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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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Das thut da? wahre Metrum -- wenn es nur jetzt daS ausspricht, was
es aussprechen soll -- und sich nicht mit hundert ungehörigen Lappen behängt
und dadurch zur Unnatur, zum Bombast wird -- das die jungen Leute und
die Unwissenden so verführt.

Was soll man vom Berliner Publikum halten, das das garstige Weiber¬
stück die Maria Stuart mit allgemeinem Beifall aufgenommen hat? Nun
verzweifele ich bald an der Kunst und Wohlanständigkeit. Diese Garderobe-
Weiberlüsternheit und Weiber-Eitelkeit und Weiber-Neid und Weiber-Klatschereien
sind dies Gegenstände für die tragische Muse? -- Das Weimarische Publikum
ist doch ein wenig weiter -- es hat diesem Stück seinen Beifall nicht gegeben
-- obgleich das ganze Jena dazu beordert war.

Doch weg davon.

Wir fühlen oft, daß Sie eine undankbare Arbeit übernommen haben.
Schiller der Große mag fast Recht haben -- "denn aus Gemeinem ist der
Mensch gemacht".

Ich kann doch immer nicht den Gedanken fallen lassen, daß Sie mit
Ihren Gesinnungen, Ihrem Geist und Ihrer glücklichen Diction als Lehrer auf
der Akademie unendlichen, unzuberechnenden Nutzen stiften würden, unter der
verirrten Herde, die keinen Führer hat. Die meisten jungen Leute sehen ihre
Lehrer als Halbgötter an -- die Lehren schlagen Wurzel und treiben weiter. --
Hingegen der Lehrer der Journale bleibt ewig ruhig, nichts haftet mehr an ihm
als Parthei.

Verzeihen Sie dies Geschreibs -- Sie wissen dies Alles ja besser als ich.
Sei es Ihnen indessen ein Beweis, wie sehr wir Sie lieben -- und wie sehr
wir wünschen Ihre herrlichen Kräfte mächtig würken zu sehen.

Was Sie in Ihren Blättern loben, suchen wir auf und lesen's, was Sie
tadeln, stimmen wir oft bei -- wenn auch nicht immer -- letzteres macht, wir
sind älter, ruhiger, nachsichtsvoller.

Unverändert Ihre treuen Freunde.


Caroline Herder.

4) Dieselbe an M. Weimar, den 30. März 1801. Ich habe im vorigen
Brief eine sehr angelegendsten Bitte vergessen zu thun, VerEhrtester, erlauben
Sie, daß ich sie hier nachhole.

Herr Ob. C. V. Böttiger hat uns die durch Herrn v. Grabengiesser ge¬
machten Erfahrungen und Würkungen des Galvanismus aus Ihrem Brief
vorgelesen; sie sind höchst merkwürdig und verdienen die größte Aufmerksamkeit.
Mein Mann trug mir auf, Sie um ein näheres, ganzes Detail der Ver-
fahrungsart und Würkung des Herrn 0. Grabengiessers Experimenten ergebenst


Das thut da? wahre Metrum — wenn es nur jetzt daS ausspricht, was
es aussprechen soll — und sich nicht mit hundert ungehörigen Lappen behängt
und dadurch zur Unnatur, zum Bombast wird — das die jungen Leute und
die Unwissenden so verführt.

Was soll man vom Berliner Publikum halten, das das garstige Weiber¬
stück die Maria Stuart mit allgemeinem Beifall aufgenommen hat? Nun
verzweifele ich bald an der Kunst und Wohlanständigkeit. Diese Garderobe-
Weiberlüsternheit und Weiber-Eitelkeit und Weiber-Neid und Weiber-Klatschereien
sind dies Gegenstände für die tragische Muse? — Das Weimarische Publikum
ist doch ein wenig weiter — es hat diesem Stück seinen Beifall nicht gegeben
— obgleich das ganze Jena dazu beordert war.

Doch weg davon.

Wir fühlen oft, daß Sie eine undankbare Arbeit übernommen haben.
Schiller der Große mag fast Recht haben — „denn aus Gemeinem ist der
Mensch gemacht".

Ich kann doch immer nicht den Gedanken fallen lassen, daß Sie mit
Ihren Gesinnungen, Ihrem Geist und Ihrer glücklichen Diction als Lehrer auf
der Akademie unendlichen, unzuberechnenden Nutzen stiften würden, unter der
verirrten Herde, die keinen Führer hat. Die meisten jungen Leute sehen ihre
Lehrer als Halbgötter an — die Lehren schlagen Wurzel und treiben weiter. —
Hingegen der Lehrer der Journale bleibt ewig ruhig, nichts haftet mehr an ihm
als Parthei.

