Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

indem er darauf hinwies, da^, bevor die Taunusbahn zwischen Frankfurt und
Wiesbaden gebaut war, auf den dazwischenliegenden Dörfern die Droschken, die
Vvrspannfuhrlcute und die Wirthshäuser höchlichst florirt hätten. Damit wollte
er natürlich beweisen, daß durch die Anlage von Eisenbahnen eine Gegend ver¬
arme. Der particularistische Staatsmann bedachte dabei freilich nicht, daß nun
statt des Vorspanns der Ackerbau und statt der Schnapskneipen die Industrie
in dieser Gegend gedieh und troj; der Eisenbahn die Zahl der Kutscher sich
verzehnfacht hatte. Ein solcher Mangel an wirthschaftlicher Einsicht war freilich
bei unsere" Kleinstaatsmännern so wenig selten, daß es kaum der Mühe lohnte,
ein derartiges Beispiel anzuführen. Wir haben es nur citirt, um einen weitern
Beleg dafür zu geben, mit welchem Verdruß und welcher Angst manche An¬
hänger der zerstückelten Souveränetcitsgebiete, ohne sich Rechenschaft geben zu
können über die Gründe dieses beklemmenden Gefühles, die Fortschritte be¬
obachteten, welche das schnaubende Dampfroß auf dem Wege zur Einheit vor¬
bereitete.

Sie schrieen- "Retten wir die Fuhrmannskncipen, retten wir den Vor¬
spann vor dem Untergang, mit dem er bedroht ist." Aber im Innern des
Herzens klangen aus dem kleinstaatlichen Resonanzboden die Worte zurück:
"Nelken wir uns selbst, retten wir unsere Souveränetät und Würde, unsere
bureaukratisch-bevvrmundendc Viclregiererei, unsern Nepotismus, unsere Dienst¬
pragmatik, unsere Pensionsberechtigung für Frau und Kinder, unsere Exspec-
tanzen und Aspirationen für Söhne und Schwiegersöhne, für Vettern und
Neffen, für Kind und Kindeskinder!"

Allein auch hier wiederholte sich das antike Fatum. Je mehr man seinem
Schlaks.it zu entrinnen strebte, desto mehr verwickelte man sich darein. Die
grauenhafte große Ocdipustragödie wiederholte sich hier in einer komischen und
kleinlichen Parodie. In dem ängstlichen Bestreben, der Klapperschlange zu ent¬
gehen, flog ihr der Vogel in den Rachen.

Diejenigen Kleinstaaten, welche am meisten den Eisenbahnen und dem ein¬
heitlichen Wirthschaftsdrange widerstrebten, welche für Staatsbahnen schwärmten
und den Nachbarstaaten und den Unternehmern die größten Schwierigkeiten in
Betreff der Eiscnbahnbciuten bereiteten, sind von der politischen Schaubühne
abgetreten, nicht ohne, gleich dem Geizhals, dem lachenden Erben eine hatte
Erbschaft an S t aat s ciscnbahnen zu hinterlassen. Auf dem volkswirtschaft¬
lichen Congresse in Hannover im Herbst 1864 debattirte man die Schwierig¬
keiten, welche die Regierung des Wclfenkönigs im monopolistischen Interesse
seiner Staatsciscnbahn dem Projecte Paris-Hamburg bereitete. Da warf der
geistreiche Nationalökvnvm Julius Faucher das kecke Wort in die Versammlung:
"Wenn eine Regierung sich ciufführt wie ein Kutscher, dann verdient sie auch
als Kutscher behandelt zu werden." Das Bonmot erregte damals manchem


indem er darauf hinwies, da^, bevor die Taunusbahn zwischen Frankfurt und
Wiesbaden gebaut war, auf den dazwischenliegenden Dörfern die Droschken, die
Vvrspannfuhrlcute und die Wirthshäuser höchlichst florirt hätten. Damit wollte
er natürlich beweisen, daß durch die Anlage von Eisenbahnen eine Gegend ver¬
arme. Der particularistische Staatsmann bedachte dabei freilich nicht, daß nun
statt des Vorspanns der Ackerbau und statt der Schnapskneipen die Industrie
in dieser Gegend gedieh und troj; der Eisenbahn die Zahl der Kutscher sich
verzehnfacht hatte. Ein solcher Mangel an wirthschaftlicher Einsicht war freilich
bei unsere» Kleinstaatsmännern so wenig selten, daß es kaum der Mühe lohnte,
ein derartiges Beispiel anzuführen. Wir haben es nur citirt, um einen weitern
Beleg dafür zu geben, mit welchem Verdruß und welcher Angst manche An¬
hänger der zerstückelten Souveränetcitsgebiete, ohne sich Rechenschaft geben zu
können über die Gründe dieses beklemmenden Gefühles, die Fortschritte be¬
obachteten, welche das schnaubende Dampfroß auf dem Wege zur Einheit vor¬
bereitete.

