Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur Kritik des goetheschen Textes.

Michael Bcruays "Ueber Kritik und Geschichte des goetheschen Textes." Berlin,
S. Dümmler. 18 KL.

M, Bernays hat in der vorstehenden S-brise nicht etwa einen Beitrag zur
Kritik des goetheschen Textes geliefert, sondern die Kritik, welche diesen Namen
Verdient, erst begründet und die bisherige bodenlose Kritik beseitigt.

In methodisch sicherer Weise hat Bernays die Geschichte des >goetheschen
Textes erschlossen, diejenigen Nachdrucke aufgezeigt, aus welchen die falschen
Lesarten und Textverderbnisse gleich in die erste Sammlung der goetheschen
Werte übergegangen sind, sowie neue FeKler aus dem Nachdruck dieser ersten
Sammlung in die spätere" Ausgaben. Mit diese" genauen Nachweisungen hat
Bernays zugleich den Beweis geliefert, daß diese eingerissenen Abweichungen
von den ersten Einzelausgaben, diese fortgepflanzten Entstellungen des Urtextes
nicht etwa nachträgliche Aenderungen von Goethe selbst sind. Denn sie finden
sich ja zuerst in Nachdrucker, an deren Redaction der Dichter selbst gar keinen
Antheil hatte, und sind in die von ihm ausgegangene Sammlung seiner Werte
nur dadurch gekommen, daß er dem Setzen der letzteren arglos diese vorhan¬
denen Nachdrucke zu Grunde legen ließ, ohne sie an andern Stellen zu revi-
diren, als an solchen, wo er sein Original umänderte, einzelne Theile tilgte
oder anders ausführte, oder neue hinzudichtete. Hingegen bei Abweichungen
die den Sinn schwächen,/ den Ausdruck des Originals entstellen, kann von nun
an der Kritiker das Bedenken, ob es nicht doch etwa absichtliche Aenderungen,
des Dichters selbst seien, sich keinen Augenblick mehr beigehen lassen, seitdem
sie Von Bernays nachgewiesen sind als vor diese" rechtmäßigen Ausgaben
bereits vorhandene Druckfehler oder Correctoreingriffe der Nachdrucke, hier der,
einen oder der andern Auflage des himvurgschen Nachdrucks, die der ersten
rechtmäßigen Sammlung der Werke zu Grund gelegt worden, dort des fehler¬
vollen vierbändigen Nachdrucks der ersten Sammlung, welchen Göschen ohne
Goethes Wissen neben derselben fertigen ließ, und dessen Verderbnisse wieder in
die cottaschen Ausgaben übergingen. Bernays thut ferner ebenso unwiderleg-
lich dar, daß die erste cottasche Ausgabe der Werke diesen aufgenommenen
Fehlern weitere ihres Setzers und Correctors hinzugefügt hat. Hierauf giebt
er eine kritisch bestimmte Charakteristik der zweiten cottaschen Ausgabe und der
Erweiterung von Textschäden in derselben. Endlich, daß zur Heistellung des
Goethetextes die Ausgaben der Werke alle noch der Reinigung bedürfen, und
dieselbe nicht nur bei den Jugeuddichtungen durch Vergleichung mit den ursprüng¬
lichen Einzelausgabe" finden tonnen und müssen, sondern gleich sehr auch bei


Zur Kritik des goetheschen Textes.

Michael Bcruays „Ueber Kritik und Geschichte des goetheschen Textes." Berlin,
S. Dümmler. 18 KL.

M, Bernays hat in der vorstehenden S-brise nicht etwa einen Beitrag zur
Kritik des goetheschen Textes geliefert, sondern die Kritik, welche diesen Namen
Verdient, erst begründet und die bisherige bodenlose Kritik beseitigt.

