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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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Sessel der deutschen Souveräne erheben. Denn auch ihnen wünschen wir auf¬
richtig die Gelegenheit zu einer selbstthätigen und persönlichen Mitberathung bei
den großen Gesetzgebungsakten der deutschen Nation.

Der Kampf um das Militärbudget dagegen endigte mit Zugeständnissen
der Negierung, welche allerdings nicht so weit gingen, als die in der Vorbe¬
rathung des Reichstags angenommenen Forderungen der Majorität, aber doch
das große Princip sicher stellten, daß nach einer für die neue Heerorganisation
bewilligten Ausnahmezeit die gesammten Einnahmen und Ausgaben, welche in
die Kompetenz des Bundesstaats fallen, auf dem Wege der Gesetzgebung mit
künftigen Reichstagen jährlich vereinbart werden sollen. Ob durch Feststellung
dieses Princips viel oder wenig für die Zukunft erreicht sei. muß die Erfahrung
lehren. Wir bekennen, daß wir auf die einzelnen bescheidenen constitutionellen
Klauseln, um welche dabei sehr eifrig gekämpft wurde, nur geringen Werth
legen. Wir stehen im Beginn der größten politischen Umwälzungen, weiche nach
menschlichem Ermessen ohne großen Waffenentscheid nicht durchgeführt werden;
wir stehen wahrscheinlich vor einem Kriege mit dem mächtigsten Staat des Con-
tinents. Es ist sicher, daß in dieser Zeit einer gewaltigen Revolution, welche
sich in Staatsverträgcn vollziehen wird, die Stellung Preußens zum Ausland
und zu seinen Bundesgenossen, daß auch das Verhältniß der preußischen Regierung
zum Volke große Aenderungen erfahren wird. Voraussichtlich wird am Ende
des Jahres 1871 die innere und äußere Lage des Staates eine sehr andere
sein, ebenso die Finanzlage des Staats, das Verhältniß der Regierung zur Volks¬
vertretung, auch die Stimmungen und die politische Bildung des Volkes selbst.
Wir sind innig überzeugt, daß am Ende des Jahres 1871, wenn nicht früher,
auf der einen Seite das Mißtrauen der preußischen Volksvertreter gegen die
militärischen Forderungen und absolutistischen Wünsche der Negierung unter dem
Drange neuer Zustände geschwunden sein wird, und ebenso die spröde Ab¬
neigung der Negierung, den Freihcitswünschen des Volkes gerecht zu werden.
Die Bedürfnisse des neuen Staates und die politischen Perspectiven sind schon
seit dem Sommer vorigen Jahres sehr verändert, der neue Großstaat wird in
den kriegerischen Wehen, welche seiner Geburt vorhergehen, jedem Einzelnen
Von uns die politischen Forderungen modificiren. Wie die Schlacht bei Sadowa
uns den Reichstag nothwendig gemacht hat und den gegenwärtigen Verfassungs-
entwurf. so werden neue Erfolge oder Mißerfolge uns neue Programme unsrer
Zukunft, andere repräsentative Versammlungen und im Drange einer harten
Zeit größere Rechte der Volksvertretung geben.

Sogleich beim Zusammentritt des Reichstages war in der Mehrzahl der
Liberalen die Ueberzeugung lebendig, daß man dem Bundespräsidiun? auf einige
Jahre dictatorische Befugnisse der Hceresorganisation zugeben müsse. Da man
sich ohne große Weigerung über den Endtermin dieses Ausnahmezustandes


Sessel der deutschen Souveräne erheben. Denn auch ihnen wünschen wir auf¬
richtig die Gelegenheit zu einer selbstthätigen und persönlichen Mitberathung bei
den großen Gesetzgebungsakten der deutschen Nation.

Der Kampf um das Militärbudget dagegen endigte mit Zugeständnissen
der Negierung, welche allerdings nicht so weit gingen, als die in der Vorbe¬
rathung des Reichstags angenommenen Forderungen der Majorität, aber doch
das große Princip sicher stellten, daß nach einer für die neue Heerorganisation
bewilligten Ausnahmezeit die gesammten Einnahmen und Ausgaben, welche in
die Kompetenz des Bundesstaats fallen, auf dem Wege der Gesetzgebung mit
künftigen Reichstagen jährlich vereinbart werden sollen. Ob durch Feststellung
dieses Princips viel oder wenig für die Zukunft erreicht sei. muß die Erfahrung
lehren. Wir bekennen, daß wir auf die einzelnen bescheidenen constitutionellen
Klauseln, um welche dabei sehr eifrig gekämpft wurde, nur geringen Werth
legen. Wir stehen im Beginn der größten politischen Umwälzungen, weiche nach
menschlichem Ermessen ohne großen Waffenentscheid nicht durchgeführt werden;
wir stehen wahrscheinlich vor einem Kriege mit dem mächtigsten Staat des Con-
tinents. Es ist sicher, daß in dieser Zeit einer gewaltigen Revolution, welche
sich in Staatsverträgcn vollziehen wird, die Stellung Preußens zum Ausland
und zu seinen Bundesgenossen, daß auch das Verhältniß der preußischen Regierung
zum Volke große Aenderungen erfahren wird. Voraussichtlich wird am Ende
des Jahres 1871 die innere und äußere Lage des Staates eine sehr andere
sein, ebenso die Finanzlage des Staats, das Verhältniß der Regierung zur Volks¬
vertretung, auch die Stimmungen und die politische Bildung des Volkes selbst.
Wir sind innig überzeugt, daß am Ende des Jahres 1871, wenn nicht früher,
auf der einen Seite das Mißtrauen der preußischen Volksvertreter gegen die
militärischen Forderungen und absolutistischen Wünsche der Negierung unter dem
Drange neuer Zustände geschwunden sein wird, und ebenso die spröde Ab¬
neigung der Negierung, den Freihcitswünschen des Volkes gerecht zu werden.
Die Bedürfnisse des neuen Staates und die politischen Perspectiven sind schon
seit dem Sommer vorigen Jahres sehr verändert, der neue Großstaat wird in
den kriegerischen Wehen, welche seiner Geburt vorhergehen, jedem Einzelnen
Von uns die politischen Forderungen modificiren. Wie die Schlacht bei Sadowa
uns den Reichstag nothwendig gemacht hat und den gegenwärtigen Verfassungs-
entwurf. so werden neue Erfolge oder Mißerfolge uns neue Programme unsrer
Zukunft, andere repräsentative Versammlungen und im Drange einer harten
Zeit größere Rechte der Volksvertretung geben.

