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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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trctenen literarisch-kritischen Ansichten, die ihn einst den populärsten deutschen
Schriftstellern zugesellt hatten, waren überlebt und hatten kein Publikum mehr,
der muthige Federkrieg gegen die Franzosen, durch welchen der Freimüthige
von 180K sich vor allen übrigen deutschen Journalen ausgezeichnet, war durch
die Veränderung der Verhältnisse unmöglich geworben. Eine politische Thätig¬
keit, wie Merkel sie sich gewünscht hätte, War gleichfalls nicht möglich; schon
regte sich der Geist der Rcstaurationspolitik, um alle Erinnerungen an die
freiheitlichen Ideen der vorigen Jahre in die Acht zu erklären, jede Theilnahme
der Staatsbürger an den öffentlichen Angelegenheiten zu vcrpöuen und die
famose Lehre, daß "Nuhe" die erste Bürgerpflicht sei, in ihr alles Recht einzu¬
sehen. Merkel kehrte uach Riga zurück, wo er bis an sein Lebensende als
Publicist wirksam blieb und sich mannigfache Verdienste um die Besserung der
ökonomischen und politischen Verhältnisse des Landvolks erwarb und die Sache
des deutschen Charakters seiner Heimaih muthig gegen das hereinbrechende
Nusscnthum vertrat. Hvchbetagt starb er im Jahre 1850 auf seinem bei Riga
belegenen Landgut Depkinshvf. Daß er den Anschauungen seiner Jugend bis
an das Lebensende treu blieb, braucht nicht erst gesagt zu werden; zu erwähnen
wäre nur noch, daß seine in den zwanziger Jahren geschriebenen "Darstellungen
und Charakteristiken aus meinem Leben" höchst interessante Aufzeichnungen und
Beiträge zur Geschichte der Weimarer Literaturperiode enthalten, die, weil sie
in Deutschland nie bekannt geworden sind und mannigfache Aufschlüsse über
Personen und Zustände aus den Jahren 1795---180S enthalten, trotz aller
Parteilichkeit der Urtheile des wunderlichen Autors, der Erneuerung nicht un¬
werth wären.

An dem Urtheil, das über Merkel den Kritiker und literarischen Partei¬
gänger feststeht, wird weder die vorstehende Aufzeichnung uoch die Ver¬
öffentlichungen, welche denselben folgen sollen, etwas ändern. Die Absicht
dieser Blätter beschränkt sich auf den Nachweis, daß Merkel mehr und etwas
anderes, als blos urtheilslvscr Kritiker und ästhetischer Dilettant gewesen ist,
daß die verfehlte Richtung der Thätigkeit, zu welcher er.sich hinreißen ließ,
wesentlich auf die Verkehrtheit der Verhältnisse zurückzuführen ist, unter denen
er lebte und die den nach Publicistischcr Thätigkeit dürstenden und für diese
dnrch Natur und Begabung bestimmten Mann ausschließlich auf die Beschäf¬
tigung mit ästhetischen Dingen hinwies. Weil unsere Zeit einen andern Ma߬
stab der Beurtheilung als den exclusiv-ästhetischen hat, schien es uns an der
Zeit daran zu erinnern, daß d'rs literarische Unwesen der Weimarer Periode
seinen Hauptgrund darin hatte, daß'die Nation von aller Betheiligung an den
öffentlichen Angelegenheiten ausgeschlossen war, daß tüchtige Kräfte, die unter
anderen Verhältnissen reichen Segen gestiftet hätten, auf ein Feld gedrängt >
wurden, für das sie nicht bestimmt waren. Weil das wirkliche Leben sich nach


trctenen literarisch-kritischen Ansichten, die ihn einst den populärsten deutschen
Schriftstellern zugesellt hatten, waren überlebt und hatten kein Publikum mehr,
der muthige Federkrieg gegen die Franzosen, durch welchen der Freimüthige
von 180K sich vor allen übrigen deutschen Journalen ausgezeichnet, war durch
die Veränderung der Verhältnisse unmöglich geworben. Eine politische Thätig¬
keit, wie Merkel sie sich gewünscht hätte, War gleichfalls nicht möglich; schon
regte sich der Geist der Rcstaurationspolitik, um alle Erinnerungen an die
freiheitlichen Ideen der vorigen Jahre in die Acht zu erklären, jede Theilnahme
der Staatsbürger an den öffentlichen Angelegenheiten zu vcrpöuen und die
famose Lehre, daß „Nuhe" die erste Bürgerpflicht sei, in ihr alles Recht einzu¬
sehen. Merkel kehrte uach Riga zurück, wo er bis an sein Lebensende als
Publicist wirksam blieb und sich mannigfache Verdienste um die Besserung der
ökonomischen und politischen Verhältnisse des Landvolks erwarb und die Sache
des deutschen Charakters seiner Heimaih muthig gegen das hereinbrechende
Nusscnthum vertrat. Hvchbetagt starb er im Jahre 1850 auf seinem bei Riga
belegenen Landgut Depkinshvf. Daß er den Anschauungen seiner Jugend bis
an das Lebensende treu blieb, braucht nicht erst gesagt zu werden; zu erwähnen
wäre nur noch, daß seine in den zwanziger Jahren geschriebenen „Darstellungen
und Charakteristiken aus meinem Leben" höchst interessante Aufzeichnungen und
Beiträge zur Geschichte der Weimarer Literaturperiode enthalten, die, weil sie
in Deutschland nie bekannt geworden sind und mannigfache Aufschlüsse über
Personen und Zustände aus den Jahren 1795-—180S enthalten, trotz aller
Parteilichkeit der Urtheile des wunderlichen Autors, der Erneuerung nicht un¬
werth wären.

An dem Urtheil, das über Merkel den Kritiker und literarischen Partei¬
gänger feststeht, wird weder die vorstehende Aufzeichnung uoch die Ver¬
öffentlichungen, welche denselben folgen sollen, etwas ändern. Die Absicht
dieser Blätter beschränkt sich auf den Nachweis, daß Merkel mehr und etwas
anderes, als blos urtheilslvscr Kritiker und ästhetischer Dilettant gewesen ist,
daß die verfehlte Richtung der Thätigkeit, zu welcher er.sich hinreißen ließ,
wesentlich auf die Verkehrtheit der Verhältnisse zurückzuführen ist, unter denen
er lebte und die den nach Publicistischcr Thätigkeit dürstenden und für diese
dnrch Natur und Begabung bestimmten Mann ausschließlich auf die Beschäf¬
tigung mit ästhetischen Dingen hinwies. Weil unsere Zeit einen andern Ma߬
stab der Beurtheilung als den exclusiv-ästhetischen hat, schien es uns an der
Zeit daran zu erinnern, daß d'rs literarische Unwesen der Weimarer Periode
seinen Hauptgrund darin hatte, daß'die Nation von aller Betheiligung an den
öffentlichen Angelegenheiten ausgeschlossen war, daß tüchtige Kräfte, die unter
anderen Verhältnissen reichen Segen gestiftet hätten, auf ein Feld gedrängt >
wurden, für das sie nicht bestimmt waren. Weil das wirkliche Leben sich nach


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/280>, abgerufen am 22.07.2024.