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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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Grundtext erworben hat, hat auch den Nachweis geliefert, daß uns aus
dem ältesten Targum noch bedeutende Reste mitten unter Stücken aus ganz
andrer Zeit in der sogenannten jcrusalemischen Uebersetzung des Pentateuchs
erhalten sind. Wir wollen nur einen schlagenden und interessanten Fall dieser
Art anführen. Die Stelle ü. Mose, 33, 11 "und nicht sollen seine Hasser
stehen bleiben" wird übersetzt: "und nicht sollen die Hasser des hohen
Priesters Johanan (Johannes) einen Fuß zum Stehn haben". "Der hohe
Priester Johanon" ist nun in den jüdischen Schriften die regelmäßige Bezeich,
mung des gewaltigen Herrschers Johannes Hyrcanus. Diese Stelle muß sich
aus seiner Regierungszeit (136--106 v. Chr. G.) erhalten haben, denn später
hat die Engherzigkeit, der geistigen Beherrscher des jüdischen Volkes das An.
denken dieses Helden auf eine schnöde Weise verunglimpft, weil er sich nicht
ihren Schulmeinungen angeschlossen hatte, so daß eine Einschiebung seines
Namens nach seinem Tode eine Unmöglichkeit geworden wäre. So finden wir
in diesem Targum auch noch allerlei Auslegungen, welche in den normativen
Schriften des Judenthums (wie der Mischn^) gemißbilligt werden, die mithin
in eine ältere Zeit hineinreichen.

Nicht blos diese Differenzen, sondern überhaupt das berechtigte Streben
nach "einer genauen Uebersetzung veranlaßte nun eine Reaction gegen die alte
weitläufige Art und führte zu einer immer strengeren Wörtlichkeit. Eine ältere
Stufe dieser Thätigkeit wird uns durch die christlich-syrische Uebersetzung reflectirt,
von der wir unten reden werden, während das officielle Targum noch weit
strenger durchgearbeitet ward. Diese officielle Recension erstreckt sich aber nur
auf den Pentatcuch und die Propheten im jüdischen Sinn (d. h. mit Einschluß
der älteren Geschichtsbücher Josua, Richter, Samuel, Könige). Diese Arbeit
ist nicht mehr im Mutterlande vollendet, sondern in Babylonien, wohin im
dritten nachchristlichen Jahrhundert die geistige Werkstätte des Judenthums über¬
siedelte. Hier ist aber blos die Schlußredaction des im Wesentlichen schon fest¬
stehenden Targums gemacht; auch ist die Mundart desselben, eine etwas jüngere
Entwickelung des schon in einigen Büchern des Alten Testaments angewandten
palästinischen Aramäismus, im Wesentlichen beibehalten und nicht etwa in den
babylonischen Vulgärdialekt verändert, den wir aus dem Talmud kennen. Aus
der ursprünglich volkstümlichen Arbeit war aber somit ein gelehrtes Werk
geworden. Die Endredaction kann nach verschiedenen Zeichen nicht lange nach
der Erhebung Babyloniens zum Sitz der jüdischen Gelehrsamkeit vorgenommen
sein. Von wem sie durchgeführt, wissen wir nicht gewiß; dies hat auch keine
Wichtigkeit, da es sich ja hier nicht um eine Uebersetzung, sondern nur um eine
Bearbeitung nach streng vorgeschriebnen Grundsätzen unter genauer Controle
durch die Gelehrten handelt. Sicher ist die spätere Meinung durchaus falsch,
daß das Targum zum Pentatcuch von Onkelos, das zu den Propheten von


Grundtext erworben hat, hat auch den Nachweis geliefert, daß uns aus
dem ältesten Targum noch bedeutende Reste mitten unter Stücken aus ganz
andrer Zeit in der sogenannten jcrusalemischen Uebersetzung des Pentateuchs
erhalten sind. Wir wollen nur einen schlagenden und interessanten Fall dieser
Art anführen. Die Stelle ü. Mose, 33, 11 „und nicht sollen seine Hasser
stehen bleiben" wird übersetzt: „und nicht sollen die Hasser des hohen
Priesters Johanan (Johannes) einen Fuß zum Stehn haben". „Der hohe
Priester Johanon" ist nun in den jüdischen Schriften die regelmäßige Bezeich,
mung des gewaltigen Herrschers Johannes Hyrcanus. Diese Stelle muß sich
aus seiner Regierungszeit (136—106 v. Chr. G.) erhalten haben, denn später
hat die Engherzigkeit, der geistigen Beherrscher des jüdischen Volkes das An.
denken dieses Helden auf eine schnöde Weise verunglimpft, weil er sich nicht
ihren Schulmeinungen angeschlossen hatte, so daß eine Einschiebung seines
Namens nach seinem Tode eine Unmöglichkeit geworden wäre. So finden wir
in diesem Targum auch noch allerlei Auslegungen, welche in den normativen
Schriften des Judenthums (wie der Mischn^) gemißbilligt werden, die mithin
in eine ältere Zeit hineinreichen.

Nicht blos diese Differenzen, sondern überhaupt das berechtigte Streben
nach "einer genauen Uebersetzung veranlaßte nun eine Reaction gegen die alte
weitläufige Art und führte zu einer immer strengeren Wörtlichkeit. Eine ältere
Stufe dieser Thätigkeit wird uns durch die christlich-syrische Uebersetzung reflectirt,
von der wir unten reden werden, während das officielle Targum noch weit
strenger durchgearbeitet ward. Diese officielle Recension erstreckt sich aber nur
auf den Pentatcuch und die Propheten im jüdischen Sinn (d. h. mit Einschluß
der älteren Geschichtsbücher Josua, Richter, Samuel, Könige). Diese Arbeit
ist nicht mehr im Mutterlande vollendet, sondern in Babylonien, wohin im
dritten nachchristlichen Jahrhundert die geistige Werkstätte des Judenthums über¬
siedelte. Hier ist aber blos die Schlußredaction des im Wesentlichen schon fest¬
stehenden Targums gemacht; auch ist die Mundart desselben, eine etwas jüngere
Entwickelung des schon in einigen Büchern des Alten Testaments angewandten
palästinischen Aramäismus, im Wesentlichen beibehalten und nicht etwa in den
babylonischen Vulgärdialekt verändert, den wir aus dem Talmud kennen. Aus
der ursprünglich volkstümlichen Arbeit war aber somit ein gelehrtes Werk
geworden. Die Endredaction kann nach verschiedenen Zeichen nicht lange nach
der Erhebung Babyloniens zum Sitz der jüdischen Gelehrsamkeit vorgenommen
sein. Von wem sie durchgeführt, wissen wir nicht gewiß; dies hat auch keine
Wichtigkeit, da es sich ja hier nicht um eine Uebersetzung, sondern nur um eine
Bearbeitung nach streng vorgeschriebnen Grundsätzen unter genauer Controle
durch die Gelehrten handelt. Sicher ist die spätere Meinung durchaus falsch,
daß das Targum zum Pentatcuch von Onkelos, das zu den Propheten von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/182>, abgerufen am 22.07.2024.