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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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Literaturgeschichten der Gegenwart hat diesem schon als Chorführer der Goethe
feindlichen Partei hervorragende Mann, der bei der Darstellung der Weimarer
Literaturperiode einmal nicht Übergängen werden kann, auch nur den literar-
geschichtllch richtigen Platz angewiesen. Gervinus (Literatur^eschichte Bd. V,
S. 6S6) kennt ihn nur als Bundesgenossen Kotzebues. mit dem er in Wahrheit
nur kurze Zeit in einer Gemeinschaft gestanden, deren er sich später selbst
schämte. Laube (Bd. III, S. 127) begnügt sich damit, ihn den "cynischen
Freund" Kotzebues zu nennen, selbst der grüneliche Koberstein (Bö.III, S. 2488
bis 2496), der die kritische Thätigkeit Merkels sehr eingehend bespricht, irrt in
seinen Angaben über das Geburtsjahr und ist mit den für die Beurtheilung
dieses Autors höchst wichtigen Antecedenzien desselben ebenso unbekannt, wie
mit der Rolle, die dieser Mann als eifriger und vielfach verfolgter Gegner
Napoleons und der Franzosen gespielt hat; Julian Schmidt (Bd. I, S. 275
und 421), der ihn als "Wortführer des großen Haufens" neben Nikolai und
Kotzebue nennt, läßt es bei einer kurzen Erwähnung der "Briefe an ein
Frauenzimmer" bewenden. Es kommt allerdings nicht viel darauf an, ob einem
halbvergessenen und für die Entwickelung des deutschen Geisteslebens ziemlich
gleichgültigen Schriftsteller sein volles Recht geworden oder nicht: auch geht die
vorliegende Rublitation keineswegs auf eine jener "Rettungen" aus, die in Mode
zu kommen beginnen. Nur die Möglichkeit, aus dem Nachlasse Merkels und
dessen späteren, in Deutschland kaum dem Namen nach bekannt gewordenen
Schriften bemerkenswerthe Betträge zur Geschichte der deutschen Kunst und
des Geisteslebens der Weimarer Periode liefern zu können, hat zu der nachstehen¬
den Aufzeichnung Grund und Veranlassung geboten. Von Merkel selbst,
dessen politische Thätigkeit an einem anderen Ort eingehend besprochen worden
ist*), werden wir nur in so weit handeln, als zum Verständniß seiner Mit¬
theilungen über hervorragende Zeitgenossen und zur richtigen Beurtheilung der
an ihn gerichteten Briefe Herders, Wielands, Karoline Herders, Böttigers,
Seumes, Johannes v. Müllers. Kotzebues, Ancillons u. a. nothwendig ist.
Zu der Veröffentlichung jener Briefe selbst glauben wir durch die Namen der
Briefsteller wie durch ihren Inhalt berechtigt zu sein.

Garlieb Hellwig Merkel wurde im October 1769 (nicht 1776, wie es bei
Koberstein a. a.O. und in früheren Ausgaben des Brockhausschen Konversations¬
lexikons heißt) als Sohn eines livlänb>schen Landpredigers geboren. Sein Vater,
vo" dem er den ersten Unterricht erhielt, war ein eifriger Schüler Bayles und Vol¬
taires, der deu Sohn in den Grundsätzen der Aufklärungsphilosophie und des
Encyklopädismus erzog und systematisch zum "Freidenker" ausbildete. Obgleich



') Vgl, York und Paulucci, Aus dem Nachlaß G. Merkels herausgegeben von Julius
Eckardt, Leipzig 1865. Veit u. Comp,

Literaturgeschichten der Gegenwart hat diesem schon als Chorführer der Goethe
feindlichen Partei hervorragende Mann, der bei der Darstellung der Weimarer
Literaturperiode einmal nicht Übergängen werden kann, auch nur den literar-
geschichtllch richtigen Platz angewiesen. Gervinus (Literatur^eschichte Bd. V,
S. 6S6) kennt ihn nur als Bundesgenossen Kotzebues. mit dem er in Wahrheit
nur kurze Zeit in einer Gemeinschaft gestanden, deren er sich später selbst
schämte. Laube (Bd. III, S. 127) begnügt sich damit, ihn den „cynischen
Freund" Kotzebues zu nennen, selbst der grüneliche Koberstein (Bö.III, S. 2488
bis 2496), der die kritische Thätigkeit Merkels sehr eingehend bespricht, irrt in
seinen Angaben über das Geburtsjahr und ist mit den für die Beurtheilung
dieses Autors höchst wichtigen Antecedenzien desselben ebenso unbekannt, wie
mit der Rolle, die dieser Mann als eifriger und vielfach verfolgter Gegner
Napoleons und der Franzosen gespielt hat; Julian Schmidt (Bd. I, S. 275
und 421), der ihn als „Wortführer des großen Haufens" neben Nikolai und
Kotzebue nennt, läßt es bei einer kurzen Erwähnung der „Briefe an ein
Frauenzimmer" bewenden. Es kommt allerdings nicht viel darauf an, ob einem
halbvergessenen und für die Entwickelung des deutschen Geisteslebens ziemlich
gleichgültigen Schriftsteller sein volles Recht geworden oder nicht: auch geht die
vorliegende Rublitation keineswegs auf eine jener „Rettungen" aus, die in Mode
zu kommen beginnen. Nur die Möglichkeit, aus dem Nachlasse Merkels und
dessen späteren, in Deutschland kaum dem Namen nach bekannt gewordenen
Schriften bemerkenswerthe Betträge zur Geschichte der deutschen Kunst und
des Geisteslebens der Weimarer Periode liefern zu können, hat zu der nachstehen¬
den Aufzeichnung Grund und Veranlassung geboten. Von Merkel selbst,
dessen politische Thätigkeit an einem anderen Ort eingehend besprochen worden
ist*), werden wir nur in so weit handeln, als zum Verständniß seiner Mit¬
theilungen über hervorragende Zeitgenossen und zur richtigen Beurtheilung der
an ihn gerichteten Briefe Herders, Wielands, Karoline Herders, Böttigers,
Seumes, Johannes v. Müllers. Kotzebues, Ancillons u. a. nothwendig ist.
Zu der Veröffentlichung jener Briefe selbst glauben wir durch die Namen der
Briefsteller wie durch ihren Inhalt berechtigt zu sein.

