vor dem Gesetz, haben wir wahrhaftig nicht nöthig, auch ä'LtrL öZaux äevant I<zö e-nous." — Ich fragte, was unter solchen Umständen von den Kricgsaus- sichtcn zu halten sei? — „3i 1'on rwus 5g.it la, guer-rö," lautete die Antwort, „He vous MiÄntis hu'Lir moins de «Muse ^oui'8 UessiourL les krussiens piomensrvnt sur les dvulevaräs." — Ich war über diese behagliche Auf¬ fassung doch erstaunt: „Und trotz alle dem hatten Sie von großen Hoffnungen gesprochen?" — „Gewiß," war die Antwort, „und unsere Sachen standen nie besser. Wir werden eine Revolution haben, wie sie noch nicht erlebt worden ist- Ich habe von der Fäulniß geredet. Aber es giebt »och Classen, die von

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/345
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/345>, abgerufen am 22.07.2024.