Sie schrieen- „Retten wir die Fuhrmannskncipen, retten wir den Vor¬
spann vor dem Untergang, mit dem er bedroht ist." Aber im Innern des
Herzens klangen aus dem kleinstaatlichen Resonanzboden die Worte zurück:
„Nelken wir uns selbst, retten wir unsere Souveränetät und Würde, unsere
bureaukratisch-bevvrmundendc Viclregiererei, unsern Nepotismus, unsere Dienst¬
pragmatik, unsere Pensionsberechtigung für Frau und Kinder, unsere Exspec-
tanzen und Aspirationen für Söhne und Schwiegersöhne, für Vettern und
Neffen, für Kind und Kindeskinder!"

Allein auch hier wiederholte sich das antike Fatum. Je mehr man seinem
Schlaks.it zu entrinnen strebte, desto mehr verwickelte man sich darein. Die
grauenhafte große Ocdipustragödie wiederholte sich hier in einer komischen und
kleinlichen Parodie. In dem ängstlichen Bestreben, der Klapperschlange zu ent¬
gehen, flog ihr der Vogel in den Rachen.

Diejenigen Kleinstaaten, welche am meisten den Eisenbahnen und dem ein¬
heitlichen Wirthschaftsdrange widerstrebten, welche für Staatsbahnen schwärmten
und den Nachbarstaaten und den Unternehmern die größten Schwierigkeiten in
Betreff der Eiscnbahnbciuten bereiteten, sind von der politischen Schaubühne
abgetreten, nicht ohne, gleich dem Geizhals, dem lachenden Erben eine hatte
Erbschaft an S t aat s ciscnbahnen zu hinterlassen. Auf dem volkswirtschaft¬
lichen Congresse in Hannover im Herbst 1864 debattirte man die Schwierig¬
keiten, welche die Regierung des Wclfenkönigs im monopolistischen Interesse
seiner Staatsciscnbahn dem Projecte Paris-Hamburg bereitete. Da warf der
geistreiche Nationalökvnvm Julius Faucher das kecke Wort in die Versammlung:
„Wenn eine Regierung sich ciufführt wie ein Kutscher, dann verdient sie auch
als Kutscher behandelt zu werden." Das Bonmot erregte damals manchem


