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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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einzelnen Büchern, wie beim Jeremia, welcher den Alexandrinern in einer stark
verkürzten und in Unordnung gerathenen Gestalt vorlag. Nicht selten führen
un^s die Übersetzungen auf bessere Lesarten als die unseres Textes, wenn dieser
auch in den bei weitem meisten Fallen besser ist. Uebrigens ist beständig zu
beachten, daß die damaligen hebräischen Texte keine Vocal- und sonstigen Lese¬
zeichen enthielten, mithin Mißverständnisse und abweichende Interpretationen
auch bei Textgleichheit sehr leicht vorkommen konnten.

So vollkommen unberührt die Heidenwelt von diesen Uebersetzungen blieb
-- selbst der gelehrte Alexander Polyhistor hat seine Auszüge über die Juden
aus allerlei jüdischen Schriftstellern genommen, ohne Benutzung der Bibel --,
so sehr verbreitere sie sich in jüdischen Kreisen. Ohne Prüfung nahm man
durchgängig den griechischen Text als vollständigen Ersatz des Originals hin.
Selbst Josephus. der doch so sehr alt seiner tiefen Kenntniß der Geschichte
Israels prunkt, benutzt jenen viel mehr als den Grundtext. Philo entwickelt
ganz unbefangen seine Philosopheme aus der Uebersetzung und begründet sie
selbst auf falsch übersetzte Stellen, ja auf zufällige Verderbnisse in, Text der¬
selben. Durch das Ansteasbuch kam die Ansicht am, die Uebersetzung des Pen-
tateuchs sei- inspirirt, und dieser Glaube wurde denn bald auf die übrigen
Bücher ausgedehnt, wie man später aus jenem Roman auch den Namen der
70 (eigentlich 72) Uebersetzer zuerst für den Pcutateuch. dann für das grie¬
chische Alte Testament überhaupt nahm; daher die Bezeichnung desselben als
>IkKäoirikIl0reg,, 8<zptug.Zinw. Noch mehr stieg das Ansehen dieser Uebersetzung
bei der Ausbreitung des Christenthums unter den Heide". Der Urtext war
diesen ganz aus dem Gesichtskreis entrückt; der griechische Text galt als inspirirt
und wo man einmal von Juden auf die Abweichungen des Uitextes aufmerksam
gemacht ward, da half man sich einfach durch die Annahme einer Verfälschung
deS letztern durch jüdische Bosheit. -

Durch den Gebrauch der Uebersetzung von Seiten des immer mächtiger
werdenden Christenthums wurden nun aber auch die Juden veranlaßt, sich jene
etwas näher anzusehn. Die Christen fanden in ihrem Text deutlich Dogmen
ausgedrückt, welche die Juden im Grundtext nicht finden konnten; namentlich
gilt dies vom Dogma der Geburt Christi durch die Jungfrau (Ich. 7, 14).
Man erkannte mit Schrecken, daß die Uebersetzung vielfach abwich und statt
der Bewunderung früherer Zeiten entstand nun eine leidenschaftliche Abneigung
gegen sie, welche in dem Ausspruch gipfelt, "der Tag, an welchem die Ueber¬
setzung gemacht, sei für Israel so schlimm gewesen wie jerur. an welchem das
goldene Kalb gegossen, und ferner, als jene gemacht, sei eine dreitägige Finster¬
niß über die Welt gekommen". Am liebsten hätte man im zweiten Jahrhundert
n. Chr. die heidnische Weltsprache ganz verboten, aber zu viele Juden redeten
dieselbe und bedurften daher auch eines griechischen Biöcltextes. So entstanden


einzelnen Büchern, wie beim Jeremia, welcher den Alexandrinern in einer stark
verkürzten und in Unordnung gerathenen Gestalt vorlag. Nicht selten führen
un^s die Übersetzungen auf bessere Lesarten als die unseres Textes, wenn dieser
auch in den bei weitem meisten Fallen besser ist. Uebrigens ist beständig zu
beachten, daß die damaligen hebräischen Texte keine Vocal- und sonstigen Lese¬
zeichen enthielten, mithin Mißverständnisse und abweichende Interpretationen
auch bei Textgleichheit sehr leicht vorkommen konnten.

So vollkommen unberührt die Heidenwelt von diesen Uebersetzungen blieb
— selbst der gelehrte Alexander Polyhistor hat seine Auszüge über die Juden
aus allerlei jüdischen Schriftstellern genommen, ohne Benutzung der Bibel —,
so sehr verbreitere sie sich in jüdischen Kreisen. Ohne Prüfung nahm man
durchgängig den griechischen Text als vollständigen Ersatz des Originals hin.
Selbst Josephus. der doch so sehr alt seiner tiefen Kenntniß der Geschichte
Israels prunkt, benutzt jenen viel mehr als den Grundtext. Philo entwickelt
ganz unbefangen seine Philosopheme aus der Uebersetzung und begründet sie
selbst auf falsch übersetzte Stellen, ja auf zufällige Verderbnisse in, Text der¬
selben. Durch das Ansteasbuch kam die Ansicht am, die Uebersetzung des Pen-
tateuchs sei- inspirirt, und dieser Glaube wurde denn bald auf die übrigen
Bücher ausgedehnt, wie man später aus jenem Roman auch den Namen der
70 (eigentlich 72) Uebersetzer zuerst für den Pcutateuch. dann für das grie¬
chische Alte Testament überhaupt nahm; daher die Bezeichnung desselben als
>IkKäoirikIl0reg,, 8<zptug.Zinw. Noch mehr stieg das Ansehen dieser Uebersetzung
bei der Ausbreitung des Christenthums unter den Heide». Der Urtext war
diesen ganz aus dem Gesichtskreis entrückt; der griechische Text galt als inspirirt
und wo man einmal von Juden auf die Abweichungen des Uitextes aufmerksam
gemacht ward, da half man sich einfach durch die Annahme einer Verfälschung
deS letztern durch jüdische Bosheit. -

Durch den Gebrauch der Uebersetzung von Seiten des immer mächtiger
werdenden Christenthums wurden nun aber auch die Juden veranlaßt, sich jene
etwas näher anzusehn. Die Christen fanden in ihrem Text deutlich Dogmen
ausgedrückt, welche die Juden im Grundtext nicht finden konnten; namentlich
gilt dies vom Dogma der Geburt Christi durch die Jungfrau (Ich. 7, 14).
Man erkannte mit Schrecken, daß die Uebersetzung vielfach abwich und statt
der Bewunderung früherer Zeiten entstand nun eine leidenschaftliche Abneigung
gegen sie, welche in dem Ausspruch gipfelt, „der Tag, an welchem die Ueber¬
setzung gemacht, sei für Israel so schlimm gewesen wie jerur. an welchem das
goldene Kalb gegossen, und ferner, als jene gemacht, sei eine dreitägige Finster¬
niß über die Welt gekommen". Am liebsten hätte man im zweiten Jahrhundert
n. Chr. die heidnische Weltsprache ganz verboten, aber zu viele Juden redeten
dieselbe und bedurften daher auch eines griechischen Biöcltextes. So entstanden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/152>, abgerufen am 06.02.2025.