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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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der, noch dazu meistens durch äußeren Zwang veranlaßten Annahme einer
höheren Religion ändern die Völker nicht ihr ganzes Innere, Der alte Aber¬
glaube streift oft nur einige anstößige Äußerlichkeiten ab, ohne sich seinem
Kar" nach zu ändern; er wird nicht besser, sondern eher durch den Mißbrauch
höherer Ideen schlimmer.

Diese in neuerer Zeit vielfach beobachtete und besprochene Erscheinung ist
auch im Orient zu bemerken. Wir wollen hier aus authentischer Quelle einen
interessanten Beleg davon anführen. Eine der seltsamsten, im Grunde freilich
vetrübcudsten Figuren aus der früheren Zeit der morgenländischen Kirche haben
wir in Simeon dem Sau l en h el lig c n, der im fünften Jahrhundert in
der Gegend des syrischen Antiochien durch seine geisttödtende Askese, namentlich
dadurch, daß er gegen ein halbes Jahrhundert auf einer Säule stand, zu dem
höchsten Ansehn gelangte, von dem er nicht immer einen segensreichen Gebrauch
machte, und noch bei Lebzeiten in den Ruf eines Wunderthätcrs kam. In
einem sehr bald nach seinem Tode von zwei Verehrern (Simeon Sohn des
Apollonius und Bar Hator, nicht, wie der Herausgeber meint, von Kosmas)
geschriebenen syrischen Biographie dieses Heiligen wird, offenbar im besten
Glauben, eine ganze Anzahl von Wundern desselben erzählt, welche theils, wie
so viele andere Thaten heiliger Männer, den neutestamentlichen Heilungswuu-
dcrn einfach nachgebildet, theils aber Mirakel in des Wortes verwegenster Be¬
deutung sind, mit einem starken Anflug von heidnischem Zauberspuk. Aus
der Reihe der letzteren heben wir ein besonders charakteristisches hervor.

Zu allen Zeiten waren solche Volksclassen, welche vielfach in augenschein¬
licher Lebensgefahr schweben und sich den zerstörenden Gewalten der Natur
gegenüber ihrer Hilfsbedürftigkeit recht bewußt werden, dem Aberglauben be¬
sonders ergeben. Namentlich gilt dies von den Seeleuten. Wie die griechischen
Schiffer an allerlei Meerwunder und Schrecken glaubten, wie noch jetzt mancher
wackere Seemann mit Entsetzen an den fliegenden Holländer und andere schlimme
Vorzeichen denkt, so war es auch bei den orientalischen Christen der ersten Jahr¬
hunderte. Aber natürlich mußte ihr Aberglaube in irgendeine Beziehung zur
Religion gebracht werden. So erscheint denn unser Simeon als reitender
Engel diesen Christen, wie den Griechen die Dioskuren. Das Wunderbarste
hierbei ist aber, daß er diese Geisterrolle schön bei seinen Lebzeiten spielt. Ob
sich dieses mit den Lehren der Kirche verträgt, oder ob diese hier nicht Teufels¬
spuk sehen muß, wollen wir dahin gestellt sein lassen: genug, daß sowohl die
Verfasser, wie auch der Herausgeber, der Maronit Se. Ev. Assemani, welcher
die Geschichte ohne Anstoß abdrückt, als tadellos rechtgläubige Katholiken
gelten.

Wir übersetzen die Geschichte möglichst wörtlich nach Asscmanis syrischen
Text (in dessen ^ela Nur-t^rum, Roirure 1748, Vol. II, i>. 333 tM).


der, noch dazu meistens durch äußeren Zwang veranlaßten Annahme einer
höheren Religion ändern die Völker nicht ihr ganzes Innere, Der alte Aber¬
glaube streift oft nur einige anstößige Äußerlichkeiten ab, ohne sich seinem
Kar» nach zu ändern; er wird nicht besser, sondern eher durch den Mißbrauch
höherer Ideen schlimmer.

Diese in neuerer Zeit vielfach beobachtete und besprochene Erscheinung ist
auch im Orient zu bemerken. Wir wollen hier aus authentischer Quelle einen
interessanten Beleg davon anführen. Eine der seltsamsten, im Grunde freilich
vetrübcudsten Figuren aus der früheren Zeit der morgenländischen Kirche haben
wir in Simeon dem Sau l en h el lig c n, der im fünften Jahrhundert in
der Gegend des syrischen Antiochien durch seine geisttödtende Askese, namentlich
dadurch, daß er gegen ein halbes Jahrhundert auf einer Säule stand, zu dem
höchsten Ansehn gelangte, von dem er nicht immer einen segensreichen Gebrauch
machte, und noch bei Lebzeiten in den Ruf eines Wunderthätcrs kam. In
einem sehr bald nach seinem Tode von zwei Verehrern (Simeon Sohn des
Apollonius und Bar Hator, nicht, wie der Herausgeber meint, von Kosmas)
geschriebenen syrischen Biographie dieses Heiligen wird, offenbar im besten
Glauben, eine ganze Anzahl von Wundern desselben erzählt, welche theils, wie
so viele andere Thaten heiliger Männer, den neutestamentlichen Heilungswuu-
dcrn einfach nachgebildet, theils aber Mirakel in des Wortes verwegenster Be¬
deutung sind, mit einem starken Anflug von heidnischem Zauberspuk. Aus
der Reihe der letzteren heben wir ein besonders charakteristisches hervor.

