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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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welcher er wenigstens mit Petrus in Rom zusammentraf, um dann gemeinsam
mit ihm den Märtyrertod zu erleiden.

Allein die zweite Gefangenschaft des Paulus ist eine Hypothese, die völlig
in der Luft schwebt. Der Schluß der Apostelgeschichte ist bekanntlich in selt¬
samer Weise abgebrochen. Sie erzählt die Ankunft des Apostels,' die man in
das Frühjahr 62 setzt, sie erzählt, wie er in leichter Gefangenschaft gehalten,
noch zwei Jahre in der Gemeinde gewirkt habe. Dann bricht sie ab. Da
nun dieser angegebene Termin grade mit der neronischen Christenverfolgung im
Jahr 64 zusammentrifft, so hat man darin -- gleichviel aus welchem Grunde
eine bestimmtere Angabe fehlt -- seit alter Zeit ein indirectes Zeugniß dafür
gesehen, daß der Apostel Paulus diese furchtbare Katastrophe nicht überlebt hat.
In der That ist nicht wohl zu denken, daß ein so angesehenes, auch den Römern
so bekanntes Haupt der Gemeinde damals verschont geblieben sei. Hört die zu¬
verlässige Kunde vom Apostel eben an diesem verhängnisvollen Punkte auf, so
sind wir berechtigt anzunehmen, er habe das Loos seiner Glaubensgenossen im
Circus des Nero getheilt. Auch weiß die Geschichte nichts von einer zweiten
Verfolgung, die im Jahre 67 stattgefunden hätte. Vielmehr ist diese selbst nur
erfunden, um die angebliche zweite Gefangenschaft des Apostels zum Abschluß
zu bringen und die Zeit für einen gemeinschaftlichen und gleichzeitigen Tod bei¬
der Apostel zu finden.

Für diese zweite Gefangenschaft des Paulus aber fehlt nun eben jede zu¬
reichende Begründung. Um die erste Notiz davon zu finden, müssen wir bereits
ins vierte Jahrhundert herabsteigen! Eusebius erwähnt sie zuerst, aber wir er¬
fahren aus ihm zugleich, welchem Interesse diese ganze Annahme entsprungen ist.
Es existirten nämlich Briefe, die man dem Paulus zuschrieb, die er in Rom
während seiner Gefangenschaft verfaßt haben sollte, die aber aus die Zeit seiner
ersten Gefangenschaft nicht passen wollten. Es sind dies die beiden Briefe an
Timotheus und der Brief an Titus. Man nahm also an, daß er von Rom
befreit, zunächst seinen Vorsatz, nach Spanien zu gehen, ausgeführt, dann eine
neue Reise nach Kleinasien gemacht und dort die inzwischen veränderten kirchlichen
Verhältnisse kennen gelernt habe, über welche er sich in diesen Briefen verbrei¬
tet. Nun gehört es aber seit Schleiermacher zu den gesichertsten Resultaten der
Kritik, daß die Briefe an Timotheus und Titus, die sogenannten Hirtenbriefe,
welche weit später entwickelte Lehrmeinungen und kirchliche Verhältnisse voraus¬
setzen, nicht von Paulus verfaßt sind, sondern dem apostolischen Zeitalter an¬
gehören. Dieser Umstand, verbunden mit jener wohl so späten Bezeugung,
machen eine zweite Gefangenschaft des Paulus durchaus unwahrscheinlich. Man
nahm sie an, weil man dadurch eine bequeme Zeit gewann, in die man so
manches Apokryphe, was sich an die Geschichte der Apostel ansaugte, einreihen
konnte.


welcher er wenigstens mit Petrus in Rom zusammentraf, um dann gemeinsam
mit ihm den Märtyrertod zu erleiden.

Allein die zweite Gefangenschaft des Paulus ist eine Hypothese, die völlig
in der Luft schwebt. Der Schluß der Apostelgeschichte ist bekanntlich in selt¬
samer Weise abgebrochen. Sie erzählt die Ankunft des Apostels,' die man in
das Frühjahr 62 setzt, sie erzählt, wie er in leichter Gefangenschaft gehalten,
noch zwei Jahre in der Gemeinde gewirkt habe. Dann bricht sie ab. Da
nun dieser angegebene Termin grade mit der neronischen Christenverfolgung im
Jahr 64 zusammentrifft, so hat man darin — gleichviel aus welchem Grunde
eine bestimmtere Angabe fehlt — seit alter Zeit ein indirectes Zeugniß dafür
gesehen, daß der Apostel Paulus diese furchtbare Katastrophe nicht überlebt hat.
In der That ist nicht wohl zu denken, daß ein so angesehenes, auch den Römern
so bekanntes Haupt der Gemeinde damals verschont geblieben sei. Hört die zu¬
verlässige Kunde vom Apostel eben an diesem verhängnisvollen Punkte auf, so
sind wir berechtigt anzunehmen, er habe das Loos seiner Glaubensgenossen im
Circus des Nero getheilt. Auch weiß die Geschichte nichts von einer zweiten
Verfolgung, die im Jahre 67 stattgefunden hätte. Vielmehr ist diese selbst nur
erfunden, um die angebliche zweite Gefangenschaft des Apostels zum Abschluß
zu bringen und die Zeit für einen gemeinschaftlichen und gleichzeitigen Tod bei¬
der Apostel zu finden.

Für diese zweite Gefangenschaft des Paulus aber fehlt nun eben jede zu¬
reichende Begründung. Um die erste Notiz davon zu finden, müssen wir bereits
ins vierte Jahrhundert herabsteigen! Eusebius erwähnt sie zuerst, aber wir er¬
fahren aus ihm zugleich, welchem Interesse diese ganze Annahme entsprungen ist.
Es existirten nämlich Briefe, die man dem Paulus zuschrieb, die er in Rom
während seiner Gefangenschaft verfaßt haben sollte, die aber aus die Zeit seiner
ersten Gefangenschaft nicht passen wollten. Es sind dies die beiden Briefe an
Timotheus und der Brief an Titus. Man nahm also an, daß er von Rom
befreit, zunächst seinen Vorsatz, nach Spanien zu gehen, ausgeführt, dann eine
neue Reise nach Kleinasien gemacht und dort die inzwischen veränderten kirchlichen
Verhältnisse kennen gelernt habe, über welche er sich in diesen Briefen verbrei¬
tet. Nun gehört es aber seit Schleiermacher zu den gesichertsten Resultaten der
Kritik, daß die Briefe an Timotheus und Titus, die sogenannten Hirtenbriefe,
welche weit später entwickelte Lehrmeinungen und kirchliche Verhältnisse voraus¬
setzen, nicht von Paulus verfaßt sind, sondern dem apostolischen Zeitalter an¬
gehören. Dieser Umstand, verbunden mit jener wohl so späten Bezeugung,
machen eine zweite Gefangenschaft des Paulus durchaus unwahrscheinlich. Man
nahm sie an, weil man dadurch eine bequeme Zeit gewann, in die man so
manches Apokryphe, was sich an die Geschichte der Apostel ansaugte, einreihen
konnte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/96>, abgerufen am 15.01.2025.