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0034" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/190728"/>
          <p xml:id="ID_83" prev="#ID_82"> indem er darauf hinwies, da^, bevor die Taunusbahn zwischen Frankfurt und<lb/>
Wiesbaden gebaut war, auf den dazwischenliegenden Dörfern die Droschken, die<lb/>
Vvrspannfuhrlcute und die Wirthshäuser höchlichst florirt hätten. Damit wollte<lb/>
er natürlich beweisen, daß durch die Anlage von Eisenbahnen eine Gegend ver¬<lb/>
arme. Der particularistische Staatsmann bedachte dabei freilich nicht, daß nun<lb/>
statt des Vorspanns der Ackerbau und statt der Schnapskneipen die Industrie<lb/>
in dieser Gegend gedieh und troj; der Eisenbahn die Zahl der Kutscher sich<lb/>
verzehnfacht hatte. Ein solcher Mangel an wirthschaftlicher Einsicht war freilich<lb/>
bei unsere» Kleinstaatsmännern so wenig selten, daß es kaum der Mühe lohnte,<lb/>
ein derartiges Beispiel anzuführen. Wir haben es nur citirt, um einen weitern<lb/>
Beleg dafür zu geben, mit welchem Verdruß und welcher Angst manche An¬<lb/>
hänger der zerstückelten Souveränetcitsgebiete, ohne sich Rechenschaft geben zu<lb/>
können über die Gründe dieses beklemmenden Gefühles, die Fortschritte be¬<lb/>
obachteten, welche das schnaubende Dampfroß auf dem Wege zur Einheit vor¬<lb/>
bereitete.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_84"> Sie schrieen- &#x201E;Retten wir die Fuhrmannskncipen, retten wir den Vor¬<lb/>
spann vor dem Untergang, mit dem er bedroht ist." Aber im Innern des<lb/>
Herzens klangen aus dem kleinstaatlichen Resonanzboden die Worte zurück:<lb/>
&#x201E;Nelken wir uns selbst, retten wir unsere Souveränetät und Würde, unsere<lb/>
bureaukratisch-bevvrmundendc Viclregiererei, unsern Nepotismus, unsere Dienst¬<lb/>
pragmatik, unsere Pensionsberechtigung für Frau und Kinder, unsere Exspec-<lb/>
tanzen und Aspirationen für Söhne und Schwiegersöhne, für Vettern und<lb/>
Neffen, für Kind und Kindeskinder!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_85"> Allein auch hier wiederholte sich das antike Fatum. Je mehr man seinem<lb/>
Schlaks.it zu entrinnen strebte, desto mehr verwickelte man sich darein. Die<lb/>
grauenhafte große Ocdipustragödie wiederholte sich hier in einer komischen und<lb/>
kleinlichen Parodie. In dem ängstlichen Bestreben, der Klapperschlange zu ent¬<lb/>
gehen, flog ihr der Vogel in den Rachen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_86" next="#ID_87"> Diejenigen Kleinstaaten, welche am meisten den Eisenbahnen und dem ein¬<lb/>
heitlichen Wirthschaftsdrange widerstrebten, welche für Staatsbahnen schwärmten<lb/>
und den Nachbarstaaten und den Unternehmern die größten Schwierigkeiten in<lb/>
Betreff der Eiscnbahnbciuten bereiteten, sind von der politischen Schaubühne<lb/>
abgetreten, nicht ohne, gleich dem Geizhals, dem lachenden Erben eine hatte<lb/>
Erbschaft an S t aat s ciscnbahnen zu hinterlassen. Auf dem volkswirtschaft¬<lb/>
lichen Congresse in Hannover im Herbst 1864 debattirte man die Schwierig¬<lb/>
keiten, welche die Regierung des Wclfenkönigs im monopolistischen Interesse<lb/>
seiner Staatsciscnbahn dem Projecte Paris-Hamburg bereitete. Da warf der<lb/>
geistreiche Nationalökvnvm Julius Faucher das kecke Wort in die Versammlung:<lb/>
&#x201E;Wenn eine Regierung sich ciufführt wie ein Kutscher, dann verdient sie auch<lb/>
als Kutscher behandelt zu werden."  Das Bonmot erregte damals manchem</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0034] indem er darauf hinwies, da^, bevor die Taunusbahn zwischen Frankfurt und Wiesbaden gebaut war, auf den dazwischenliegenden Dörfern die Droschken, die Vvrspannfuhrlcute und die Wirthshäuser höchlichst florirt hätten. Damit wollte er natürlich beweisen, daß durch die Anlage von Eisenbahnen eine Gegend ver¬ arme. Der particularistische Staatsmann bedachte dabei freilich nicht, daß nun statt des Vorspanns der Ackerbau und statt der Schnapskneipen die Industrie in dieser Gegend gedieh und troj; der Eisenbahn die Zahl der Kutscher sich verzehnfacht hatte. Ein solcher Mangel an wirthschaftlicher Einsicht war freilich bei unsere» Kleinstaatsmännern so wenig selten, daß es kaum der Mühe lohnte, ein derartiges Beispiel anzuführen. Wir haben es nur citirt, um einen weitern Beleg dafür zu geben, mit welchem Verdruß und welcher Angst manche An¬ hänger der zerstückelten Souveränetcitsgebiete, ohne sich Rechenschaft geben zu können über die Gründe dieses beklemmenden Gefühles, die Fortschritte be¬ obachteten, welche das schnaubende Dampfroß auf dem Wege zur Einheit vor¬ bereitete. Sie schrieen- „Retten wir die Fuhrmannskncipen, retten wir den Vor¬ spann vor dem Untergang, mit dem er bedroht ist." Aber im Innern des Herzens klangen aus dem kleinstaatlichen Resonanzboden die Worte zurück: „Nelken wir uns selbst, retten wir unsere Souveränetät und Würde, unsere bureaukratisch-bevvrmundendc Viclregiererei, unsern Nepotismus, unsere Dienst¬ pragmatik, unsere Pensionsberechtigung für Frau und Kinder, unsere Exspec- tanzen und Aspirationen für Söhne und Schwiegersöhne, für Vettern und Neffen, für Kind und Kindeskinder!" Allein auch hier wiederholte sich das antike Fatum. Je mehr man seinem Schlaks.it zu entrinnen strebte, desto mehr verwickelte man sich darein. Die grauenhafte große Ocdipustragödie wiederholte sich hier in einer komischen und kleinlichen Parodie. In dem ängstlichen Bestreben, der Klapperschlange zu ent¬ gehen, flog ihr der Vogel in den Rachen. Diejenigen Kleinstaaten, welche am meisten den Eisenbahnen und dem ein¬ heitlichen Wirthschaftsdrange widerstrebten, welche für Staatsbahnen schwärmten und den Nachbarstaaten und den Unternehmern die größten Schwierigkeiten in Betreff der Eiscnbahnbciuten bereiteten, sind von der politischen Schaubühne abgetreten, nicht ohne, gleich dem Geizhals, dem lachenden Erben eine hatte Erbschaft an S t aat s ciscnbahnen zu hinterlassen. Auf dem volkswirtschaft¬ lichen Congresse in Hannover im Herbst 1864 debattirte man die Schwierig¬ keiten, welche die Regierung des Wclfenkönigs im monopolistischen Interesse seiner Staatsciscnbahn dem Projecte Paris-Hamburg bereitete. Da warf der geistreiche Nationalökvnvm Julius Faucher das kecke Wort in die Versammlung: „Wenn eine Regierung sich ciufführt wie ein Kutscher, dann verdient sie auch als Kutscher behandelt zu werden." Das Bonmot erregte damals manchem

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/34
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/34>, abgerufen am 03.07.2024.