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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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Aus alter Zeit.
Vnrkhart Z i n g g.

Die Leser der Grenzboten werden wohl mit wenigen Ausnahmen kaum
den Namen des Mannes kennen, den sie hier als Ueberschrift finden, ob¬
wohl dieser Name sogar auf dem granitenen Postament einer Statue steht,
die vor wenigen Jahren in der guten Stadt Memmingen errichtet wurde. Und
doch ist dieser Mann einer der wenigen Deutschen des Mittelalters, von deren Bil¬
dungsgang und Privatleben wir nicht nur überhaupt, sondern sogar durch ihn
selbst sehr genaue und eingehende Nachrichten haben. Von den großen Histo¬
rikern der Griechen und Römer wissen wir ja wohl, welche Rolle sie im öffent¬
lichen Leben gespielt haben, aber über ihr alltägliches Treiben giebt gewöhnlich
nur ein Rückschluß aus unserer Kenntniß der Privatalterthümcr beider Völker
nothdürftigen Aufschluß. Sollten wir angeben, welchen Schulunterricht Thucy-
dides oder Livius genossen, mit welchen Mitteln sie sich ihre Kenntnisse er¬
worben, wie hoch sie ihre Häuser gekauft, unter welchen Verhältnissen sie geliebt
und gefreit haben, wir befänden uns in der größten Verlegenheit. Desgleichen
die Schriftsteller, welche uns in den ersten Jahrhunderten des Mittelalters die
Geschichte ihrer Zeit erzählen, verrathen nur wenig über ihre eigne Person.
Wenn ein mönchischer Historiograph den Tag seiner Priesterweihe eingiebt oder
bei Berührung irgendeines wichtigen Ereignisses hinzufügt, er sei nicht dabei
gewesen, so ist das gewöhnlich alles, was aus seinem Werk über seine Person
beizubringen ist; ern solches Hervortreten der Person des Autors, wie z, B. in
Liutprands von Cremona Werken ist eine große Seltenheit. Erst die Chro¬
niken, die im 14. und Is. Jahrhundert in den deutschen Städten abgefaßt
wurden, beginnen neben der Schilderung der politischen Ereignisse und den
Localbcgcbcnheiten auch die Erlebnisse der Verfasser in eine Darstellung zu
verweben. Aber auch in dieser tritt gewöhnlich die Persönlichkeit des Autors
nur in dürftigen Andeutungen und Notizen, in Zwischenreden, die seine Theil¬
nahme oder seine Empfindungen bei einzelnen Vorgängen verrathen, hervor,
oder eine trockene Negistrnung des Fainilienbestandcs unterbricht an passender
Stelle den Fluß der historischen Darstellung. Auch da noch muß in der Regel
aus Urkunde" oder Covial- und Mssiv-Büchern der biographische Zusammen¬
hang hergestellt werden. Das Geschichtswerk, das unser Burkhart Zingg der
Nachwelt hinterließ, seine Chronik der Stadt Augsburg, zeichnet sich dadurch
vor andern ähnlichen Aufzeichnungen aus. daß es uns außer dem, was er über
die ihm bekannt gewordenen geschichtlichen Thatsachen der Jahre 1368 bis


Aus alter Zeit.
Vnrkhart Z i n g g.

