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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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nur gegen die Octroyirung sich erklärt hatten, das geforderte Recrutencontingent
Von 48,000 Mann ohne Anstand bewilligten. Von Seite, der Regierung scheint
man gegenwärtig auf eine genaue Durchführung des Wehrgesetzes verzichtet zu
haben, indem man in Bezug auf den Modus der Recruten- und Urlaubereinbe¬
rufung bedeutende Zugeständnisse machte und die im vorigen Jahre nach Be¬
ginn des Krieges ausgehobenen, dann ganz nothdürftig ausgebildeten und später
wieder beurlaubten Leute bei den meisten Regimentern gar nicht einberief. Auch
zeigt es sich schon jetzt, daß die festgesetzte Präsenzzeit der Liniensoldatcn mit
dem bewilligten Friedensrat der Armee und der Zahl der jährlich zur Aus¬
hebung gelangenden jungen Leute nicht im Einklange steht. Es müßte entweder
die Präscnzzeil bedeutend verkürzt, oder der Fricdensstand bedeutend erhöht
werden, oder es wird sich abermals ereignen, daß eine bedeutende Anzahl der
Soldaten ihre ganze Dienstzeit im Urlande verbringen muß. Vorläufig würden
daher im Kriegsfalle überaus viele ganz ungeübte Recruten einberufen werden
müssen und dadurch die traurigen Erscheinungen von 1839 und 1866 wieder¬
kehren.

Als ein besonderer Gewinn mag es angesehen werden, daß schon die ver¬
suchte Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht eine humanere Behandlung
des Einzelnen nach sich gezogen hat. So ist die schändliche Leibesstrafe der
Stockprügel, mit welcher bisher der Soldat wegen des geringsten Vergehens
oder Ucbersehcns, z. B. wegen eines schlecht geputzten Pferdes oder eines Rost¬
fleckens am Gewehre auf das bloße Geheiß seines Hauptmannes bestraft werden
durfte, zwar nicht gänzlich abgeschafft, aber auf die zweite Svldatenclasse, in
welche nur wiederholt wegen entehrender Vergehen bestrafte Subjecte eingereiht
werden, beschränkt. Solches geschah freilich nur zum großen Leidwesen und
unter hartnäckiger Opposition jener besonders in den ungarischen und polnischen
Regimentern, dann bei der Cavalerie und dem Fuhrwesen stark vertretenen
Partei, welche die Herstellung einer Disciplin, die Erlernung des Reitens und
Pferdewartens ohne fleißige Beihilfe des Stockes für eine Unmöglichkeit hält.
Auch wurde den Offizieren im vertraulichen Wege mitgetheilt, daß man "hohen
Ortes wünsche, es mögen die Gemeinen, nachdem sich unter den gegenwärtigen
Recruten viele junge Leute von Bildung befänden, fernerhin nicht mehr mit Du,
sondern mit Sie angeredet werden." Es ist schwer zu begreifen, warum in
dieser Angelegenheit nicht ein directer Befehl erlassen wurde. Glaubte man
vielleicht die Soldaten auf dieses Uebermaß von Humanität erst vorbereiten zu
müssen?

Ueber die Organisation der aus den Reservemännern der zweiten Classe zu
formirenden Truppen und des Landsturmes sind bis jetzt außer den in dem
Weh>gesetze enthaltenen ganz allgemeinen Andeutungen keine weitern Bestimmungen
veröffentlicht worden. Vielleicht will man die nöthigen Detailanvrduungen erst


nur gegen die Octroyirung sich erklärt hatten, das geforderte Recrutencontingent
Von 48,000 Mann ohne Anstand bewilligten. Von Seite, der Regierung scheint
man gegenwärtig auf eine genaue Durchführung des Wehrgesetzes verzichtet zu
haben, indem man in Bezug auf den Modus der Recruten- und Urlaubereinbe¬
rufung bedeutende Zugeständnisse machte und die im vorigen Jahre nach Be¬
ginn des Krieges ausgehobenen, dann ganz nothdürftig ausgebildeten und später
wieder beurlaubten Leute bei den meisten Regimentern gar nicht einberief. Auch
zeigt es sich schon jetzt, daß die festgesetzte Präsenzzeit der Liniensoldatcn mit
dem bewilligten Friedensrat der Armee und der Zahl der jährlich zur Aus¬
hebung gelangenden jungen Leute nicht im Einklange steht. Es müßte entweder
die Präscnzzeil bedeutend verkürzt, oder der Fricdensstand bedeutend erhöht
werden, oder es wird sich abermals ereignen, daß eine bedeutende Anzahl der
Soldaten ihre ganze Dienstzeit im Urlande verbringen muß. Vorläufig würden
daher im Kriegsfalle überaus viele ganz ungeübte Recruten einberufen werden
müssen und dadurch die traurigen Erscheinungen von 1839 und 1866 wieder¬
kehren.