Verzeihen Sie dies Geschreibs — Sie wissen dies Alles ja besser als ich.
Sei es Ihnen indessen ein Beweis, wie sehr wir Sie lieben — und wie sehr
wir wünschen Ihre herrlichen Kräfte mächtig würken zu sehen.

Was Sie in Ihren Blättern loben, suchen wir auf und lesen's, was Sie
tadeln, stimmen wir oft bei — wenn auch nicht immer — letzteres macht, wir
sind älter, ruhiger, nachsichtsvoller.

Unverändert Ihre treuen Freunde.


Caroline Herder.

4) Dieselbe an M. Weimar, den 30. März 1801. Ich habe im vorigen
Brief eine sehr angelegendsten Bitte vergessen zu thun, VerEhrtester, erlauben
Sie, daß ich sie hier nachhole.

Herr Ob. C. V. Böttiger hat uns die durch Herrn v. Grabengiesser ge¬
machten Erfahrungen und Würkungen des Galvanismus aus Ihrem Brief
vorgelesen; sie sind höchst merkwürdig und verdienen die größte Aufmerksamkeit.
Mein Mann trug mir auf, Sie um ein näheres, ganzes Detail der Ver-
fahrungsart und Würkung des Herrn 0. Grabengiessers Experimenten ergebenst


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[0297] Das thut da? wahre Metrum — wenn es nur jetzt daS ausspricht, was es aussprechen soll — und sich nicht mit hundert ungehörigen Lappen behängt und dadurch zur Unnatur, zum Bombast wird — das die jungen Leute und die Unwissenden so verführt. Was soll man vom Berliner Publikum halten, das das garstige Weiber¬ stück die Maria Stuart mit allgemeinem Beifall aufgenommen hat? Nun verzweifele ich bald an der Kunst und Wohlanständigkeit. Diese Garderobe- Weiberlüsternheit und Weiber-Eitelkeit und Weiber-Neid und Weiber-Klatschereien sind dies Gegenstände für die tragische Muse? — Das Weimarische Publikum ist doch ein wenig weiter — es hat diesem Stück seinen Beifall nicht gegeben — obgleich das ganze Jena dazu beordert war. Doch weg davon. Wir fühlen oft, daß Sie eine undankbare Arbeit übernommen haben. Schiller der Große mag fast Recht haben — „denn aus Gemeinem ist der Mensch gemacht". Ich kann doch immer nicht den Gedanken fallen lassen, daß Sie mit Ihren Gesinnungen, Ihrem Geist und Ihrer glücklichen Diction als Lehrer auf der Akademie unendlichen, unzuberechnenden Nutzen stiften würden, unter der verirrten Herde, die keinen Führer hat. Die meisten jungen Leute sehen ihre Lehrer als Halbgötter an — die Lehren schlagen Wurzel und treiben weiter. — Hingegen der Lehrer der Journale bleibt ewig ruhig, nichts haftet mehr an ihm als Parthei. Verzeihen Sie dies Geschreibs — Sie wissen dies Alles ja besser als ich. Sei es Ihnen indessen ein Beweis, wie sehr wir Sie lieben — und wie sehr wir wünschen Ihre herrlichen Kräfte mächtig würken zu sehen. Was Sie in Ihren Blättern loben, suchen wir auf und lesen's, was Sie tadeln, stimmen wir oft bei — wenn auch nicht immer — letzteres macht, wir sind älter, ruhiger, nachsichtsvoller. Unverändert Ihre treuen Freunde. Caroline Herder. 4) Dieselbe an M. Weimar, den 30. März 1801. Ich habe im vorigen Brief eine sehr angelegendsten Bitte vergessen zu thun, VerEhrtester, erlauben Sie, daß ich sie hier nachhole. Herr Ob. C. V. Böttiger hat uns die durch Herrn v. Grabengiesser ge¬ machten Erfahrungen und Würkungen des Galvanismus aus Ihrem Brief vorgelesen; sie sind höchst merkwürdig und verdienen die größte Aufmerksamkeit. Mein Mann trug mir auf, Sie um ein näheres, ganzes Detail der Ver- fahrungsart und Würkung des Herrn 0. Grabengiessers Experimenten ergebenst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/297>, abgerufen am 22.07.2024.