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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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getaufte Juden waren, welche die fest ausgeprägte exegetische Tradition des
Judenthums mit ins Christenthum herübernahmen.

Auch in dieser Uebersetzung zeigen die verschiedenen Bücher keinen ganz
gleichen Charakter. Während z. B. der syrische Pcntateuch in strenger Ab¬
hängigkeit von der jüdischen Ueberlieferung steht, ohne die Septuaginta zu be¬
rücksichtigen, und die Chronik in allerlei Umschreibungen und Zusätzen gar
einen starken Anflug von targumcntigcr Aengstlichkeit zeigt, benutzen andere
Theile die griechische Uebersetzuna. und sind selbständiger. Ueber das Verhält¬
niß der einzelnen Bücher in der Peschita zur jüdischen Tradition, sind übrigens
noch genauere Untersuchungen anzustellen. Beim Pcntateuch läßt sich dasselbe
dahin Präcisiren, daß sie zwar eine jüngere Stufe repräsentirt als das alte
mündliche Targum, von dem uns nur einige Neste erhalten sind, daß sie
aber wieder auf einer älteren Stufe steht, als das officielle Targum, da sie
manche in den maßgebenden Schriften verworfene und in diesem aufgegebene
Deutungen enthält und im Ganzen weniger ängstlich ist. Auch der Text, nach
dem man übersetzte, ist zwar im Ganzen der unserige, aber im Einzelnen kom¬
men doch allerlei Anklänge an früher übliche Lesarten vor, welche im officiellen
Targum durchaus fehlen. Mehr oder minder wird dies für alle Bücher des
syrischen Alten Testaments gelten. Im Ganzen ist dasselbe eine vortreffliche
Arbeit, die über sämmtlichen Targumen steht. Die Übersetzung ist zwar durch-
gehends wörtlich und scheut sich auch vor Hebraismen nicht, aber sie ist nie steif
und giebt meistens mit Glück den Sinn des Textes in einfacher Weise wieder.
Geschmacklosigkeiten und baren Unsinn, wie sie in den sonstigen alten Über¬
setzungen doch nicht selten sind, finden wir hier nur wenig. Wenn bei den
Syrern das gesunde Verständniß des Alten Testaments ebenso verschwunden ist,
wie bei den übrigen alten Völkern, so trägt ihre Uebersetzung wahrlich nicht die
Schuld daran.

Die Peschita ist wohl die älteste aller christlichen Bibelübersetzungen. Bei
der starken Ausbreitung des Christenthums in Syrien und Mesopotamien schon
in dessen frühsten Zeiten konnte man eines allgemein verständlichen Textes des
damals noch allein als kanonisch geltenden Alten Testaments nicht länger ent¬
behren. Für den heiligen Ehren (gestorben 373) ist die Peschita denn auch
schon ein altes Werk, bei dem er zuweilen obsolet gewordene Ausdrücke seinen
Landsleuten in der Heimath desselben erklären muß. Für ein hohes Alter
spricht auch die Neception bei allen syrischen Secten, die sich doch sonst unter
einander so bitter haßten, und ferner das oben dargelegte Verhältniß zur jüdi¬
schen Tradition. Endlich scheint bereits Melito von Sardes (gestorben 170) unsre
Uebersetzung als "den Syrer" zu citiren. So scheue ich mich denn nicht, die¬
selbe schon in den Anfang des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts zu setzen.
Die näheren Umstände, unter denen sie entstand, sind uns völlig dunkel. Auf


getaufte Juden waren, welche die fest ausgeprägte exegetische Tradition des
Judenthums mit ins Christenthum herübernahmen.

Auch in dieser Uebersetzung zeigen die verschiedenen Bücher keinen ganz
gleichen Charakter. Während z. B. der syrische Pcntateuch in strenger Ab¬
hängigkeit von der jüdischen Ueberlieferung steht, ohne die Septuaginta zu be¬
rücksichtigen, und die Chronik in allerlei Umschreibungen und Zusätzen gar
einen starken Anflug von targumcntigcr Aengstlichkeit zeigt, benutzen andere
Theile die griechische Uebersetzuna. und sind selbständiger. Ueber das Verhält¬
niß der einzelnen Bücher in der Peschita zur jüdischen Tradition, sind übrigens
noch genauere Untersuchungen anzustellen. Beim Pcntateuch läßt sich dasselbe
dahin Präcisiren, daß sie zwar eine jüngere Stufe repräsentirt als das alte
mündliche Targum, von dem uns nur einige Neste erhalten sind, daß sie
aber wieder auf einer älteren Stufe steht, als das officielle Targum, da sie
manche in den maßgebenden Schriften verworfene und in diesem aufgegebene
Deutungen enthält und im Ganzen weniger ängstlich ist. Auch der Text, nach
dem man übersetzte, ist zwar im Ganzen der unserige, aber im Einzelnen kom¬
men doch allerlei Anklänge an früher übliche Lesarten vor, welche im officiellen
Targum durchaus fehlen. Mehr oder minder wird dies für alle Bücher des
syrischen Alten Testaments gelten. Im Ganzen ist dasselbe eine vortreffliche
Arbeit, die über sämmtlichen Targumen steht. Die Übersetzung ist zwar durch-
gehends wörtlich und scheut sich auch vor Hebraismen nicht, aber sie ist nie steif
und giebt meistens mit Glück den Sinn des Textes in einfacher Weise wieder.
Geschmacklosigkeiten und baren Unsinn, wie sie in den sonstigen alten Über¬
setzungen doch nicht selten sind, finden wir hier nur wenig. Wenn bei den
Syrern das gesunde Verständniß des Alten Testaments ebenso verschwunden ist,
wie bei den übrigen alten Völkern, so trägt ihre Uebersetzung wahrlich nicht die
Schuld daran.

Die Peschita ist wohl die älteste aller christlichen Bibelübersetzungen. Bei
der starken Ausbreitung des Christenthums in Syrien und Mesopotamien schon
in dessen frühsten Zeiten konnte man eines allgemein verständlichen Textes des
damals noch allein als kanonisch geltenden Alten Testaments nicht länger ent¬
behren. Für den heiligen Ehren (gestorben 373) ist die Peschita denn auch
schon ein altes Werk, bei dem er zuweilen obsolet gewordene Ausdrücke seinen
Landsleuten in der Heimath desselben erklären muß. Für ein hohes Alter
spricht auch die Neception bei allen syrischen Secten, die sich doch sonst unter
einander so bitter haßten, und ferner das oben dargelegte Verhältniß zur jüdi¬
schen Tradition. Endlich scheint bereits Melito von Sardes (gestorben 170) unsre
Uebersetzung als „den Syrer" zu citiren. So scheue ich mich denn nicht, die¬
selbe schon in den Anfang des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts zu setzen.
Die näheren Umstände, unter denen sie entstand, sind uns völlig dunkel. Auf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/187>, abgerufen am 22.07.2024.