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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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des "Freimüthigen" ein erbitterter Gegner des französischen Kaiserthums und
besonders der süddeutschen und rheinbündlerischen Anhänger desselben. In Ber¬
tin rasch acclimatisirt und ein lebhafter Anhänger des preußischen Staats
wurde er nicht müde, gegen die geringschätzige Art und Weise zu Felde zu
ziehen, mit welcher die preußischen Zustände in der französischen Presse be¬
sprochen wurden. Schon der Jahrgang 1805 des Freimüthigen enthielt zahl¬
reiche Ausfälle auf Napoleon und dessen deutsche Vasallen; die Sache des be¬
drängten östreichischen Kaiserstaats wurde Frankreich gegenüber mit Wärme und
Entschiedenheit verfochten, Alexander von Rußland, der über Berlin an die
Donau ging, um Oestreich zu unterstützen, als "rettender Genius des Nordens"
in Prosa wie in Versen gefeiert u. s. w. Die Uiiglücksfällc. welche das Jahr
1800 auf Deutschland häufte, trugen nur dazu bei, die Franzoscnfeindschast
des Freimüthigen zu schärfen; einen wahrhaft entscheidenden Schritt hat das
berliner Journal, als es -- sich durch einen leidenschaftlichen Bericht über die
Hinrichtung Palus, der mit einem Aufruf zur Erhebung der gescrmmten deut¬
schen Nation schloß -- direct auf die ProscriptionSliste der von Süden heran¬
rückenden französischen Machthaber setzte.

Während die Franzoscnfurcht schon im Sommer 1806 so allgemein ver¬
breitet war, daß kein norddeutsches Blatt die deutschen Söldlinge des Impera¬
tors mehr anzugreifen wagte, nahm Merkel keinen Anstand, gewisse französische
Umtriebe unter den berliner Juden öffentlich zur Sprache zu bringen, die Noth¬
wendigkeit einer allgemeinen Volksbewaffnung und Volkserhebung zu predigen
und in einem rasch verbreiteten "Kriegsiiede" die glorreichen Erinnerungen des
altpreußischen Waffenruhe wachzurufen. -- Daß der Herausgeber des "Frei¬
müthigen" (der damals sehr verbreitet war und in Amsterdam in holländischer
Uebersetzung regelmäßig reproducirt wurde) schon im November 1805 die Be¬
gründung eines Volksblatts mit nationaler Tendenz projectirt hatte, um ver¬
mittelst dieses einen Volkskrieg vorzubereiten, ist in diesem Blatte (vgl. "Ein
denkwürdiger Brief vom Jahre 1805", Heft 1 der Grenzboten 1867) bereits
früher berichtet worden. --> Noch am Tage der Schlacht bei Jena druckte der
"Freimüthige" eine Ode") ab, in welcher der "Geist Hermanns" mit Ver¬
heißungen deutscher Siege über die Bedränger des Vaterlandes getröstet wird;
es war seine letzte Heldenthat. Am 17. October mußte Merkel auf den aus¬
drücklichen Wunsch des geängstigten berliner Stadtgouverucurs Grafen Schulen-
burg die preußische Hauptstadt verlassen, denn die preußische Regierung wußte
seit lange, daß der "Frcunüthige" in Paris sehr übel angeschrieben sei. Merkel
floh über Stettin und Königsberg nach Riga, um hier seine Agitation gegen
die Franzosenhcrrschaft fortzusetzen. Seine "Supplcmentblcittcr zum Freimüthigen"



') Der Dichter war ein leipziger Student, der spätere Hofrath Thiersch.

des „Freimüthigen" ein erbitterter Gegner des französischen Kaiserthums und
besonders der süddeutschen und rheinbündlerischen Anhänger desselben. In Ber¬
tin rasch acclimatisirt und ein lebhafter Anhänger des preußischen Staats
wurde er nicht müde, gegen die geringschätzige Art und Weise zu Felde zu
ziehen, mit welcher die preußischen Zustände in der französischen Presse be¬
sprochen wurden. Schon der Jahrgang 1805 des Freimüthigen enthielt zahl¬
reiche Ausfälle auf Napoleon und dessen deutsche Vasallen; die Sache des be¬
drängten östreichischen Kaiserstaats wurde Frankreich gegenüber mit Wärme und
Entschiedenheit verfochten, Alexander von Rußland, der über Berlin an die
Donau ging, um Oestreich zu unterstützen, als „rettender Genius des Nordens"
in Prosa wie in Versen gefeiert u. s. w. Die Uiiglücksfällc. welche das Jahr
1800 auf Deutschland häufte, trugen nur dazu bei, die Franzoscnfeindschast
des Freimüthigen zu schärfen; einen wahrhaft entscheidenden Schritt hat das
berliner Journal, als es — sich durch einen leidenschaftlichen Bericht über die
Hinrichtung Palus, der mit einem Aufruf zur Erhebung der gescrmmten deut¬
schen Nation schloß — direct auf die ProscriptionSliste der von Süden heran¬
rückenden französischen Machthaber setzte.

