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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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und hilf uns durch dein Gebet!" Und siehe da, plötzlich erschien der Heilige
mit einer Geißel in der Hand, eilte hinauf und trat oben auf das Segel.
Dann faßte er den Neger bei den Haaren, hob ihn auf und peitschte ihn so
mit der Geißel, daß er laut jammerte und seine Stimme über das ganze Meer
erscholl. Als Simeon ihn nun nach harter Züchtigung frei ließ, floh er eilig
mit Jammern davon, als ob viele ihn verfolgten, und bei dieser Flucht rief
er: "O über dich Simeon! Du hast also daran nicht genug, mich vom Festland
verjagt zu haben, sondern treibst mich auch vom Meere fort! Wohin soll ich
nun gehn?" Und von der Zeit an, daß ihnen der Heilige erschienen war, be¬
ruhigten sich die Wogen, schwiegen die Stürme, bellte sich die Lust auf und
ward das aufgeregte Meer wieder friedlich. Der Heilige aber sprach zu ihnen:
"Fürchtet euch nicht, denn nichts Böses soll euch geschehen." Damit ward er
ihnen entrückt.

"Von der Zeit an wehte ihnen ein lieblicher Wind, und sie fuhren in
Frieden ohne Furcht weiter, bis sie nach Gottes Willen in den Hafen gelangten.
Viele von ihnen kamen darauf mit dem Mann aus Alma zu der Umfriedigung,
innerhalb deren der Heilige lebte, und erzählten das Geschehene in seiner Gegen¬
wart vor aller Welt, und alle, die das hörten, priesen und lobten Gott, der
an ihnen gnädig gehandelt und ihnen durch das Gebet seines Heiligen ge¬
holfen hatte."

Unmittelbar auf diese Geschichte folgt eine ganz ähnliche von der Rettung
eines gefährdeten Schiffs durch den erscheinenden heiligen Simeon, die aber
feinen wichtigen Zug hat, welcher nicht auch in der ersten vorkäme, während
ihr allerlei Charakteristisches fehlt, namentlich der schwarze böse Geist und die
Geißelung desselben, Dinge, welche man unzweifelhaft als vorchristlich anzu¬
sehen hat. Denn es ist uns so gut wie sicher, daß diese Geschichte von der
Rettung aus dem Sturme durch einen guten Geist, welcher den bösen gewaltsam
vertreibt, im Wesentlichen heidnisch ist. Das Wunderbare bei der Uebertragung
ins Christliche ist nicht die Erhebung des Retters durch einen Heiligen über¬
haupt, sondern durch den lebenden Heiligen, der gleichzeitig ruhig auf seiner
Säule stehen bleibt.


Th. 'Rottele.


Verantwortlicher Redacteur: Gustav Freyte,,,.
Verlag von F. L. Herbig. -- Druck von Hiithcl Segler in Leipzig.

und hilf uns durch dein Gebet!" Und siehe da, plötzlich erschien der Heilige
mit einer Geißel in der Hand, eilte hinauf und trat oben auf das Segel.
Dann faßte er den Neger bei den Haaren, hob ihn auf und peitschte ihn so
mit der Geißel, daß er laut jammerte und seine Stimme über das ganze Meer
erscholl. Als Simeon ihn nun nach harter Züchtigung frei ließ, floh er eilig
mit Jammern davon, als ob viele ihn verfolgten, und bei dieser Flucht rief
er: „O über dich Simeon! Du hast also daran nicht genug, mich vom Festland
verjagt zu haben, sondern treibst mich auch vom Meere fort! Wohin soll ich
nun gehn?" Und von der Zeit an, daß ihnen der Heilige erschienen war, be¬
ruhigten sich die Wogen, schwiegen die Stürme, bellte sich die Lust auf und
ward das aufgeregte Meer wieder friedlich. Der Heilige aber sprach zu ihnen:
„Fürchtet euch nicht, denn nichts Böses soll euch geschehen." Damit ward er
ihnen entrückt.