Zu allen Zeiten waren solche Volksclassen, welche vielfach in augenschein¬
licher Lebensgefahr schweben und sich den zerstörenden Gewalten der Natur
gegenüber ihrer Hilfsbedürftigkeit recht bewußt werden, dem Aberglauben be¬
sonders ergeben. Namentlich gilt dies von den Seeleuten. Wie die griechischen
Schiffer an allerlei Meerwunder und Schrecken glaubten, wie noch jetzt mancher
wackere Seemann mit Entsetzen an den fliegenden Holländer und andere schlimme
Vorzeichen denkt, so war es auch bei den orientalischen Christen der ersten Jahr¬
hunderte. Aber natürlich mußte ihr Aberglaube in irgendeine Beziehung zur
Religion gebracht werden. So erscheint denn unser Simeon als reitender
Engel diesen Christen, wie den Griechen die Dioskuren. Das Wunderbarste
hierbei ist aber, daß er diese Geisterrolle schön bei seinen Lebzeiten spielt. Ob
sich dieses mit den Lehren der Kirche verträgt, oder ob diese hier nicht Teufels¬
spuk sehen muß, wollen wir dahin gestellt sein lassen: genug, daß sowohl die
Verfasser, wie auch der Herausgeber, der Maronit Se. Ev. Assemani, welcher
die Geschichte ohne Anstoß abdrückt, als tadellos rechtgläubige Katholiken
gelten.

Wir übersetzen die Geschichte möglichst wörtlich nach Asscmanis syrischen
Text (in dessen ^ela Nur-t^rum, Roirure 1748, Vol. II, i>. 333 tM).


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[0282] der, noch dazu meistens durch äußeren Zwang veranlaßten Annahme einer höheren Religion ändern die Völker nicht ihr ganzes Innere, Der alte Aber¬ glaube streift oft nur einige anstößige Äußerlichkeiten ab, ohne sich seinem Kar» nach zu ändern; er wird nicht besser, sondern eher durch den Mißbrauch höherer Ideen schlimmer. Diese in neuerer Zeit vielfach beobachtete und besprochene Erscheinung ist auch im Orient zu bemerken. Wir wollen hier aus authentischer Quelle einen interessanten Beleg davon anführen. Eine der seltsamsten, im Grunde freilich vetrübcudsten Figuren aus der früheren Zeit der morgenländischen Kirche haben wir in Simeon dem Sau l en h el lig c n, der im fünften Jahrhundert in der Gegend des syrischen Antiochien durch seine geisttödtende Askese, namentlich dadurch, daß er gegen ein halbes Jahrhundert auf einer Säule stand, zu dem höchsten Ansehn gelangte, von dem er nicht immer einen segensreichen Gebrauch machte, und noch bei Lebzeiten in den Ruf eines Wunderthätcrs kam. In einem sehr bald nach seinem Tode von zwei Verehrern (Simeon Sohn des Apollonius und Bar Hator, nicht, wie der Herausgeber meint, von Kosmas) geschriebenen syrischen Biographie dieses Heiligen wird, offenbar im besten Glauben, eine ganze Anzahl von Wundern desselben erzählt, welche theils, wie so viele andere Thaten heiliger Männer, den neutestamentlichen Heilungswuu- dcrn einfach nachgebildet, theils aber Mirakel in des Wortes verwegenster Be¬ deutung sind, mit einem starken Anflug von heidnischem Zauberspuk. Aus der Reihe der letzteren heben wir ein besonders charakteristisches hervor. Zu allen Zeiten waren solche Volksclassen, welche vielfach in augenschein¬ licher Lebensgefahr schweben und sich den zerstörenden Gewalten der Natur gegenüber ihrer Hilfsbedürftigkeit recht bewußt werden, dem Aberglauben be¬ sonders ergeben. Namentlich gilt dies von den Seeleuten. Wie die griechischen Schiffer an allerlei Meerwunder und Schrecken glaubten, wie noch jetzt mancher wackere Seemann mit Entsetzen an den fliegenden Holländer und andere schlimme Vorzeichen denkt, so war es auch bei den orientalischen Christen der ersten Jahr¬ hunderte. Aber natürlich mußte ihr Aberglaube in irgendeine Beziehung zur Religion gebracht werden. So erscheint denn unser Simeon als reitender Engel diesen Christen, wie den Griechen die Dioskuren. Das Wunderbarste hierbei ist aber, daß er diese Geisterrolle schön bei seinen Lebzeiten spielt. Ob sich dieses mit den Lehren der Kirche verträgt, oder ob diese hier nicht Teufels¬ spuk sehen muß, wollen wir dahin gestellt sein lassen: genug, daß sowohl die Verfasser, wie auch der Herausgeber, der Maronit Se. Ev. Assemani, welcher die Geschichte ohne Anstoß abdrückt, als tadellos rechtgläubige Katholiken gelten. Wir übersetzen die Geschichte möglichst wörtlich nach Asscmanis syrischen Text (in dessen ^ela Nur-t^rum, Roirure 1748, Vol. II, i>. 333 tM).

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/282>, abgerufen am 22.07.2024.