Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Meinung besaß und je nach den Ereignissen erst ihre definitiven Entschlüsse zu
fassen gemeint war. Schon damals übrigens ging die Sage, daß zwei wider¬
streitende Einflüsse sich in den leitenden Kreisen bekämpfen, daß Herr v. Varn-
büler, durch die Machtentscheidung gründlich bekehrt, die preußische Partei ver¬
trete, während Herr v. Neurath, der Justizminister und Präsident des Staats¬
raths, der alten Liebe für Oestreich treu geblieben sei.

Das schwankende Doppelspiel schien auch dann noch eine Zeit lang fort¬
zudauern, als der Allianzvertrag bereits veröffentlicht und die Regierung somit
officiell engagirt war. Ein höherer Stabsoffizier, der damit allerdings nicht die
Meinung der großen Mehrheit des Offizierscorps ausdrückte, äußerte damals,
der Vertrag sei ein bloßes Stück Papier, über Württemberg werde einfach die¬
jenige Macht verfügen, die zuerst ihr Heer auf würtembergischen Boden stehen
habe. Und noch vor kurzem betonte der Minister des Innern bei einem localen
Feste einem naiionalen Redner gegenüber die Selbständigkeit und Gleichberech¬
tigung des Königreichs unter Ausfällen auf die Partei des "Anbettelns" in
einer Weise, die mindestens von wenig Tact zeugte. Von militärischen Reformen
hörte man noch immer nichts, als daß die Schießversuche mit allen möglichen
Arten von Hinterladern eifrig fortgesetzt würden und nach selbstverständlicher
Verwerfung der preußischen Zündnadel die Wagschale für etwas ganz Exquisites
und Originelles, nämlich für das System Albini-Brendle sich zu entscheiden
scheine.

Indessen hatten die dem Ende zuneigenden Berathungen des norddeutschen
Reichstags die Frage des Anschlusses der Südstaaten näher gerückt. Die wieder¬
holten Aeußerungen Bismarcks, zum.it bei der hessischen Jnterpellation, war.n
den Anschlußbestrebungen über Erwarten günstig. Gleichzeitig drängte die drohende
Verwickelung wegen Luxemburgs in derselben Richtung. Unter diesen Ein¬
wirkungen konnte die deutsche Partei ihre Forderungen immer bestimmter for-
muliren. In ihrer Versammlung z" Heilbronn am 7. April forderte sie, daß
die Negierung endlich zu einer entschiedenen Haltung sich bekenne, daß sie die
praktischen Consequenzen des Allianzvertrags ziehe, das Heerwesen nach dem
preußischen System umgestalte, zu dem völligen Eintritt Würtembergs in den
norddeutschen Bund die Hand biete. Außerdem wurde eine Resolution wegen
Luxemburgs beschlossen, die zu Bcnnigsens Jnterpellation ein entsprechendes
Echo aus dem Süden bildete. Nicht ohne Absicht wurde der Beschluß hinzu-
gefügt, die gefaßten Resoluiivnen direct zur Kenntniß des berliner Reichstags
zu bringen, dem sie eben noch zugingen, bevor er den Schlußabschnitt der Ver¬
fassung, das Verhältniß zu den süddeutschen Staaten betreffend, berieth.

In derselben Zeit singen nun die Officiösen in Berlin an, über die Lang¬
samkeit in den militärischen Maßregeln des Südens Klage zu führen. Man
erfuhr, daß eine entschiedene Note auf Beschleunigung derselben gedrungen habe.


27"

Meinung besaß und je nach den Ereignissen erst ihre definitiven Entschlüsse zu
fassen gemeint war. Schon damals übrigens ging die Sage, daß zwei wider¬
streitende Einflüsse sich in den leitenden Kreisen bekämpfen, daß Herr v. Varn-
büler, durch die Machtentscheidung gründlich bekehrt, die preußische Partei ver¬
trete, während Herr v. Neurath, der Justizminister und Präsident des Staats¬
raths, der alten Liebe für Oestreich treu geblieben sei.

Das schwankende Doppelspiel schien auch dann noch eine Zeit lang fort¬
zudauern, als der Allianzvertrag bereits veröffentlicht und die Regierung somit
officiell engagirt war. Ein höherer Stabsoffizier, der damit allerdings nicht die
Meinung der großen Mehrheit des Offizierscorps ausdrückte, äußerte damals,
der Vertrag sei ein bloßes Stück Papier, über Württemberg werde einfach die¬
jenige Macht verfügen, die zuerst ihr Heer auf würtembergischen Boden stehen
habe. Und noch vor kurzem betonte der Minister des Innern bei einem localen
Feste einem naiionalen Redner gegenüber die Selbständigkeit und Gleichberech¬
tigung des Königreichs unter Ausfällen auf die Partei des „Anbettelns" in
einer Weise, die mindestens von wenig Tact zeugte. Von militärischen Reformen
hörte man noch immer nichts, als daß die Schießversuche mit allen möglichen
Arten von Hinterladern eifrig fortgesetzt würden und nach selbstverständlicher
Verwerfung der preußischen Zündnadel die Wagschale für etwas ganz Exquisites
und Originelles, nämlich für das System Albini-Brendle sich zu entscheiden
scheine.

