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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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in gleichem Verhältniß die Zcchl ihrer ausgebildeten Soldaten. Das jährliche
Kontingent der französischen Armee beträgt -- abgesehen von 40,000 Man"
Reserve -- zur Zeit 60,000 Mann. Bei einer Dienstpflicht von sieben Jahren
ergiebt dies 420,000 Mann. Wenn aber die Regierung für 20,000 Mann alte
Soldaten behält und damit den Stamm der Armee besetzt, so bleiben nur
siebenmal 40,000 Mann, gleich 280,000 Mann, und es ergiebt sich ein Minus
von 140,000 Mann an ausgebildeten Leuten.

3) Die Armee behält sehr viel mehr alte Soldaten wie früher. Der
Soldatenstand in den unteren Stellen nutzt aber den Menschen in so bedeuten"
dem Maße ab, daß das zunehmende Alter in der Armee deren innern Werth
verringert. General Trochu sagt, daß er diese Frage nach allen Seiten hin
erforscht und folgendes als richtig erkannt habe: "Die jungen Leute kommen fast
durchgängig mit dem Gefühl der geraubten Freiheit zum Regiments und em¬
pfinden die Forderungen des Dienstes nur als Zwang. Nachdem sie im enden
Jahre gelernt und im zweiten Jahre fertig geworden sind, erhalten sie im dritten
Jahre den militärischen Geist, das Gefühl ihres Standes und ihrer Stellung
und werden im vierten Jahre die richtigen alten Soldaten. Dieser alte Soldat
ist ein junger Mann, der noch alle Federkraft, Glauben und Träume der Jugend
hat. Er ist voller Kraft und Ehrgefühl, er denkt aber nicht daran, auch nur
eine Stunde länger zu dienen, als er muß. Im Frieden ist er der treue, im
Kriege der tapfere Soldat. Ihn ergreift es, wenn der General an das Vater¬
land erinnert und er thut seine Pflicht, gleichgiltig, ob er stürmend dem Feinde
entgegengeht oder ob er Stunden lang im feindlichen Feuer in den Trancheen
ruhig liegen muß. Er arbeitet mit allen Kräften, murrt nie und fordert als
Lohn feiner Thaten am Ende seiner militärischen Laufbahn nur ein gutes
Führungszeugniß. Wenn er dann heimkommt, wird der alte Soldat ein junger
Bürger, welcher den Keim der Ordnung in seinen neuen Hausstand legt. Eine
Armee, welche sich so periodisch erneuert und dem Lande alle Jahre seine so
gebildeten Elemente zurückgiebt, ist ein mächtiges Instrument öffentlicher Er¬
ziehung."

Wenn aber ein Soldat den Rücktritt in die Familie aufgiebt und die
militärische Laufbahn vorzieht, so entäußert er sich der inneren Freiheit, er ent¬
wöhnt sich der Arbeit und macht sich unfähig für jede spätere bürgerliche Exi¬
stenz. -- Die Folge davon ist der Verlust der innern Widerstandsfähigkeit und
jener edeln Gefühle des freien Bürgers. --

Im Anfang ist dieser alte Soldat noch der regelrechte Mensch, da er aber
den Dienst nicht mehr als eine nothwendige Pflicht, sondern nur als ein Hand¬
werk ansieht, so fängt er an. seine Persönlichkeit dem Dienst gegenüber geltend
zu machen. Er wird mißmuthig und da er reicher geworden, fordert er sou
use, thut nicht mehr, als er muß. Selbst im Kriege wägt er Arbeit, Ruhe und


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in gleichem Verhältniß die Zcchl ihrer ausgebildeten Soldaten. Das jährliche
Kontingent der französischen Armee beträgt — abgesehen von 40,000 Man»
Reserve — zur Zeit 60,000 Mann. Bei einer Dienstpflicht von sieben Jahren
ergiebt dies 420,000 Mann. Wenn aber die Regierung für 20,000 Mann alte
Soldaten behält und damit den Stamm der Armee besetzt, so bleiben nur
siebenmal 40,000 Mann, gleich 280,000 Mann, und es ergiebt sich ein Minus
von 140,000 Mann an ausgebildeten Leuten.

3) Die Armee behält sehr viel mehr alte Soldaten wie früher. Der
Soldatenstand in den unteren Stellen nutzt aber den Menschen in so bedeuten«
dem Maße ab, daß das zunehmende Alter in der Armee deren innern Werth
verringert. General Trochu sagt, daß er diese Frage nach allen Seiten hin
erforscht und folgendes als richtig erkannt habe: „Die jungen Leute kommen fast
durchgängig mit dem Gefühl der geraubten Freiheit zum Regiments und em¬
pfinden die Forderungen des Dienstes nur als Zwang. Nachdem sie im enden
Jahre gelernt und im zweiten Jahre fertig geworden sind, erhalten sie im dritten
Jahre den militärischen Geist, das Gefühl ihres Standes und ihrer Stellung
und werden im vierten Jahre die richtigen alten Soldaten. Dieser alte Soldat
ist ein junger Mann, der noch alle Federkraft, Glauben und Träume der Jugend
hat. Er ist voller Kraft und Ehrgefühl, er denkt aber nicht daran, auch nur
eine Stunde länger zu dienen, als er muß. Im Frieden ist er der treue, im
Kriege der tapfere Soldat. Ihn ergreift es, wenn der General an das Vater¬
land erinnert und er thut seine Pflicht, gleichgiltig, ob er stürmend dem Feinde
entgegengeht oder ob er Stunden lang im feindlichen Feuer in den Trancheen
ruhig liegen muß. Er arbeitet mit allen Kräften, murrt nie und fordert als
Lohn feiner Thaten am Ende seiner militärischen Laufbahn nur ein gutes
Führungszeugniß. Wenn er dann heimkommt, wird der alte Soldat ein junger
Bürger, welcher den Keim der Ordnung in seinen neuen Hausstand legt. Eine
Armee, welche sich so periodisch erneuert und dem Lande alle Jahre seine so
gebildeten Elemente zurückgiebt, ist ein mächtiges Instrument öffentlicher Er¬
ziehung."

