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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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1468 niederschrieb, auch ausführliche Auskunft über ihn selbst, seine Jugend,
seine Lehr- und Wanderjahre, sein Lieben und Leiden giebt.

Die Chronik des Burkhart Zingg besteht aus vier Büchern. Das erste
ist eine Bearbeitung oder, wie er es nennt eine "Erneuerung" einer älteren
Vorlage, die in ihrer ursprünglichen Fassung erhalten ist und uns daher einen
näheren Einblick in seine geistige Werkstätte erlaubt. Wir ersehen aus einer
Vergleichung beider Stücke, daß die Arbeit Zinggs hauptsächlich darin b.se.urd,
in der Ausdrucksweise Aenderungen vorzunehmen, Worte und Redensarten zu
vertauschen, einzelne Andeutungen seiner Vorlage zu ausführlichen Darstellungen
auszudehnen, Zusätze aus der Tradition hinzuzufügen und anderswo Einzel-
heiten, die ihm unrichtig erschienen, wegzulassen, endlich einer subjectiven
Ausfassung der Ereignisse durch Ausrufe und Zwischensätze, die eine Theil¬
nahme, Schmerz oder Freude, Billigung odcr Tadel bezeugen, Ausdruck zu
geben.

Das zweite Buch rührt bereits vollständig von B. Zingg her. Dessen
Hauptgegenstand ist der augsburger Bischvfsstreit zwischen Anselm v. Neu¬
ningen und Friedrich von Grafeneck. Jedoch bildet die Schilderung desselben
nicht ein zusammenhängendes Ganzes, sondern die Erzählung wird durch eine
umständliche Besprechung des constanzer Concils und verschiedenartige Notizen
über allerlei Begebenheiten der Jahre 1409--29 unterbrochen; dann erst folgt
der Schluß des Bischofsstreites, woran sich eine Beschreibung der hussitischen
Bewegung und der Hussitenkriege bis 1431 schließt, der wieder vermischte No¬
tizen, hieraus ein Verzeichniß aller Orte, die Zingg auf seinen Reisen gesehen
und endlich eine chronologisch geordnete Erzählung der Begebenheiten der Jahre
1489--66 folgt.

Das vierte Buch erzählt augsburgische Stadtgcschichten aus den Jahren
1416--68, wie Zingg sie selbst erlebt oder von andern erfahren hat.

Der Inhalt des ganzen Werkes ist bunt und mannigfaltig. Nicht blos
über eigentlich geschichtliche Vorkommnisse referirt der Verfasser, sondern auch
über Naturereignisse, Witterungsverhältnisse, Lebensmittelpreise, und seine per¬
sönlichen Erfahrungen geben ihm Anlaß, die werthvollsten Notizen über Handel
und Verkehr, über die Preise der Waaren, mit denen er selbst handelte, u. tgi.
einzuflechten und allerlei Erlebnisse zu erzählen, die ihm auf seinen vielen Reisen
begegnet sind.

Dies alles verleiht dem ganzen Werke einen eigenthümlichen und höchst
anziehenden subjectiven Charakter, der indeß, so wenig man den Reiz verkennen
mag, den er aus den Leser ausübt, doch nicht den Hauptwerth dieser Chronik
ausmacht. Dieser beruht vielmehr auf dem objectiven Bestände der Chronik,
da dieselbe alle Seiten des städtischen Lebens gleichmäßig beachtet, über die
Verwaltung der Stadt, über den Verlauf ihrer kriegerischen Unternehmungen


1468 niederschrieb, auch ausführliche Auskunft über ihn selbst, seine Jugend,
seine Lehr- und Wanderjahre, sein Lieben und Leiden giebt.

Die Chronik des Burkhart Zingg besteht aus vier Büchern. Das erste
ist eine Bearbeitung oder, wie er es nennt eine „Erneuerung" einer älteren
Vorlage, die in ihrer ursprünglichen Fassung erhalten ist und uns daher einen
näheren Einblick in seine geistige Werkstätte erlaubt. Wir ersehen aus einer
Vergleichung beider Stücke, daß die Arbeit Zinggs hauptsächlich darin b.se.urd,
in der Ausdrucksweise Aenderungen vorzunehmen, Worte und Redensarten zu
vertauschen, einzelne Andeutungen seiner Vorlage zu ausführlichen Darstellungen
auszudehnen, Zusätze aus der Tradition hinzuzufügen und anderswo Einzel-
heiten, die ihm unrichtig erschienen, wegzulassen, endlich einer subjectiven
Ausfassung der Ereignisse durch Ausrufe und Zwischensätze, die eine Theil¬
nahme, Schmerz oder Freude, Billigung odcr Tadel bezeugen, Ausdruck zu
geben.

Das zweite Buch rührt bereits vollständig von B. Zingg her. Dessen
Hauptgegenstand ist der augsburger Bischvfsstreit zwischen Anselm v. Neu¬
ningen und Friedrich von Grafeneck. Jedoch bildet die Schilderung desselben
nicht ein zusammenhängendes Ganzes, sondern die Erzählung wird durch eine
umständliche Besprechung des constanzer Concils und verschiedenartige Notizen
über allerlei Begebenheiten der Jahre 1409—29 unterbrochen; dann erst folgt
der Schluß des Bischofsstreites, woran sich eine Beschreibung der hussitischen
Bewegung und der Hussitenkriege bis 1431 schließt, der wieder vermischte No¬
tizen, hieraus ein Verzeichniß aller Orte, die Zingg auf seinen Reisen gesehen
und endlich eine chronologisch geordnete Erzählung der Begebenheiten der Jahre
1489—66 folgt.