Sogleich beim Zusammentritt des Reichstages war in der Mehrzahl der
Liberalen die Ueberzeugung lebendig, daß man dem Bundespräsidiun? auf einige
Jahre dictatorische Befugnisse der Hceresorganisation zugeben müsse. Da man
sich ohne große Weigerung über den Endtermin dieses Ausnahmezustandes


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[0171] Sessel der deutschen Souveräne erheben. Denn auch ihnen wünschen wir auf¬ richtig die Gelegenheit zu einer selbstthätigen und persönlichen Mitberathung bei den großen Gesetzgebungsakten der deutschen Nation. Der Kampf um das Militärbudget dagegen endigte mit Zugeständnissen der Negierung, welche allerdings nicht so weit gingen, als die in der Vorbe¬ rathung des Reichstags angenommenen Forderungen der Majorität, aber doch das große Princip sicher stellten, daß nach einer für die neue Heerorganisation bewilligten Ausnahmezeit die gesammten Einnahmen und Ausgaben, welche in die Kompetenz des Bundesstaats fallen, auf dem Wege der Gesetzgebung mit künftigen Reichstagen jährlich vereinbart werden sollen. Ob durch Feststellung dieses Princips viel oder wenig für die Zukunft erreicht sei. muß die Erfahrung lehren. Wir bekennen, daß wir auf die einzelnen bescheidenen constitutionellen Klauseln, um welche dabei sehr eifrig gekämpft wurde, nur geringen Werth legen. Wir stehen im Beginn der größten politischen Umwälzungen, weiche nach menschlichem Ermessen ohne großen Waffenentscheid nicht durchgeführt werden; wir stehen wahrscheinlich vor einem Kriege mit dem mächtigsten Staat des Con- tinents. Es ist sicher, daß in dieser Zeit einer gewaltigen Revolution, welche sich in Staatsverträgcn vollziehen wird, die Stellung Preußens zum Ausland und zu seinen Bundesgenossen, daß auch das Verhältniß der preußischen Regierung zum Volke große Aenderungen erfahren wird. Voraussichtlich wird am Ende des Jahres 1871 die innere und äußere Lage des Staates eine sehr andere sein, ebenso die Finanzlage des Staats, das Verhältniß der Regierung zur Volks¬ vertretung, auch die Stimmungen und die politische Bildung des Volkes selbst. Wir sind innig überzeugt, daß am Ende des Jahres 1871, wenn nicht früher, auf der einen Seite das Mißtrauen der preußischen Volksvertreter gegen die militärischen Forderungen und absolutistischen Wünsche der Negierung unter dem Drange neuer Zustände geschwunden sein wird, und ebenso die spröde Ab¬ neigung der Negierung, den Freihcitswünschen des Volkes gerecht zu werden. Die Bedürfnisse des neuen Staates und die politischen Perspectiven sind schon seit dem Sommer vorigen Jahres sehr verändert, der neue Großstaat wird in den kriegerischen Wehen, welche seiner Geburt vorhergehen, jedem Einzelnen Von uns die politischen Forderungen modificiren. Wie die Schlacht bei Sadowa uns den Reichstag nothwendig gemacht hat und den gegenwärtigen Verfassungs- entwurf. so werden neue Erfolge oder Mißerfolge uns neue Programme unsrer Zukunft, andere repräsentative Versammlungen und im Drange einer harten Zeit größere Rechte der Volksvertretung geben. Sogleich beim Zusammentritt des Reichstages war in der Mehrzahl der Liberalen die Ueberzeugung lebendig, daß man dem Bundespräsidiun? auf einige Jahre dictatorische Befugnisse der Hceresorganisation zugeben müsse. Da man sich ohne große Weigerung über den Endtermin dieses Ausnahmezustandes

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/171>, abgerufen am 24.08.2024.