Während die Franzoscnfurcht schon im Sommer 1806 so allgemein ver¬
breitet war, daß kein norddeutsches Blatt die deutschen Söldlinge des Impera¬
tors mehr anzugreifen wagte, nahm Merkel keinen Anstand, gewisse französische
Umtriebe unter den berliner Juden öffentlich zur Sprache zu bringen, die Noth¬
wendigkeit einer allgemeinen Volksbewaffnung und Volkserhebung zu predigen
und in einem rasch verbreiteten „Kriegsiiede" die glorreichen Erinnerungen des
altpreußischen Waffenruhe wachzurufen. — Daß der Herausgeber des „Frei¬
müthigen" (der damals sehr verbreitet war und in Amsterdam in holländischer
Uebersetzung regelmäßig reproducirt wurde) schon im November 1805 die Be¬
gründung eines Volksblatts mit nationaler Tendenz projectirt hatte, um ver¬
mittelst dieses einen Volkskrieg vorzubereiten, ist in diesem Blatte (vgl. „Ein
denkwürdiger Brief vom Jahre 1805", Heft 1 der Grenzboten 1867) bereits
früher berichtet worden. —> Noch am Tage der Schlacht bei Jena druckte der
„Freimüthige" eine Ode") ab, in welcher der „Geist Hermanns" mit Ver¬
heißungen deutscher Siege über die Bedränger des Vaterlandes getröstet wird;
es war seine letzte Heldenthat. Am 17. October mußte Merkel auf den aus¬
drücklichen Wunsch des geängstigten berliner Stadtgouverucurs Grafen Schulen-
burg die preußische Hauptstadt verlassen, denn die preußische Regierung wußte
seit lange, daß der „Frcunüthige" in Paris sehr übel angeschrieben sei. Merkel
floh über Stettin und Königsberg nach Riga, um hier seine Agitation gegen
die Franzosenhcrrschaft fortzusetzen. Seine „Supplcmentblcittcr zum Freimüthigen"



') Der Dichter war ein leipziger Student, der spätere Hofrath Thiersch.
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[0278] des „Freimüthigen" ein erbitterter Gegner des französischen Kaiserthums und besonders der süddeutschen und rheinbündlerischen Anhänger desselben. In Ber¬ tin rasch acclimatisirt und ein lebhafter Anhänger des preußischen Staats wurde er nicht müde, gegen die geringschätzige Art und Weise zu Felde zu ziehen, mit welcher die preußischen Zustände in der französischen Presse be¬ sprochen wurden. Schon der Jahrgang 1805 des Freimüthigen enthielt zahl¬ reiche Ausfälle auf Napoleon und dessen deutsche Vasallen; die Sache des be¬ drängten östreichischen Kaiserstaats wurde Frankreich gegenüber mit Wärme und Entschiedenheit verfochten, Alexander von Rußland, der über Berlin an die Donau ging, um Oestreich zu unterstützen, als „rettender Genius des Nordens" in Prosa wie in Versen gefeiert u. s. w. Die Uiiglücksfällc. welche das Jahr 1800 auf Deutschland häufte, trugen nur dazu bei, die Franzoscnfeindschast des Freimüthigen zu schärfen; einen wahrhaft entscheidenden Schritt hat das berliner Journal, als es — sich durch einen leidenschaftlichen Bericht über die Hinrichtung Palus, der mit einem Aufruf zur Erhebung der gescrmmten deut¬ schen Nation schloß — direct auf die ProscriptionSliste der von Süden heran¬ rückenden französischen Machthaber setzte. Während die Franzoscnfurcht schon im Sommer 1806 so allgemein ver¬ breitet war, daß kein norddeutsches Blatt die deutschen Söldlinge des Impera¬ tors mehr anzugreifen wagte, nahm Merkel keinen Anstand, gewisse französische Umtriebe unter den berliner Juden öffentlich zur Sprache zu bringen, die Noth¬ wendigkeit einer allgemeinen Volksbewaffnung und Volkserhebung zu predigen und in einem rasch verbreiteten „Kriegsiiede" die glorreichen Erinnerungen des altpreußischen Waffenruhe wachzurufen. — Daß der Herausgeber des „Frei¬ müthigen" (der damals sehr verbreitet war und in Amsterdam in holländischer Uebersetzung regelmäßig reproducirt wurde) schon im November 1805 die Be¬ gründung eines Volksblatts mit nationaler Tendenz projectirt hatte, um ver¬ mittelst dieses einen Volkskrieg vorzubereiten, ist in diesem Blatte (vgl. „Ein denkwürdiger Brief vom Jahre 1805", Heft 1 der Grenzboten 1867) bereits früher berichtet worden. —> Noch am Tage der Schlacht bei Jena druckte der „Freimüthige" eine Ode") ab, in welcher der „Geist Hermanns" mit Ver¬ heißungen deutscher Siege über die Bedränger des Vaterlandes getröstet wird; es war seine letzte Heldenthat. Am 17. October mußte Merkel auf den aus¬ drücklichen Wunsch des geängstigten berliner Stadtgouverucurs Grafen Schulen- burg die preußische Hauptstadt verlassen, denn die preußische Regierung wußte seit lange, daß der „Frcunüthige" in Paris sehr übel angeschrieben sei. Merkel floh über Stettin und Königsberg nach Riga, um hier seine Agitation gegen die Franzosenhcrrschaft fortzusetzen. Seine „Supplcmentblcittcr zum Freimüthigen" ') Der Dichter war ein leipziger Student, der spätere Hofrath Thiersch.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/278>, abgerufen am 22.07.2024.