Das vierte Buch erzählt augsburgische Stadtgcschichten aus den Jahren
1416—68, wie Zingg sie selbst erlebt oder von andern erfahren hat.

Der Inhalt des ganzen Werkes ist bunt und mannigfaltig. Nicht blos
über eigentlich geschichtliche Vorkommnisse referirt der Verfasser, sondern auch
über Naturereignisse, Witterungsverhältnisse, Lebensmittelpreise, und seine per¬
sönlichen Erfahrungen geben ihm Anlaß, die werthvollsten Notizen über Handel
und Verkehr, über die Preise der Waaren, mit denen er selbst handelte, u. tgi.
einzuflechten und allerlei Erlebnisse zu erzählen, die ihm auf seinen vielen Reisen
begegnet sind.

Dies alles verleiht dem ganzen Werke einen eigenthümlichen und höchst
anziehenden subjectiven Charakter, der indeß, so wenig man den Reiz verkennen
mag, den er aus den Leser ausübt, doch nicht den Hauptwerth dieser Chronik
ausmacht. Dieser beruht vielmehr auf dem objectiven Bestände der Chronik,
da dieselbe alle Seiten des städtischen Lebens gleichmäßig beachtet, über die
Verwaltung der Stadt, über den Verlauf ihrer kriegerischen Unternehmungen


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[0219] 1468 niederschrieb, auch ausführliche Auskunft über ihn selbst, seine Jugend, seine Lehr- und Wanderjahre, sein Lieben und Leiden giebt. Die Chronik des Burkhart Zingg besteht aus vier Büchern. Das erste ist eine Bearbeitung oder, wie er es nennt eine „Erneuerung" einer älteren Vorlage, die in ihrer ursprünglichen Fassung erhalten ist und uns daher einen näheren Einblick in seine geistige Werkstätte erlaubt. Wir ersehen aus einer Vergleichung beider Stücke, daß die Arbeit Zinggs hauptsächlich darin b.se.urd, in der Ausdrucksweise Aenderungen vorzunehmen, Worte und Redensarten zu vertauschen, einzelne Andeutungen seiner Vorlage zu ausführlichen Darstellungen auszudehnen, Zusätze aus der Tradition hinzuzufügen und anderswo Einzel- heiten, die ihm unrichtig erschienen, wegzulassen, endlich einer subjectiven Ausfassung der Ereignisse durch Ausrufe und Zwischensätze, die eine Theil¬ nahme, Schmerz oder Freude, Billigung odcr Tadel bezeugen, Ausdruck zu geben. Das zweite Buch rührt bereits vollständig von B. Zingg her. Dessen Hauptgegenstand ist der augsburger Bischvfsstreit zwischen Anselm v. Neu¬ ningen und Friedrich von Grafeneck. Jedoch bildet die Schilderung desselben nicht ein zusammenhängendes Ganzes, sondern die Erzählung wird durch eine umständliche Besprechung des constanzer Concils und verschiedenartige Notizen über allerlei Begebenheiten der Jahre 1409—29 unterbrochen; dann erst folgt der Schluß des Bischofsstreites, woran sich eine Beschreibung der hussitischen Bewegung und der Hussitenkriege bis 1431 schließt, der wieder vermischte No¬ tizen, hieraus ein Verzeichniß aller Orte, die Zingg auf seinen Reisen gesehen und endlich eine chronologisch geordnete Erzählung der Begebenheiten der Jahre 1489—66 folgt. Das vierte Buch erzählt augsburgische Stadtgcschichten aus den Jahren 1416—68, wie Zingg sie selbst erlebt oder von andern erfahren hat. Der Inhalt des ganzen Werkes ist bunt und mannigfaltig. Nicht blos über eigentlich geschichtliche Vorkommnisse referirt der Verfasser, sondern auch über Naturereignisse, Witterungsverhältnisse, Lebensmittelpreise, und seine per¬ sönlichen Erfahrungen geben ihm Anlaß, die werthvollsten Notizen über Handel und Verkehr, über die Preise der Waaren, mit denen er selbst handelte, u. tgi. einzuflechten und allerlei Erlebnisse zu erzählen, die ihm auf seinen vielen Reisen begegnet sind. Dies alles verleiht dem ganzen Werke einen eigenthümlichen und höchst anziehenden subjectiven Charakter, der indeß, so wenig man den Reiz verkennen mag, den er aus den Leser ausübt, doch nicht den Hauptwerth dieser Chronik ausmacht. Dieser beruht vielmehr auf dem objectiven Bestände der Chronik, da dieselbe alle Seiten des städtischen Lebens gleichmäßig beachtet, über die Verwaltung der Stadt, über den Verlauf ihrer kriegerischen Unternehmungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/219>, abgerufen am 22.07.2024.