Indessen hatten die dem Ende zuneigenden Berathungen des norddeutschen
Reichstags die Frage des Anschlusses der Südstaaten näher gerückt. Die wieder¬
holten Aeußerungen Bismarcks, zum.it bei der hessischen Jnterpellation, war.n
den Anschlußbestrebungen über Erwarten günstig. Gleichzeitig drängte die drohende
Verwickelung wegen Luxemburgs in derselben Richtung. Unter diesen Ein¬
wirkungen konnte die deutsche Partei ihre Forderungen immer bestimmter for-
muliren. In ihrer Versammlung z» Heilbronn am 7. April forderte sie, daß
die Negierung endlich zu einer entschiedenen Haltung sich bekenne, daß sie die
praktischen Consequenzen des Allianzvertrags ziehe, das Heerwesen nach dem
preußischen System umgestalte, zu dem völligen Eintritt Würtembergs in den
norddeutschen Bund die Hand biete. Außerdem wurde eine Resolution wegen
Luxemburgs beschlossen, die zu Bcnnigsens Jnterpellation ein entsprechendes
Echo aus dem Süden bildete. Nicht ohne Absicht wurde der Beschluß hinzu-
gefügt, die gefaßten Resoluiivnen direct zur Kenntniß des berliner Reichstags
zu bringen, dem sie eben noch zugingen, bevor er den Schlußabschnitt der Ver¬
fassung, das Verhältniß zu den süddeutschen Staaten betreffend, berieth.

In derselben Zeit singen nun die Officiösen in Berlin an, über die Lang¬
samkeit in den militärischen Maßregeln des Südens Klage zu führen. Man
erfuhr, daß eine entschiedene Note auf Beschleunigung derselben gedrungen habe.


