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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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Schrift so unhaltbar sind, das? es durchaus nicht erlaubt ist, wenigstens einige
Einzelheiten aus ihr herauszunehmen, welche allenfalls wahr sein konnten, baß
wir mithin nicht auf ihre Autorität hin behaupten dürfen, die Uebersetzung deS
Pentateuchs sei überhaupt schon unter Philadelphus (284--246 v. Chr.) ge-
macht. Auch das Zeugnis; eines anderen jüdischen Schriftstellers, Aristobulus,
welcher sie in die Zeit dieses Königs verlegt, ist werchlos. da derselbe entweder
sehr spät lebte oder die Schrift ihm später untergeschoben ist; auf jeden Füll
ist diese vom Äristeasbrief abhängig. Dagegen benutzen unzweifelhaft mehre
Schriftsteller des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts unsere Pentateuchüver-
sctzung, so z. B. der jüdische Dichter Ezechiel, welcher nach Euripides Muster in
fließenden Versen ein Drama "Exagoge" (die Herausführung Israels aus
Aegypten) schrieb, von dem ein großer Theil noch vorhanden ist. Wir können
kaum zweifeln, daß die Übersetzung des Pentateuchs allerdings schon im dritten
Jahrhundert verfaßt ist.

Wie nun auch die näheren Umstände gewesen sein mögen, unter denen
dies geschehen ist, jedenfalls ist sie ein höchst ehrenwerthes Werk, welches wir
um so mehr, bewundern müssen, als das Unternehmen, ein großes Lues zu über¬
setzen, damals etwas absolut Neues war. Vermuthlich ist dies überhaupt die
erste Übersetzung eines Buches.*) Wir haben dasselbe unzweifelhaft als eine
Gemeinde-, acht als eine Privatsache anzusehen. Man übertrug den vorliegen"
den Text so. daß er ih" den Begriffen und Bedürfnissen der Zeit gemäß mög¬
lichst ersetzen konnte. Dieser Text war freilich kein reiner. In jenen Jahr¬
hunderten Schenie man sich nämlich selbst in Palästina noch nicht, allerlei
wirkliche und vermeintliche Schwierigkeiten und Anstöße in den heiligen Schriften
durch kleine Aenderungen, Zusätze und Weglassungen zu beseitigen, und dazu
kamen noch die unvermeidlichen Verderbnisse durch Flüchtigkeit der Abschreiber,
sowie zufällige äußere Beschädigungen der Handschriften. Ein derartiger Text,
freilich später noch mit manchen specifisch tendenziösen Aenderungen versehen, ist
uns noch in dem Pentateuch der Samaritaner eihalten, und die griechische
Übersetzung reflcctnt häufig ganz ähnliche Entstellungen, während die späteren
Juden, als sie einmal einen o>ficiellcn Text sanctionirte". glücklicherweise für
den Pentateuch grade eine sehr gute Handschrift auswählte". In Alex,mdria
übersetzte man also ohne Arg und gewiß auch ohne Tendenz einen Vulgärtext,
wie er grade war. Man gab diesen treu nach der Auffassung der Zeit wieder,
wörtlich, aber ohne zu große Steifheit. Die Anthropomorphismen und sonstige
den damaligen Begriffen anstößige Dinge suchte man durch leichte Umschreibungen



') Allerdings behaupten einige alte Schriftsteller, der Pentateuch sei früher schon einmal,
wenn auch mangelhafte ins Griechische übersetzt, aber dies geschieht nur. um die unglücklichen
Annahmen möglich zu machen, daß Platon und andre Griechen ihre Weisheit von Mose ent-
lehnt hätten.
Grenzboten II. IM?.ki)

Schrift so unhaltbar sind, das? es durchaus nicht erlaubt ist, wenigstens einige
Einzelheiten aus ihr herauszunehmen, welche allenfalls wahr sein konnten, baß
wir mithin nicht auf ihre Autorität hin behaupten dürfen, die Uebersetzung deS
Pentateuchs sei überhaupt schon unter Philadelphus (284—246 v. Chr.) ge-
macht. Auch das Zeugnis; eines anderen jüdischen Schriftstellers, Aristobulus,
welcher sie in die Zeit dieses Königs verlegt, ist werchlos. da derselbe entweder
sehr spät lebte oder die Schrift ihm später untergeschoben ist; auf jeden Füll
ist diese vom Äristeasbrief abhängig. Dagegen benutzen unzweifelhaft mehre
Schriftsteller des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts unsere Pentateuchüver-
sctzung, so z. B. der jüdische Dichter Ezechiel, welcher nach Euripides Muster in
fließenden Versen ein Drama „Exagoge" (die Herausführung Israels aus
Aegypten) schrieb, von dem ein großer Theil noch vorhanden ist. Wir können
kaum zweifeln, daß die Übersetzung des Pentateuchs allerdings schon im dritten
Jahrhundert verfaßt ist.

Wie nun auch die näheren Umstände gewesen sein mögen, unter denen
dies geschehen ist, jedenfalls ist sie ein höchst ehrenwerthes Werk, welches wir
um so mehr, bewundern müssen, als das Unternehmen, ein großes Lues zu über¬
setzen, damals etwas absolut Neues war. Vermuthlich ist dies überhaupt die
erste Übersetzung eines Buches.*) Wir haben dasselbe unzweifelhaft als eine
Gemeinde-, acht als eine Privatsache anzusehen. Man übertrug den vorliegen«
den Text so. daß er ih» den Begriffen und Bedürfnissen der Zeit gemäß mög¬
lichst ersetzen konnte. Dieser Text war freilich kein reiner. In jenen Jahr¬
hunderten Schenie man sich nämlich selbst in Palästina noch nicht, allerlei
wirkliche und vermeintliche Schwierigkeiten und Anstöße in den heiligen Schriften
durch kleine Aenderungen, Zusätze und Weglassungen zu beseitigen, und dazu
kamen noch die unvermeidlichen Verderbnisse durch Flüchtigkeit der Abschreiber,
sowie zufällige äußere Beschädigungen der Handschriften. Ein derartiger Text,
freilich später noch mit manchen specifisch tendenziösen Aenderungen versehen, ist
uns noch in dem Pentateuch der Samaritaner eihalten, und die griechische
Übersetzung reflcctnt häufig ganz ähnliche Entstellungen, während die späteren
Juden, als sie einmal einen o>ficiellcn Text sanctionirte». glücklicherweise für
den Pentateuch grade eine sehr gute Handschrift auswählte». In Alex,mdria
übersetzte man also ohne Arg und gewiß auch ohne Tendenz einen Vulgärtext,
wie er grade war. Man gab diesen treu nach der Auffassung der Zeit wieder,
wörtlich, aber ohne zu große Steifheit. Die Anthropomorphismen und sonstige
den damaligen Begriffen anstößige Dinge suchte man durch leichte Umschreibungen



') Allerdings behaupten einige alte Schriftsteller, der Pentateuch sei früher schon einmal,
wenn auch mangelhafte ins Griechische übersetzt, aber dies geschieht nur. um die unglücklichen
Annahmen möglich zu machen, daß Platon und andre Griechen ihre Weisheit von Mose ent-
lehnt hätten.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/149>, abgerufen am 22.07.2024.