Wenn aber ein Soldat den Rücktritt in die Familie aufgiebt und die
militärische Laufbahn vorzieht, so entäußert er sich der inneren Freiheit, er ent¬
wöhnt sich der Arbeit und macht sich unfähig für jede spätere bürgerliche Exi¬
stenz. — Die Folge davon ist der Verlust der innern Widerstandsfähigkeit und
jener edeln Gefühle des freien Bürgers. —

Im Anfang ist dieser alte Soldat noch der regelrechte Mensch, da er aber
den Dienst nicht mehr als eine nothwendige Pflicht, sondern nur als ein Hand¬
werk ansieht, so fängt er an. seine Persönlichkeit dem Dienst gegenüber geltend
zu machen. Er wird mißmuthig und da er reicher geworden, fordert er sou
use, thut nicht mehr, als er muß. Selbst im Kriege wägt er Arbeit, Ruhe und


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[0207] in gleichem Verhältniß die Zcchl ihrer ausgebildeten Soldaten. Das jährliche Kontingent der französischen Armee beträgt — abgesehen von 40,000 Man» Reserve — zur Zeit 60,000 Mann. Bei einer Dienstpflicht von sieben Jahren ergiebt dies 420,000 Mann. Wenn aber die Regierung für 20,000 Mann alte Soldaten behält und damit den Stamm der Armee besetzt, so bleiben nur siebenmal 40,000 Mann, gleich 280,000 Mann, und es ergiebt sich ein Minus von 140,000 Mann an ausgebildeten Leuten. 3) Die Armee behält sehr viel mehr alte Soldaten wie früher. Der Soldatenstand in den unteren Stellen nutzt aber den Menschen in so bedeuten« dem Maße ab, daß das zunehmende Alter in der Armee deren innern Werth verringert. General Trochu sagt, daß er diese Frage nach allen Seiten hin erforscht und folgendes als richtig erkannt habe: „Die jungen Leute kommen fast durchgängig mit dem Gefühl der geraubten Freiheit zum Regiments und em¬ pfinden die Forderungen des Dienstes nur als Zwang. Nachdem sie im enden Jahre gelernt und im zweiten Jahre fertig geworden sind, erhalten sie im dritten Jahre den militärischen Geist, das Gefühl ihres Standes und ihrer Stellung und werden im vierten Jahre die richtigen alten Soldaten. Dieser alte Soldat ist ein junger Mann, der noch alle Federkraft, Glauben und Träume der Jugend hat. Er ist voller Kraft und Ehrgefühl, er denkt aber nicht daran, auch nur eine Stunde länger zu dienen, als er muß. Im Frieden ist er der treue, im Kriege der tapfere Soldat. Ihn ergreift es, wenn der General an das Vater¬ land erinnert und er thut seine Pflicht, gleichgiltig, ob er stürmend dem Feinde entgegengeht oder ob er Stunden lang im feindlichen Feuer in den Trancheen ruhig liegen muß. Er arbeitet mit allen Kräften, murrt nie und fordert als Lohn feiner Thaten am Ende seiner militärischen Laufbahn nur ein gutes Führungszeugniß. Wenn er dann heimkommt, wird der alte Soldat ein junger Bürger, welcher den Keim der Ordnung in seinen neuen Hausstand legt. Eine Armee, welche sich so periodisch erneuert und dem Lande alle Jahre seine so gebildeten Elemente zurückgiebt, ist ein mächtiges Instrument öffentlicher Er¬ ziehung." Wenn aber ein Soldat den Rücktritt in die Familie aufgiebt und die militärische Laufbahn vorzieht, so entäußert er sich der inneren Freiheit, er ent¬ wöhnt sich der Arbeit und macht sich unfähig für jede spätere bürgerliche Exi¬ stenz. — Die Folge davon ist der Verlust der innern Widerstandsfähigkeit und jener edeln Gefühle des freien Bürgers. — Im Anfang ist dieser alte Soldat noch der regelrechte Mensch, da er aber den Dienst nicht mehr als eine nothwendige Pflicht, sondern nur als ein Hand¬ werk ansieht, so fängt er an. seine Persönlichkeit dem Dienst gegenüber geltend zu machen. Er wird mißmuthig und da er reicher geworden, fordert er sou use, thut nicht mehr, als er muß. Selbst im Kriege wägt er Arbeit, Ruhe und 26"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/207>, abgerufen am 01.10.2024.