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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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daß die meisten Passanten gezwungen sind, in den Mauern der Stadt Quaran-
taine zu halten, zu übernachten oder wenigstens etwas zu -- "verzehren", was
die freireichsstädtischen Wirthe, Bäcker und Metzger sehr vernünftig finden.
"Denn alles Wirkliche ist vernünftig", sagt Hegel.

Wir werfen damit weder auf Deutschland einen Stein, noch auf seine
Monarchen. Wir constatiren nur eine Erscheinung, die begründet ist in der nicht
durch die Anziehung eines starken Mittelpunktes gemäßigten und geregelten
Centripetalkraft des Kleinstaats, -- eine Erscheinung, die wir deshalb ebenso
gut auch auf nichtdeutschen und auf republikanischen Gebiete wiederfinden, wie
z. B. in der Schweiz, welche, wenn sie nicht durch die bundesstaatliche Ver¬
fassung vom zwölften Herbstmonat 1848 die wichtigsten Berkehrsintcressen in
die Hände der Centralgewalt -- des Bundesrathes, des National- und Stände-
rcuhes -- gelegt hätte, jedenfalls gegenwärtig, entweder gar keine oder wenig¬
stens erheblich weniger und höchst verkehrt angelegte Eisenbahnen haben würde.
Denn auch dort bereitete der Kantönligeist den Eisenbahnen denselben Wider¬
stand, wie bei uns die Selbstüberhebung und der Souveränetätsdünl'et gewisser
nunmehr von der Landkarte verschwundener Kleinstaaten.

In Deutschland rächte sich das Eisenbahnwesen an den Kleinstaaten, weiche
ihm Schwierigkeiten bereiteten. Indem es die Entfernungen abkürzte, machte
es den Kleinstaat noch kleiner als er ohnedies schon war. Indem es den
Waarentransport erleichterte, machte es die wenigen Binnenzölle, welche die
Kleinstaaterei im Zollverein aufrecht erhielt -- die Wein-, Tabak-, Spuitus-
und Bierübergangsabgaben, die OctroyS und Accisen von Speisen. Getränken
und Brennmaterialien -- immer noch verhaßter. Indem es die Menschen
immer näher aneinander'nette, entfremdete es dieselben dem Particularismus, den
Kirchthurmsinteressen, dem kleinstaatliche" Stillleben. Es zeigte denselben, daß
jenseits des Bergs und des Bachs auch noch Leute wohnen, und daß je größer
der Staat, desto freier die wirthschaftliche Bewegung. Die wirthsckaftlich und
Politisch centralisirende Richtung der deutschen Eisenbahnen trat in Conflict mit
der decentralifirenden Richtung der Kleinstaaterei, -- und die Gewalt der Eisen¬
bahn bewies sich als die stärkere. Ein gewisser Jnstinct hatte dies einzelnen
Kleinstaatsmännern verrathen. Wir erinnern uns sehr wohl, daß in dem vor¬
maligen Herzogthum Nassau, als die Landstände 1858 den Bau von Staats'
eisenbahnen längs des Rheins und der Lahn decretirte" und die Negierung,
welche sich durch Concessionirung einer bankerotten Privatgesellschaft in große
Verlegenheiten gestürzt hatte, aus welchen sie keinen andern Ausweg sah, als
sich auf die Nückzugsbrücken des Baues auf Staatskosten zu reliriren, welche
ihr die Landsiändc im Interesse des Landes schlugen, daß damals den höchst
Particularistische nassauische Regierungsdirector Schepp vor diesen "verwünschten
Eisenbahnen" ein geheimes Grauen empfand, dem er öffentlichen Ausdruck gab,


daß die meisten Passanten gezwungen sind, in den Mauern der Stadt Quaran-
taine zu halten, zu übernachten oder wenigstens etwas zu — „verzehren", was
die freireichsstädtischen Wirthe, Bäcker und Metzger sehr vernünftig finden.
„Denn alles Wirkliche ist vernünftig", sagt Hegel.

Wir werfen damit weder auf Deutschland einen Stein, noch auf seine
Monarchen. Wir constatiren nur eine Erscheinung, die begründet ist in der nicht
durch die Anziehung eines starken Mittelpunktes gemäßigten und geregelten
Centripetalkraft des Kleinstaats, — eine Erscheinung, die wir deshalb ebenso
gut auch auf nichtdeutschen und auf republikanischen Gebiete wiederfinden, wie
z. B. in der Schweiz, welche, wenn sie nicht durch die bundesstaatliche Ver¬
fassung vom zwölften Herbstmonat 1848 die wichtigsten Berkehrsintcressen in
die Hände der Centralgewalt — des Bundesrathes, des National- und Stände-
rcuhes — gelegt hätte, jedenfalls gegenwärtig, entweder gar keine oder wenig¬
stens erheblich weniger und höchst verkehrt angelegte Eisenbahnen haben würde.
Denn auch dort bereitete der Kantönligeist den Eisenbahnen denselben Wider¬
stand, wie bei uns die Selbstüberhebung und der Souveränetätsdünl'et gewisser
nunmehr von der Landkarte verschwundener Kleinstaaten.

In Deutschland rächte sich das Eisenbahnwesen an den Kleinstaaten, weiche
ihm Schwierigkeiten bereiteten. Indem es die Entfernungen abkürzte, machte
es den Kleinstaat noch kleiner als er ohnedies schon war. Indem es den
Waarentransport erleichterte, machte es die wenigen Binnenzölle, welche die
Kleinstaaterei im Zollverein aufrecht erhielt — die Wein-, Tabak-, Spuitus-
und Bierübergangsabgaben, die OctroyS und Accisen von Speisen. Getränken
und Brennmaterialien — immer noch verhaßter. Indem es die Menschen
immer näher aneinander'nette, entfremdete es dieselben dem Particularismus, den
Kirchthurmsinteressen, dem kleinstaatliche» Stillleben. Es zeigte denselben, daß
jenseits des Bergs und des Bachs auch noch Leute wohnen, und daß je größer
der Staat, desto freier die wirthschaftliche Bewegung. Die wirthsckaftlich und
Politisch centralisirende Richtung der deutschen Eisenbahnen trat in Conflict mit
der decentralifirenden Richtung der Kleinstaaterei, — und die Gewalt der Eisen¬
bahn bewies sich als die stärkere. Ein gewisser Jnstinct hatte dies einzelnen
Kleinstaatsmännern verrathen. Wir erinnern uns sehr wohl, daß in dem vor¬
maligen Herzogthum Nassau, als die Landstände 1858 den Bau von Staats'
eisenbahnen längs des Rheins und der Lahn decretirte» und die Negierung,
welche sich durch Concessionirung einer bankerotten Privatgesellschaft in große
Verlegenheiten gestürzt hatte, aus welchen sie keinen andern Ausweg sah, als
sich auf die Nückzugsbrücken des Baues auf Staatskosten zu reliriren, welche
ihr die Landsiändc im Interesse des Landes schlugen, daß damals den höchst
Particularistische nassauische Regierungsdirector Schepp vor diesen „verwünschten
Eisenbahnen" ein geheimes Grauen empfand, dem er öffentlichen Ausdruck gab,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/33>, abgerufen am 24.08.2024.