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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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Geisteslebens der höchsten Classen, wie ihr im Grunde gleichfalls monotones
tägliches Leben immerhin etwas durch Kirchenbesuch und Lectüre geistlicher
Schriften unterbrochen wurde.

Denn noch immer ging es an den meisten Holen ziemlich einfach, wenig¬
stens langweilig genug zu. Wälsche Sänger und Musiker, Tänzer und Komö¬
dianten strömten zwar massenweise nach Deutschland ein und es gab bald keinen
noch so unbedeutenden Hof, an dem sie nicht willkommen gewesen wären. Auch
fehlte es nicht an Ringclrennen, Turnieren, Armbiustschießen und dergleichen
mehr, aber die fürstlichen Herren ließen sich nach Art des Großtürken Ver¬
gnügen vormachen, ohne selbst recht mitzumachen, und die Folge davon war,
daß sie sich je länger je mehr langweilten, obgleich es um sie herum immer
lauter zuging. Bankette und Gelage nach altem berüchtigten Stil, das Grausen
und der Spott der volirteren Ausländer, mußten als wirklicher Zeitvertreib
dienen und es ist keine Frage, daß zu keiner Zeit an den deutschen fürstlichen
Höfen so ungeheure Massen schwerer Speisen und schwerer Getränke, Bier und
Wein, vertilgt wurden wie damals. Zur Entschuldigung mochte dienen, daß es
Bürger und Bauer grade ebenso hielten und sich höchst behaglich dabei zu be¬
finden vermeinten.

Eine einzige wahre Leidenschaft konnte diese trägen Seelen und Leiber auf
Tage und Wochen in Fluß bringen: die Jagd, die grade in dieser Zuk ihre
eigentlichen Orgien auf deutschem Boden feierte. Nicht umsonst datiren von
damals her jene polternden Jnvectiven gegen den "Iagdtcufel", denn der leib¬
haftige Gottseibeiuns, der ja überall umging, konnte allein eine solche wahn¬
sinnige und selbstmörderische Versehrung gutmüthiger und behaglicher Naturen
in infernalische Nimrode und Hackelberge bewirken. Nicht umsonst auch hat
unsere Volkssage die äußere Staffage ihres wilden Jägers durchgängig grade
dem Costüme dieser Zeit entlehnt. Freilich bedürfte jenes faule Schlemmen,
jene riesenhaften Portionen von Fleisch und Bier auch eines diätetischen Gegen¬
gewichtes, um die Menschen dieser Tage nicht Schoa in ihrer vollsafligsten Zeit
jäh in die Grube zu stürzen, und dieses Gegengewicht waren die Strapazen des
Waidwerks, die sich von der Auerhahnbalz bei dem frostigen Morgengrauen der
Nachwinter- und Vorfrüchlingstage. durch die Hirsch- und Sauhatzen des Hoch¬
sommers bis zu der Wolfsjagd beim erhielt Schneefall mit wenigen Pausen
hinzogen.

Im Ganzen aber gab es nur wenige unter den Herren der Zeit, die nicht
mit sich und der Welt, einige strittige Punkte abgerechnet, gründlich zufrieden
gewesen wären. Ein solches rein negatives Dasein ohne große Leidenschaften,
selbst ohne solche, die nur dem wilden Sinnengenuß dienen, hat ja von jeher
in unserer Volksart großen Anklang gefunden. Es ist im Grunde das Haupt¬
ingredienz der viclgemhmten deutschen Gemüthlichkeit und insofern sind auch


Geisteslebens der höchsten Classen, wie ihr im Grunde gleichfalls monotones
tägliches Leben immerhin etwas durch Kirchenbesuch und Lectüre geistlicher
Schriften unterbrochen wurde.

Denn noch immer ging es an den meisten Holen ziemlich einfach, wenig¬
stens langweilig genug zu. Wälsche Sänger und Musiker, Tänzer und Komö¬
dianten strömten zwar massenweise nach Deutschland ein und es gab bald keinen
noch so unbedeutenden Hof, an dem sie nicht willkommen gewesen wären. Auch
fehlte es nicht an Ringclrennen, Turnieren, Armbiustschießen und dergleichen
mehr, aber die fürstlichen Herren ließen sich nach Art des Großtürken Ver¬
gnügen vormachen, ohne selbst recht mitzumachen, und die Folge davon war,
daß sie sich je länger je mehr langweilten, obgleich es um sie herum immer
lauter zuging. Bankette und Gelage nach altem berüchtigten Stil, das Grausen
und der Spott der volirteren Ausländer, mußten als wirklicher Zeitvertreib
dienen und es ist keine Frage, daß zu keiner Zeit an den deutschen fürstlichen
Höfen so ungeheure Massen schwerer Speisen und schwerer Getränke, Bier und
Wein, vertilgt wurden wie damals. Zur Entschuldigung mochte dienen, daß es
Bürger und Bauer grade ebenso hielten und sich höchst behaglich dabei zu be¬
finden vermeinten.

Eine einzige wahre Leidenschaft konnte diese trägen Seelen und Leiber auf
Tage und Wochen in Fluß bringen: die Jagd, die grade in dieser Zuk ihre
eigentlichen Orgien auf deutschem Boden feierte. Nicht umsonst datiren von
damals her jene polternden Jnvectiven gegen den „Iagdtcufel", denn der leib¬
haftige Gottseibeiuns, der ja überall umging, konnte allein eine solche wahn¬
sinnige und selbstmörderische Versehrung gutmüthiger und behaglicher Naturen
in infernalische Nimrode und Hackelberge bewirken. Nicht umsonst auch hat
unsere Volkssage die äußere Staffage ihres wilden Jägers durchgängig grade
dem Costüme dieser Zeit entlehnt. Freilich bedürfte jenes faule Schlemmen,
jene riesenhaften Portionen von Fleisch und Bier auch eines diätetischen Gegen¬
gewichtes, um die Menschen dieser Tage nicht Schoa in ihrer vollsafligsten Zeit
jäh in die Grube zu stürzen, und dieses Gegengewicht waren die Strapazen des
Waidwerks, die sich von der Auerhahnbalz bei dem frostigen Morgengrauen der
Nachwinter- und Vorfrüchlingstage. durch die Hirsch- und Sauhatzen des Hoch¬
sommers bis zu der Wolfsjagd beim erhielt Schneefall mit wenigen Pausen
hinzogen.

Im Ganzen aber gab es nur wenige unter den Herren der Zeit, die nicht
mit sich und der Welt, einige strittige Punkte abgerechnet, gründlich zufrieden
gewesen wären. Ein solches rein negatives Dasein ohne große Leidenschaften,
selbst ohne solche, die nur dem wilden Sinnengenuß dienen, hat ja von jeher
in unserer Volksart großen Anklang gefunden. Es ist im Grunde das Haupt¬
ingredienz der viclgemhmten deutschen Gemüthlichkeit und insofern sind auch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/12>, abgerufen am 22.07.2024.