Garlieb Hellwig Merkel wurde im October 1769 (nicht 1776, wie es bei
Koberstein a. a.O. und in früheren Ausgaben des Brockhausschen Konversations¬
lexikons heißt) als Sohn eines livlänb>schen Landpredigers geboren. Sein Vater,
vo» dem er den ersten Unterricht erhielt, war ein eifriger Schüler Bayles und Vol¬
taires, der deu Sohn in den Grundsätzen der Aufklärungsphilosophie und des
Encyklopädismus erzog und systematisch zum „Freidenker" ausbildete. Obgleich



') Vgl, York und Paulucci, Aus dem Nachlaß G. Merkels herausgegeben von Julius
Eckardt, Leipzig 1865. Veit u. Comp,
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[0274] Literaturgeschichten der Gegenwart hat diesem schon als Chorführer der Goethe feindlichen Partei hervorragende Mann, der bei der Darstellung der Weimarer Literaturperiode einmal nicht Übergängen werden kann, auch nur den literar- geschichtllch richtigen Platz angewiesen. Gervinus (Literatur^eschichte Bd. V, S. 6S6) kennt ihn nur als Bundesgenossen Kotzebues. mit dem er in Wahrheit nur kurze Zeit in einer Gemeinschaft gestanden, deren er sich später selbst schämte. Laube (Bd. III, S. 127) begnügt sich damit, ihn den „cynischen Freund" Kotzebues zu nennen, selbst der grüneliche Koberstein (Bö.III, S. 2488 bis 2496), der die kritische Thätigkeit Merkels sehr eingehend bespricht, irrt in seinen Angaben über das Geburtsjahr und ist mit den für die Beurtheilung dieses Autors höchst wichtigen Antecedenzien desselben ebenso unbekannt, wie mit der Rolle, die dieser Mann als eifriger und vielfach verfolgter Gegner Napoleons und der Franzosen gespielt hat; Julian Schmidt (Bd. I, S. 275 und 421), der ihn als „Wortführer des großen Haufens" neben Nikolai und Kotzebue nennt, läßt es bei einer kurzen Erwähnung der „Briefe an ein Frauenzimmer" bewenden. Es kommt allerdings nicht viel darauf an, ob einem halbvergessenen und für die Entwickelung des deutschen Geisteslebens ziemlich gleichgültigen Schriftsteller sein volles Recht geworden oder nicht: auch geht die vorliegende Rublitation keineswegs auf eine jener „Rettungen" aus, die in Mode zu kommen beginnen. Nur die Möglichkeit, aus dem Nachlasse Merkels und dessen späteren, in Deutschland kaum dem Namen nach bekannt gewordenen Schriften bemerkenswerthe Betträge zur Geschichte der deutschen Kunst und des Geisteslebens der Weimarer Periode liefern zu können, hat zu der nachstehen¬ den Aufzeichnung Grund und Veranlassung geboten. Von Merkel selbst, dessen politische Thätigkeit an einem anderen Ort eingehend besprochen worden ist*), werden wir nur in so weit handeln, als zum Verständniß seiner Mit¬ theilungen über hervorragende Zeitgenossen und zur richtigen Beurtheilung der an ihn gerichteten Briefe Herders, Wielands, Karoline Herders, Böttigers, Seumes, Johannes v. Müllers. Kotzebues, Ancillons u. a. nothwendig ist. Zu der Veröffentlichung jener Briefe selbst glauben wir durch die Namen der Briefsteller wie durch ihren Inhalt berechtigt zu sein. Garlieb Hellwig Merkel wurde im October 1769 (nicht 1776, wie es bei Koberstein a. a.O. und in früheren Ausgaben des Brockhausschen Konversations¬ lexikons heißt) als Sohn eines livlänb>schen Landpredigers geboren. Sein Vater, vo» dem er den ersten Unterricht erhielt, war ein eifriger Schüler Bayles und Vol¬ taires, der deu Sohn in den Grundsätzen der Aufklärungsphilosophie und des Encyklopädismus erzog und systematisch zum „Freidenker" ausbildete. Obgleich ') Vgl, York und Paulucci, Aus dem Nachlaß G. Merkels herausgegeben von Julius Eckardt, Leipzig 1865. Veit u. Comp,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/274>, abgerufen am 22.07.2024.