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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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Genuß gegen einander ab, weiß sich aber frei von allen unnützen Gefühlen;
der Vorgesetzte wird ihm eine Last, nach und nach zieht er sich ganz auf sich
selbst zurück, wird Trinker und vollständig stumpf. -- Dieser tieft Fall des
alten Soldaten ist eine Folge des langen Kascrnenlcbcns, des Beispiels der
anderen alten Soldaten, der Abgeschlossenheit von dem bürgerlichen Leben und
dessen nothwendiger Ehrbarkeit.

4) Das heutige System mehrt aber nicht nur die geringeren moralischen,
sondern auch die Physisch unbrauchbaren Elemente. Nach den Gesetzen unter
Louis Philipp bedürfte es bei dem Soldaten einer dreißigjährigen Dienstzeit, um
die volle Pensionsberechtigung zu erlangen. Napoleon hat die Grenze aus
25 Jahre gemindert. Hat nun ein Soldat zweimal als Einsteber, also mit
seiner eigenen Zeit 21 Jahre gedient, so ist schon eine <ZMsi Verpflichtung vor¬
handen, ihn noch vier Jahre zu behalten und ihn in jene Pension treten zu
lassen. Ein Mann aber, welcher 20 Jahre in den unteren Chargen dient, ist
im Allgemeinen körperlich so abgenutzt, daß er nicht mehr als felddienstsähig
zu erachten ist und so füllen denn eine Menge körperlich unbrauchbarer Leute
die Reihen der Armee.

6) Das Offiziercorps hat ungemein an guten Elementen verloren. Zu der
Zeit, als der Stellvertreter von Außen der Truppe zugebracht wurde, stand er
dieser ferner. Der Commandeur stieß ihn ab, sobald er ihn nicht mehr haben
wollte; seine Beförderung zum Unteroffizier geschah nur ausnahmsweise; die
Unteroffiziere ergänzte man aus den anderen an sich moralisch höher stehenden
Elementen, welche dann bei Beendigung ihrer Dienstpflicht entwede, bereits
Offiziere wurden oder der Beförderung nahe waren und dann selbst auf diese
Aussicht hin dienen blieben. Heute besehen die Stellvertreter ausschließlich die
Unteroffizierstellen. Grade diese Charge weist die große Zahl abgenutzter und
abgestumpfter Persönlichkeiten auf und aus ihr werden reglementarisch bei der
Infanterie z. B. aller aufgehenden Lieulenantsstcllen besetzt. So steigt jene
träge, das sorgenlose aber kümmerliche Brod des Soldaten der mühevollen aber
lohnenden körperlichen Arbeit vorziehende Classe, nachdem sie ihre besten Kräfte
verloren, in die leitenden Elemente auf.

6) Im Avancement selbst ist die große Veränderung gegen früher erfolgt,
daß für Auszeichnung im Kriege das Avancement Regel ist. Ein dreistes Vor¬
wärtsgehen bringt die Beförderung und die Folge davon ist, daß sich Unfähig¬
keit in jungen Jahren in höhere Stellen bringt und in denselben vorwärts
kommt, weil man zu wenig Auswahl hat und die Pensionen zu schlecht sind,
als daß man jemanden vor der Zeit ohne sein Verschulden verabschieden könnte.

7) Die Militärschulen, welche z. B. bei der Infanterie Vs der ausgehenden
Lieutenantsstcllen besetzen, sind schlecht und für die Bildung in der Armee selbst
wird nichts gethan.


Genuß gegen einander ab, weiß sich aber frei von allen unnützen Gefühlen;
der Vorgesetzte wird ihm eine Last, nach und nach zieht er sich ganz auf sich
selbst zurück, wird Trinker und vollständig stumpf. — Dieser tieft Fall des
alten Soldaten ist eine Folge des langen Kascrnenlcbcns, des Beispiels der
anderen alten Soldaten, der Abgeschlossenheit von dem bürgerlichen Leben und
dessen nothwendiger Ehrbarkeit.

4) Das heutige System mehrt aber nicht nur die geringeren moralischen,
sondern auch die Physisch unbrauchbaren Elemente. Nach den Gesetzen unter
Louis Philipp bedürfte es bei dem Soldaten einer dreißigjährigen Dienstzeit, um
die volle Pensionsberechtigung zu erlangen. Napoleon hat die Grenze aus
25 Jahre gemindert. Hat nun ein Soldat zweimal als Einsteber, also mit
seiner eigenen Zeit 21 Jahre gedient, so ist schon eine <ZMsi Verpflichtung vor¬
handen, ihn noch vier Jahre zu behalten und ihn in jene Pension treten zu
lassen. Ein Mann aber, welcher 20 Jahre in den unteren Chargen dient, ist
im Allgemeinen körperlich so abgenutzt, daß er nicht mehr als felddienstsähig
zu erachten ist und so füllen denn eine Menge körperlich unbrauchbarer Leute
die Reihen der Armee.

6) Das Offiziercorps hat ungemein an guten Elementen verloren. Zu der
Zeit, als der Stellvertreter von Außen der Truppe zugebracht wurde, stand er
dieser ferner. Der Commandeur stieß ihn ab, sobald er ihn nicht mehr haben
wollte; seine Beförderung zum Unteroffizier geschah nur ausnahmsweise; die
Unteroffiziere ergänzte man aus den anderen an sich moralisch höher stehenden
Elementen, welche dann bei Beendigung ihrer Dienstpflicht entwede, bereits
Offiziere wurden oder der Beförderung nahe waren und dann selbst auf diese
Aussicht hin dienen blieben. Heute besehen die Stellvertreter ausschließlich die
Unteroffizierstellen. Grade diese Charge weist die große Zahl abgenutzter und
abgestumpfter Persönlichkeiten auf und aus ihr werden reglementarisch bei der
Infanterie z. B. aller aufgehenden Lieulenantsstcllen besetzt. So steigt jene
träge, das sorgenlose aber kümmerliche Brod des Soldaten der mühevollen aber
lohnenden körperlichen Arbeit vorziehende Classe, nachdem sie ihre besten Kräfte
verloren, in die leitenden Elemente auf.

6) Im Avancement selbst ist die große Veränderung gegen früher erfolgt,
daß für Auszeichnung im Kriege das Avancement Regel ist. Ein dreistes Vor¬
wärtsgehen bringt die Beförderung und die Folge davon ist, daß sich Unfähig¬
keit in jungen Jahren in höhere Stellen bringt und in denselben vorwärts
kommt, weil man zu wenig Auswahl hat und die Pensionen zu schlecht sind,
als daß man jemanden vor der Zeit ohne sein Verschulden verabschieden könnte.

7) Die Militärschulen, welche z. B. bei der Infanterie Vs der ausgehenden
Lieutenantsstcllen besetzen, sind schlecht und für die Bildung in der Armee selbst
wird nichts gethan.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/208>, abgerufen am 22.07.2024.