„Von der Zeit an wehte ihnen ein lieblicher Wind, und sie fuhren in
Frieden ohne Furcht weiter, bis sie nach Gottes Willen in den Hafen gelangten.
Viele von ihnen kamen darauf mit dem Mann aus Alma zu der Umfriedigung,
innerhalb deren der Heilige lebte, und erzählten das Geschehene in seiner Gegen¬
wart vor aller Welt, und alle, die das hörten, priesen und lobten Gott, der
an ihnen gnädig gehandelt und ihnen durch das Gebet seines Heiligen ge¬
holfen hatte."

Unmittelbar auf diese Geschichte folgt eine ganz ähnliche von der Rettung
eines gefährdeten Schiffs durch den erscheinenden heiligen Simeon, die aber
feinen wichtigen Zug hat, welcher nicht auch in der ersten vorkäme, während
ihr allerlei Charakteristisches fehlt, namentlich der schwarze böse Geist und die
Geißelung desselben, Dinge, welche man unzweifelhaft als vorchristlich anzu¬
sehen hat. Denn es ist uns so gut wie sicher, daß diese Geschichte von der
Rettung aus dem Sturme durch einen guten Geist, welcher den bösen gewaltsam
vertreibt, im Wesentlichen heidnisch ist. Das Wunderbare bei der Uebertragung
ins Christliche ist nicht die Erhebung des Retters durch einen Heiligen über¬
haupt, sondern durch den lebenden Heiligen, der gleichzeitig ruhig auf seiner
Säule stehen bleibt.


Th. 'Rottele.


Verantwortlicher Redacteur: Gustav Freyte,,,.
Verlag von F. L. Herbig. — Druck von Hiithcl Segler in Leipzig.
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[0284] und hilf uns durch dein Gebet!" Und siehe da, plötzlich erschien der Heilige mit einer Geißel in der Hand, eilte hinauf und trat oben auf das Segel. Dann faßte er den Neger bei den Haaren, hob ihn auf und peitschte ihn so mit der Geißel, daß er laut jammerte und seine Stimme über das ganze Meer erscholl. Als Simeon ihn nun nach harter Züchtigung frei ließ, floh er eilig mit Jammern davon, als ob viele ihn verfolgten, und bei dieser Flucht rief er: „O über dich Simeon! Du hast also daran nicht genug, mich vom Festland verjagt zu haben, sondern treibst mich auch vom Meere fort! Wohin soll ich nun gehn?" Und von der Zeit an, daß ihnen der Heilige erschienen war, be¬ ruhigten sich die Wogen, schwiegen die Stürme, bellte sich die Lust auf und ward das aufgeregte Meer wieder friedlich. Der Heilige aber sprach zu ihnen: „Fürchtet euch nicht, denn nichts Böses soll euch geschehen." Damit ward er ihnen entrückt. „Von der Zeit an wehte ihnen ein lieblicher Wind, und sie fuhren in Frieden ohne Furcht weiter, bis sie nach Gottes Willen in den Hafen gelangten. Viele von ihnen kamen darauf mit dem Mann aus Alma zu der Umfriedigung, innerhalb deren der Heilige lebte, und erzählten das Geschehene in seiner Gegen¬ wart vor aller Welt, und alle, die das hörten, priesen und lobten Gott, der an ihnen gnädig gehandelt und ihnen durch das Gebet seines Heiligen ge¬ holfen hatte." Unmittelbar auf diese Geschichte folgt eine ganz ähnliche von der Rettung eines gefährdeten Schiffs durch den erscheinenden heiligen Simeon, die aber feinen wichtigen Zug hat, welcher nicht auch in der ersten vorkäme, während ihr allerlei Charakteristisches fehlt, namentlich der schwarze böse Geist und die Geißelung desselben, Dinge, welche man unzweifelhaft als vorchristlich anzu¬ sehen hat. Denn es ist uns so gut wie sicher, daß diese Geschichte von der Rettung aus dem Sturme durch einen guten Geist, welcher den bösen gewaltsam vertreibt, im Wesentlichen heidnisch ist. Das Wunderbare bei der Uebertragung ins Christliche ist nicht die Erhebung des Retters durch einen Heiligen über¬ haupt, sondern durch den lebenden Heiligen, der gleichzeitig ruhig auf seiner Säule stehen bleibt. Th. 'Rottele. Verantwortlicher Redacteur: Gustav Freyte,,,. Verlag von F. L. Herbig. — Druck von Hiithcl Segler in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/284>, abgerufen am 05.02.2025.