In methodisch sicherer Weise hat Bernays die Geschichte des >goetheschen
Textes erschlossen, diejenigen Nachdrucke aufgezeigt, aus welchen die falschen
Lesarten und Textverderbnisse gleich in die erste Sammlung der goetheschen
Werte übergegangen sind, sowie neue FeKler aus dem Nachdruck dieser ersten
Sammlung in die spätere» Ausgaben. Mit diese» genauen Nachweisungen hat
Bernays zugleich den Beweis geliefert, daß diese eingerissenen Abweichungen
von den ersten Einzelausgaben, diese fortgepflanzten Entstellungen des Urtextes
nicht etwa nachträgliche Aenderungen von Goethe selbst sind. Denn sie finden
sich ja zuerst in Nachdrucker, an deren Redaction der Dichter selbst gar keinen
Antheil hatte, und sind in die von ihm ausgegangene Sammlung seiner Werte
nur dadurch gekommen, daß er dem Setzen der letzteren arglos diese vorhan¬
denen Nachdrucke zu Grunde legen ließ, ohne sie an andern Stellen zu revi-
diren, als an solchen, wo er sein Original umänderte, einzelne Theile tilgte
oder anders ausführte, oder neue hinzudichtete. Hingegen bei Abweichungen
die den Sinn schwächen,/ den Ausdruck des Originals entstellen, kann von nun
an der Kritiker das Bedenken, ob es nicht doch etwa absichtliche Aenderungen,
des Dichters selbst seien, sich keinen Augenblick mehr beigehen lassen, seitdem
sie Von Bernays nachgewiesen sind als vor diese» rechtmäßigen Ausgaben
bereits vorhandene Druckfehler oder Correctoreingriffe der Nachdrucke, hier der,
einen oder der andern Auflage des himvurgschen Nachdrucks, die der ersten
rechtmäßigen Sammlung der Werke zu Grund gelegt worden, dort des fehler¬
vollen vierbändigen Nachdrucks der ersten Sammlung, welchen Göschen ohne
Goethes Wissen neben derselben fertigen ließ, und dessen Verderbnisse wieder in
die cottaschen Ausgaben übergingen. Bernays thut ferner ebenso unwiderleg-
lich dar, daß die erste cottasche Ausgabe der Werke diesen aufgenommenen
Fehlern weitere ihres Setzers und Correctors hinzugefügt hat. Hierauf giebt
er eine kritisch bestimmte Charakteristik der zweiten cottaschen Ausgabe und der
Erweiterung von Textschäden in derselben. Endlich, daß zur Heistellung des
Goethetextes die Ausgaben der Werke alle noch der Reinigung bedürfen, und
dieselbe nicht nur bei den Jugeuddichtungen durch Vergleichung mit den ursprüng¬
lichen Einzelausgabe» finden tonnen und müssen, sondern gleich sehr auch bei