27"
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0215" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/190909"/>
          <p xml:id="ID_685" prev="#ID_684"> Meinung besaß und je nach den Ereignissen erst ihre definitiven Entschlüsse zu<lb/>
fassen gemeint war. Schon damals übrigens ging die Sage, daß zwei wider¬<lb/>
streitende Einflüsse sich in den leitenden Kreisen bekämpfen, daß Herr v. Varn-<lb/>
büler, durch die Machtentscheidung gründlich bekehrt, die preußische Partei ver¬<lb/>
trete, während Herr v. Neurath, der Justizminister und Präsident des Staats¬<lb/>
raths, der alten Liebe für Oestreich treu geblieben sei.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_686"> Das schwankende Doppelspiel schien auch dann noch eine Zeit lang fort¬<lb/>
zudauern, als der Allianzvertrag bereits veröffentlicht und die Regierung somit<lb/>
officiell engagirt war. Ein höherer Stabsoffizier, der damit allerdings nicht die<lb/>
Meinung der großen Mehrheit des Offizierscorps ausdrückte, äußerte damals,<lb/>
der Vertrag sei ein bloßes Stück Papier, über Württemberg werde einfach die¬<lb/>
jenige Macht verfügen, die zuerst ihr Heer auf würtembergischen Boden stehen<lb/>
habe. Und noch vor kurzem betonte der Minister des Innern bei einem localen<lb/>
Feste einem naiionalen Redner gegenüber die Selbständigkeit und Gleichberech¬<lb/>
tigung des Königreichs unter Ausfällen auf die Partei des &#x201E;Anbettelns" in<lb/>
einer Weise, die mindestens von wenig Tact zeugte. Von militärischen Reformen<lb/>
hörte man noch immer nichts, als daß die Schießversuche mit allen möglichen<lb/>
Arten von Hinterladern eifrig fortgesetzt würden und nach selbstverständlicher<lb/>
Verwerfung der preußischen Zündnadel die Wagschale für etwas ganz Exquisites<lb/>
und Originelles, nämlich für das System Albini-Brendle sich zu entscheiden<lb/>
scheine.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_687"> Indessen hatten die dem Ende zuneigenden Berathungen des norddeutschen<lb/>
Reichstags die Frage des Anschlusses der Südstaaten näher gerückt. Die wieder¬<lb/>
holten Aeußerungen Bismarcks, zum.it bei der hessischen Jnterpellation, war.n<lb/>
den Anschlußbestrebungen über Erwarten günstig. Gleichzeitig drängte die drohende<lb/>
Verwickelung wegen Luxemburgs in derselben Richtung. Unter diesen Ein¬<lb/>
wirkungen konnte die deutsche Partei ihre Forderungen immer bestimmter for-<lb/>
muliren. In ihrer Versammlung z» Heilbronn am 7. April forderte sie, daß<lb/>
die Negierung endlich zu einer entschiedenen Haltung sich bekenne, daß sie die<lb/>
praktischen Consequenzen des Allianzvertrags ziehe, das Heerwesen nach dem<lb/>
preußischen System umgestalte, zu dem völligen Eintritt Würtembergs in den<lb/>
norddeutschen Bund die Hand biete. Außerdem wurde eine Resolution wegen<lb/>
Luxemburgs beschlossen, die zu Bcnnigsens Jnterpellation ein entsprechendes<lb/>
Echo aus dem Süden bildete. Nicht ohne Absicht wurde der Beschluß hinzu-<lb/>
gefügt, die gefaßten Resoluiivnen direct zur Kenntniß des berliner Reichstags<lb/>
zu bringen, dem sie eben noch zugingen, bevor er den Schlußabschnitt der Ver¬<lb/>
fassung, das Verhältniß zu den süddeutschen Staaten betreffend, berieth.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_688" next="#ID_689"> In derselben Zeit singen nun die Officiösen in Berlin an, über die Lang¬<lb/>
samkeit in den militärischen Maßregeln des Südens Klage zu führen. Man<lb/>
erfuhr, daß eine entschiedene Note auf Beschleunigung derselben gedrungen habe.</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 27"</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0215] Meinung besaß und je nach den Ereignissen erst ihre definitiven Entschlüsse zu fassen gemeint war. Schon damals übrigens ging die Sage, daß zwei wider¬ streitende Einflüsse sich in den leitenden Kreisen bekämpfen, daß Herr v. Varn- büler, durch die Machtentscheidung gründlich bekehrt, die preußische Partei ver¬ trete, während Herr v. Neurath, der Justizminister und Präsident des Staats¬ raths, der alten Liebe für Oestreich treu geblieben sei. Das schwankende Doppelspiel schien auch dann noch eine Zeit lang fort¬ zudauern, als der Allianzvertrag bereits veröffentlicht und die Regierung somit officiell engagirt war. Ein höherer Stabsoffizier, der damit allerdings nicht die Meinung der großen Mehrheit des Offizierscorps ausdrückte, äußerte damals, der Vertrag sei ein bloßes Stück Papier, über Württemberg werde einfach die¬ jenige Macht verfügen, die zuerst ihr Heer auf würtembergischen Boden stehen habe. Und noch vor kurzem betonte der Minister des Innern bei einem localen Feste einem naiionalen Redner gegenüber die Selbständigkeit und Gleichberech¬ tigung des Königreichs unter Ausfällen auf die Partei des „Anbettelns" in einer Weise, die mindestens von wenig Tact zeugte. Von militärischen Reformen hörte man noch immer nichts, als daß die Schießversuche mit allen möglichen Arten von Hinterladern eifrig fortgesetzt würden und nach selbstverständlicher Verwerfung der preußischen Zündnadel die Wagschale für etwas ganz Exquisites und Originelles, nämlich für das System Albini-Brendle sich zu entscheiden scheine. Indessen hatten die dem Ende zuneigenden Berathungen des norddeutschen Reichstags die Frage des Anschlusses der Südstaaten näher gerückt. Die wieder¬ holten Aeußerungen Bismarcks, zum.it bei der hessischen Jnterpellation, war.n den Anschlußbestrebungen über Erwarten günstig. Gleichzeitig drängte die drohende Verwickelung wegen Luxemburgs in derselben Richtung. Unter diesen Ein¬ wirkungen konnte die deutsche Partei ihre Forderungen immer bestimmter for- muliren. In ihrer Versammlung z» Heilbronn am 7. April forderte sie, daß die Negierung endlich zu einer entschiedenen Haltung sich bekenne, daß sie die praktischen Consequenzen des Allianzvertrags ziehe, das Heerwesen nach dem preußischen System umgestalte, zu dem völligen Eintritt Würtembergs in den norddeutschen Bund die Hand biete. Außerdem wurde eine Resolution wegen Luxemburgs beschlossen, die zu Bcnnigsens Jnterpellation ein entsprechendes Echo aus dem Süden bildete. Nicht ohne Absicht wurde der Beschluß hinzu- gefügt, die gefaßten Resoluiivnen direct zur Kenntniß des berliner Reichstags zu bringen, dem sie eben noch zugingen, bevor er den Schlußabschnitt der Ver¬ fassung, das Verhältniß zu den süddeutschen Staaten betreffend, berieth. In derselben Zeit singen nun die Officiösen in Berlin an, über die Lang¬ samkeit in den militärischen Maßregeln des Südens Klage zu führen. Man erfuhr, daß eine entschiedene Note auf Beschleunigung derselben gedrungen habe. 27"

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/215
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/215>, abgerufen am 22.07.2024.