Die Leser der Grenzboten werden wohl mit wenigen Ausnahmen kaum
den Namen des Mannes kennen, den sie hier als Ueberschrift finden, ob¬
wohl dieser Name sogar auf dem granitenen Postament einer Statue steht,
die vor wenigen Jahren in der guten Stadt Memmingen errichtet wurde. Und
doch ist dieser Mann einer der wenigen Deutschen des Mittelalters, von deren Bil¬
dungsgang und Privatleben wir nicht nur überhaupt, sondern sogar durch ihn
selbst sehr genaue und eingehende Nachrichten haben. Von den großen Histo¬
rikern der Griechen und Römer wissen wir ja wohl, welche Rolle sie im öffent¬
lichen Leben gespielt haben, aber über ihr alltägliches Treiben giebt gewöhnlich
nur ein Rückschluß aus unserer Kenntniß der Privatalterthümcr beider Völker
nothdürftigen Aufschluß. Sollten wir angeben, welchen Schulunterricht Thucy-
dides oder Livius genossen, mit welchen Mitteln sie sich ihre Kenntnisse er¬
worben, wie hoch sie ihre Häuser gekauft, unter welchen Verhältnissen sie geliebt
und gefreit haben, wir befänden uns in der größten Verlegenheit. Desgleichen
die Schriftsteller, welche uns in den ersten Jahrhunderten des Mittelalters die
Geschichte ihrer Zeit erzählen, verrathen nur wenig über ihre eigne Person.
Wenn ein mönchischer Historiograph den Tag seiner Priesterweihe eingiebt oder
bei Berührung irgendeines wichtigen Ereignisses hinzufügt, er sei nicht dabei
gewesen, so ist das gewöhnlich alles, was aus seinem Werk über seine Person
beizubringen ist; ern solches Hervortreten der Person des Autors, wie z, B. in
Liutprands von Cremona Werken ist eine große Seltenheit. Erst die Chro¬
niken, die im 14. und Is. Jahrhundert in den deutschen Städten abgefaßt
wurden, beginnen neben der Schilderung der politischen Ereignisse und den
Localbcgcbcnheiten auch die Erlebnisse der Verfasser in eine Darstellung zu
verweben. Aber auch in dieser tritt gewöhnlich die Persönlichkeit des Autors
nur in dürftigen Andeutungen und Notizen, in Zwischenreden, die seine Theil¬
nahme oder seine Empfindungen bei einzelnen Vorgängen verrathen, hervor,
oder eine trockene Negistrnung des Fainilienbestandcs unterbricht an passender
Stelle den Fluß der historischen Darstellung. Auch da noch muß in der Regel
aus Urkunde» oder Covial- und Mssiv-Büchern der biographische Zusammen¬
hang hergestellt werden. Das Geschichtswerk, das unser Burkhart Zingg der
Nachwelt hinterließ, seine Chronik der Stadt Augsburg, zeichnet sich dadurch
vor andern ähnlichen Aufzeichnungen aus. daß es uns außer dem, was er über
die ihm bekannt gewordenen geschichtlichen Thatsachen der Jahre 1368 bis


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[0218] Aus alter Zeit. Vnrkhart Z i n g g. Die Leser der Grenzboten werden wohl mit wenigen Ausnahmen kaum den Namen des Mannes kennen, den sie hier als Ueberschrift finden, ob¬ wohl dieser Name sogar auf dem granitenen Postament einer Statue steht, die vor wenigen Jahren in der guten Stadt Memmingen errichtet wurde. Und doch ist dieser Mann einer der wenigen Deutschen des Mittelalters, von deren Bil¬ dungsgang und Privatleben wir nicht nur überhaupt, sondern sogar durch ihn selbst sehr genaue und eingehende Nachrichten haben. Von den großen Histo¬ rikern der Griechen und Römer wissen wir ja wohl, welche Rolle sie im öffent¬ lichen Leben gespielt haben, aber über ihr alltägliches Treiben giebt gewöhnlich nur ein Rückschluß aus unserer Kenntniß der Privatalterthümcr beider Völker nothdürftigen Aufschluß. Sollten wir angeben, welchen Schulunterricht Thucy- dides oder Livius genossen, mit welchen Mitteln sie sich ihre Kenntnisse er¬ worben, wie hoch sie ihre Häuser gekauft, unter welchen Verhältnissen sie geliebt und gefreit haben, wir befänden uns in der größten Verlegenheit. Desgleichen die Schriftsteller, welche uns in den ersten Jahrhunderten des Mittelalters die Geschichte ihrer Zeit erzählen, verrathen nur wenig über ihre eigne Person. Wenn ein mönchischer Historiograph den Tag seiner Priesterweihe eingiebt oder bei Berührung irgendeines wichtigen Ereignisses hinzufügt, er sei nicht dabei gewesen, so ist das gewöhnlich alles, was aus seinem Werk über seine Person beizubringen ist; ern solches Hervortreten der Person des Autors, wie z, B. in Liutprands von Cremona Werken ist eine große Seltenheit. Erst die Chro¬ niken, die im 14. und Is. Jahrhundert in den deutschen Städten abgefaßt wurden, beginnen neben der Schilderung der politischen Ereignisse und den Localbcgcbcnheiten auch die Erlebnisse der Verfasser in eine Darstellung zu verweben. Aber auch in dieser tritt gewöhnlich die Persönlichkeit des Autors nur in dürftigen Andeutungen und Notizen, in Zwischenreden, die seine Theil¬ nahme oder seine Empfindungen bei einzelnen Vorgängen verrathen, hervor, oder eine trockene Negistrnung des Fainilienbestandcs unterbricht an passender Stelle den Fluß der historischen Darstellung. Auch da noch muß in der Regel aus Urkunde» oder Covial- und Mssiv-Büchern der biographische Zusammen¬ hang hergestellt werden. Das Geschichtswerk, das unser Burkhart Zingg der Nachwelt hinterließ, seine Chronik der Stadt Augsburg, zeichnet sich dadurch vor andern ähnlichen Aufzeichnungen aus. daß es uns außer dem, was er über die ihm bekannt gewordenen geschichtlichen Thatsachen der Jahre 1368 bis

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/218>, abgerufen am 22.07.2024.