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0110" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/190804"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Zur Kritik des goetheschen Textes.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_338"> Michael Bcruays &#x201E;Ueber Kritik und Geschichte des goetheschen Textes." Berlin,<lb/>
S. Dümmler. 18 KL.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_339"> M, Bernays hat in der vorstehenden S-brise nicht etwa einen Beitrag zur<lb/>
Kritik des goetheschen Textes geliefert, sondern die Kritik, welche diesen Namen<lb/>
Verdient, erst begründet und die bisherige bodenlose Kritik beseitigt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_340" next="#ID_341"> In methodisch sicherer Weise hat Bernays die Geschichte des &gt;goetheschen<lb/>
Textes erschlossen, diejenigen Nachdrucke aufgezeigt, aus welchen die falschen<lb/>
Lesarten und Textverderbnisse gleich in die erste Sammlung der goetheschen<lb/>
Werte übergegangen sind, sowie neue FeKler aus dem Nachdruck dieser ersten<lb/>
Sammlung in die spätere» Ausgaben. Mit diese» genauen Nachweisungen hat<lb/>
Bernays zugleich den Beweis geliefert, daß diese eingerissenen Abweichungen<lb/>
von den ersten Einzelausgaben, diese fortgepflanzten Entstellungen des Urtextes<lb/>
nicht etwa nachträgliche Aenderungen von Goethe selbst sind. Denn sie finden<lb/>
sich ja zuerst in Nachdrucker, an deren Redaction der Dichter selbst gar keinen<lb/>
Antheil hatte, und sind in die von ihm ausgegangene Sammlung seiner Werte<lb/>
nur dadurch gekommen, daß er dem Setzen der letzteren arglos diese vorhan¬<lb/>
denen Nachdrucke zu Grunde legen ließ, ohne sie an andern Stellen zu revi-<lb/>
diren, als an solchen, wo er sein Original umänderte, einzelne Theile tilgte<lb/>
oder anders ausführte, oder neue hinzudichtete.  Hingegen bei Abweichungen<lb/>
die den Sinn schwächen,/ den Ausdruck des Originals entstellen, kann von nun<lb/>
an der Kritiker das Bedenken, ob es nicht doch etwa absichtliche Aenderungen,<lb/>
des Dichters selbst seien, sich keinen Augenblick mehr beigehen lassen, seitdem<lb/>
sie Von Bernays nachgewiesen sind als vor diese» rechtmäßigen Ausgaben<lb/>
bereits vorhandene Druckfehler oder Correctoreingriffe der Nachdrucke, hier der,<lb/>
einen oder der andern Auflage des himvurgschen Nachdrucks, die der ersten<lb/>
rechtmäßigen Sammlung der Werke zu Grund gelegt worden, dort des fehler¬<lb/>
vollen vierbändigen Nachdrucks der ersten Sammlung, welchen Göschen ohne<lb/>
Goethes Wissen neben derselben fertigen ließ, und dessen Verderbnisse wieder in<lb/>
die cottaschen Ausgaben übergingen. Bernays thut ferner ebenso unwiderleg-<lb/>
lich dar, daß die erste cottasche Ausgabe der Werke diesen aufgenommenen<lb/>
Fehlern weitere ihres Setzers und Correctors hinzugefügt hat. Hierauf giebt<lb/>
er eine kritisch bestimmte Charakteristik der zweiten cottaschen Ausgabe und der<lb/>
Erweiterung von Textschäden in derselben.  Endlich, daß zur Heistellung des<lb/>
Goethetextes die Ausgaben der Werke alle noch der Reinigung bedürfen, und<lb/>
dieselbe nicht nur bei den Jugeuddichtungen durch Vergleichung mit den ursprüng¬<lb/>
lichen Einzelausgabe» finden tonnen und müssen, sondern gleich sehr auch bei</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0110] Zur Kritik des goetheschen Textes. Michael Bcruays „Ueber Kritik und Geschichte des goetheschen Textes." Berlin, S. Dümmler. 18 KL. M, Bernays hat in der vorstehenden S-brise nicht etwa einen Beitrag zur Kritik des goetheschen Textes geliefert, sondern die Kritik, welche diesen Namen Verdient, erst begründet und die bisherige bodenlose Kritik beseitigt. In methodisch sicherer Weise hat Bernays die Geschichte des >goetheschen Textes erschlossen, diejenigen Nachdrucke aufgezeigt, aus welchen die falschen Lesarten und Textverderbnisse gleich in die erste Sammlung der goetheschen Werte übergegangen sind, sowie neue FeKler aus dem Nachdruck dieser ersten Sammlung in die spätere» Ausgaben. Mit diese» genauen Nachweisungen hat Bernays zugleich den Beweis geliefert, daß diese eingerissenen Abweichungen von den ersten Einzelausgaben, diese fortgepflanzten Entstellungen des Urtextes nicht etwa nachträgliche Aenderungen von Goethe selbst sind. Denn sie finden sich ja zuerst in Nachdrucker, an deren Redaction der Dichter selbst gar keinen Antheil hatte, und sind in die von ihm ausgegangene Sammlung seiner Werte nur dadurch gekommen, daß er dem Setzen der letzteren arglos diese vorhan¬ denen Nachdrucke zu Grunde legen ließ, ohne sie an andern Stellen zu revi- diren, als an solchen, wo er sein Original umänderte, einzelne Theile tilgte oder anders ausführte, oder neue hinzudichtete. Hingegen bei Abweichungen die den Sinn schwächen,/ den Ausdruck des Originals entstellen, kann von nun an der Kritiker das Bedenken, ob es nicht doch etwa absichtliche Aenderungen, des Dichters selbst seien, sich keinen Augenblick mehr beigehen lassen, seitdem sie Von Bernays nachgewiesen sind als vor diese» rechtmäßigen Ausgaben bereits vorhandene Druckfehler oder Correctoreingriffe der Nachdrucke, hier der, einen oder der andern Auflage des himvurgschen Nachdrucks, die der ersten rechtmäßigen Sammlung der Werke zu Grund gelegt worden, dort des fehler¬ vollen vierbändigen Nachdrucks der ersten Sammlung, welchen Göschen ohne Goethes Wissen neben derselben fertigen ließ, und dessen Verderbnisse wieder in die cottaschen Ausgaben übergingen. Bernays thut ferner ebenso unwiderleg- lich dar, daß die erste cottasche Ausgabe der Werke diesen aufgenommenen Fehlern weitere ihres Setzers und Correctors hinzugefügt hat. Hierauf giebt er eine kritisch bestimmte Charakteristik der zweiten cottaschen Ausgabe und der Erweiterung von Textschäden in derselben. Endlich, daß zur Heistellung des Goethetextes die Ausgaben der Werke alle noch der Reinigung bedürfen, und dieselbe nicht nur bei den Jugeuddichtungen durch Vergleichung mit den ursprüng¬ lichen Einzelausgabe» finden tonnen und müssen, sondern gleich sehr auch bei

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/110
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/110>, abgerufen am 24.08.2024.