Als ein besonderer Gewinn mag es angesehen werden, daß schon die ver¬
suchte Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht eine humanere Behandlung
des Einzelnen nach sich gezogen hat. So ist die schändliche Leibesstrafe der
Stockprügel, mit welcher bisher der Soldat wegen des geringsten Vergehens
oder Ucbersehcns, z. B. wegen eines schlecht geputzten Pferdes oder eines Rost¬
fleckens am Gewehre auf das bloße Geheiß seines Hauptmannes bestraft werden
durfte, zwar nicht gänzlich abgeschafft, aber auf die zweite Svldatenclasse, in
welche nur wiederholt wegen entehrender Vergehen bestrafte Subjecte eingereiht
werden, beschränkt. Solches geschah freilich nur zum großen Leidwesen und
unter hartnäckiger Opposition jener besonders in den ungarischen und polnischen
Regimentern, dann bei der Cavalerie und dem Fuhrwesen stark vertretenen
Partei, welche die Herstellung einer Disciplin, die Erlernung des Reitens und
Pferdewartens ohne fleißige Beihilfe des Stockes für eine Unmöglichkeit hält.
Auch wurde den Offizieren im vertraulichen Wege mitgetheilt, daß man „hohen
Ortes wünsche, es mögen die Gemeinen, nachdem sich unter den gegenwärtigen
Recruten viele junge Leute von Bildung befänden, fernerhin nicht mehr mit Du,
sondern mit Sie angeredet werden." Es ist schwer zu begreifen, warum in
dieser Angelegenheit nicht ein directer Befehl erlassen wurde. Glaubte man
vielleicht die Soldaten auf dieses Uebermaß von Humanität erst vorbereiten zu
müssen?

Ueber die Organisation der aus den Reservemännern der zweiten Classe zu
formirenden Truppen und des Landsturmes sind bis jetzt außer den in dem
Weh>gesetze enthaltenen ganz allgemeinen Andeutungen keine weitern Bestimmungen
veröffentlicht worden. Vielleicht will man die nöthigen Detailanvrduungen erst


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[0342] nur gegen die Octroyirung sich erklärt hatten, das geforderte Recrutencontingent Von 48,000 Mann ohne Anstand bewilligten. Von Seite, der Regierung scheint man gegenwärtig auf eine genaue Durchführung des Wehrgesetzes verzichtet zu haben, indem man in Bezug auf den Modus der Recruten- und Urlaubereinbe¬ rufung bedeutende Zugeständnisse machte und die im vorigen Jahre nach Be¬ ginn des Krieges ausgehobenen, dann ganz nothdürftig ausgebildeten und später wieder beurlaubten Leute bei den meisten Regimentern gar nicht einberief. Auch zeigt es sich schon jetzt, daß die festgesetzte Präsenzzeit der Liniensoldatcn mit dem bewilligten Friedensrat der Armee und der Zahl der jährlich zur Aus¬ hebung gelangenden jungen Leute nicht im Einklange steht. Es müßte entweder die Präscnzzeil bedeutend verkürzt, oder der Fricdensstand bedeutend erhöht werden, oder es wird sich abermals ereignen, daß eine bedeutende Anzahl der Soldaten ihre ganze Dienstzeit im Urlande verbringen muß. Vorläufig würden daher im Kriegsfalle überaus viele ganz ungeübte Recruten einberufen werden müssen und dadurch die traurigen Erscheinungen von 1839 und 1866 wieder¬ kehren. Als ein besonderer Gewinn mag es angesehen werden, daß schon die ver¬ suchte Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht eine humanere Behandlung des Einzelnen nach sich gezogen hat. So ist die schändliche Leibesstrafe der Stockprügel, mit welcher bisher der Soldat wegen des geringsten Vergehens oder Ucbersehcns, z. B. wegen eines schlecht geputzten Pferdes oder eines Rost¬ fleckens am Gewehre auf das bloße Geheiß seines Hauptmannes bestraft werden durfte, zwar nicht gänzlich abgeschafft, aber auf die zweite Svldatenclasse, in welche nur wiederholt wegen entehrender Vergehen bestrafte Subjecte eingereiht werden, beschränkt. Solches geschah freilich nur zum großen Leidwesen und unter hartnäckiger Opposition jener besonders in den ungarischen und polnischen Regimentern, dann bei der Cavalerie und dem Fuhrwesen stark vertretenen Partei, welche die Herstellung einer Disciplin, die Erlernung des Reitens und Pferdewartens ohne fleißige Beihilfe des Stockes für eine Unmöglichkeit hält. Auch wurde den Offizieren im vertraulichen Wege mitgetheilt, daß man „hohen Ortes wünsche, es mögen die Gemeinen, nachdem sich unter den gegenwärtigen Recruten viele junge Leute von Bildung befänden, fernerhin nicht mehr mit Du, sondern mit Sie angeredet werden." Es ist schwer zu begreifen, warum in dieser Angelegenheit nicht ein directer Befehl erlassen wurde. Glaubte man vielleicht die Soldaten auf dieses Uebermaß von Humanität erst vorbereiten zu müssen? Ueber die Organisation der aus den Reservemännern der zweiten Classe zu formirenden Truppen und des Landsturmes sind bis jetzt außer den in dem Weh>gesetze enthaltenen ganz allgemeinen Andeutungen keine weitern Bestimmungen veröffentlicht worden. Vielleicht will man die nöthigen Detailanvrduungen erst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/342>, abgerufen am 22.07.2024.