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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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burger Kirchhofslöwen), und nicht etwa der große Thorwaldsen, von denen die
Entstehung einer specifisch dänischen oder nordischen Kunstlerschule datirt.

Für dieses letztere Factum können wir uns auf einen Aufsah in der Juni¬
nummer der "Nordist Tidskrift for Politik, Ekonomi och Litteratur" berufen, welche
Professor Graf G. K. Hamilton in Lund im Interesse des activen Skandinavis-
mus herausgiebt. Der Aussatz, von einem Dänen, Fr. Hammerich, anscheinend
einem Geistlichen, verfaßt, führt den Titel: "Unser Platz unter den Cultur"
Völkern". Er liegt also recht eigentlich und mehr als mancher unmittelbar strei.
tende Tagesartikel, in der Richtung des deutsch-dänischen Kampfes. Dessen
macht er denn auch nicht im mindesten Hehl. Das Bedürfniß, die dänisch-nor¬
dische Cultur als eine selbständige, eigenthümliche, ohne fremden Beistand
lebensfähige nachzuweisen, wird hier hauptsächlich auf Kosten der deutschen Cul¬
tur befriedigt, die, wie es scheint, seit den schönen Tagen, da Baggesen und
Oehlenschläger ihr noch gelegentlich unter die Arme griffen, nichts als Rückschritte
gemacht hat.

"Die geistige Bewegung in Deutschland," schreibt Herr Hammerich getrost
in die Welt hinein, "ist sichtlich auf dem Rückgang; bei uns dagegen ist
sie im Fortschritt begriffen." Dies soll sich nicht etwa vorzugsweise oder aus-
schließlich auf die speculativen Wissenschaften beziehen, denn "die eigentliche
Philosophie", räumt er ein, scheine die Sache seiner Landsleute so recht nicht
zu sein. Dem Herausgeber der NordisÜ Tidskrift, einem Antigermanen von in
Schweden seltener Heftigkeit, hat er damit übrigens schon viel zu viel zugestanden.
Graf Hamilton bemerkt in einer Anmerkung, die nordischen Völker hätten ganz
im Gegentheil hohe Anlagen für die Spekulation, Anlagen, welche um so werth¬
voller seien, als sie nicht von der abstrusen deutschen Art wären; wenn man
sich einmal von unnöthiger Deutschereien (Tyskerier) freimachen wollte, so
würden dieselben auch bald in echt nordischer Klarheit und Reinheit hervortreten.
Ja es strahlten bereits am philosophischen Himmel der Zeit zwei Sterne ersten
Ranges, Biberg und Boström, die man in Dänemark und Norwegen nur des¬
halb nicht kenne, weil man sich da immer noch zu sehr mit der deutschen Philo¬
sophie einlasse. Es wird also von jetzt an ohne Zweifel zu den Lebensregeln
des Skandinavismus gehören, die Lectüre Kants und Hegels so sorgfältig zu
meiden wie etwa die Schriften der jesuitischen Sittenlehrer.

In dieser Richtung hat die ezclusiv nationale Propaganda freilich noch sehr
viel zu thun. Sie muß das Deutsche aus den höheren Schulen auszutreiben
suchen, in denen man sich gedankenloscrweise noch immer mit der Sprache
und Literatur des "Nationalfeindes" befaßt. Sie muß sehen, wie sie es ändert,
daß alle Bibliotheken "in deutschem Stil angelegt" sind und "die meisten Bü¬
cher aus Leipzig verschrieben werden". Mit der Verdrängung der deutschen
Lettern durch lateinische, die in Dänemark auch noch erst durchzuführen ist, hat


burger Kirchhofslöwen), und nicht etwa der große Thorwaldsen, von denen die
Entstehung einer specifisch dänischen oder nordischen Kunstlerschule datirt.

Für dieses letztere Factum können wir uns auf einen Aufsah in der Juni¬
nummer der „Nordist Tidskrift for Politik, Ekonomi och Litteratur" berufen, welche
Professor Graf G. K. Hamilton in Lund im Interesse des activen Skandinavis-
mus herausgiebt. Der Aussatz, von einem Dänen, Fr. Hammerich, anscheinend
einem Geistlichen, verfaßt, führt den Titel: „Unser Platz unter den Cultur«
Völkern". Er liegt also recht eigentlich und mehr als mancher unmittelbar strei.
tende Tagesartikel, in der Richtung des deutsch-dänischen Kampfes. Dessen
macht er denn auch nicht im mindesten Hehl. Das Bedürfniß, die dänisch-nor¬
dische Cultur als eine selbständige, eigenthümliche, ohne fremden Beistand
lebensfähige nachzuweisen, wird hier hauptsächlich auf Kosten der deutschen Cul¬
tur befriedigt, die, wie es scheint, seit den schönen Tagen, da Baggesen und
Oehlenschläger ihr noch gelegentlich unter die Arme griffen, nichts als Rückschritte
gemacht hat.

„Die geistige Bewegung in Deutschland," schreibt Herr Hammerich getrost
in die Welt hinein, „ist sichtlich auf dem Rückgang; bei uns dagegen ist
sie im Fortschritt begriffen." Dies soll sich nicht etwa vorzugsweise oder aus-
schließlich auf die speculativen Wissenschaften beziehen, denn „die eigentliche
Philosophie", räumt er ein, scheine die Sache seiner Landsleute so recht nicht
zu sein. Dem Herausgeber der NordisÜ Tidskrift, einem Antigermanen von in
Schweden seltener Heftigkeit, hat er damit übrigens schon viel zu viel zugestanden.
Graf Hamilton bemerkt in einer Anmerkung, die nordischen Völker hätten ganz
im Gegentheil hohe Anlagen für die Spekulation, Anlagen, welche um so werth¬
voller seien, als sie nicht von der abstrusen deutschen Art wären; wenn man
sich einmal von unnöthiger Deutschereien (Tyskerier) freimachen wollte, so
würden dieselben auch bald in echt nordischer Klarheit und Reinheit hervortreten.
Ja es strahlten bereits am philosophischen Himmel der Zeit zwei Sterne ersten
Ranges, Biberg und Boström, die man in Dänemark und Norwegen nur des¬
halb nicht kenne, weil man sich da immer noch zu sehr mit der deutschen Philo¬
sophie einlasse. Es wird also von jetzt an ohne Zweifel zu den Lebensregeln
des Skandinavismus gehören, die Lectüre Kants und Hegels so sorgfältig zu
meiden wie etwa die Schriften der jesuitischen Sittenlehrer.

In dieser Richtung hat die ezclusiv nationale Propaganda freilich noch sehr
viel zu thun. Sie muß das Deutsche aus den höheren Schulen auszutreiben
suchen, in denen man sich gedankenloscrweise noch immer mit der Sprache
und Literatur des „Nationalfeindes" befaßt. Sie muß sehen, wie sie es ändert,
daß alle Bibliotheken „in deutschem Stil angelegt" sind und „die meisten Bü¬
cher aus Leipzig verschrieben werden". Mit der Verdrängung der deutschen
Lettern durch lateinische, die in Dänemark auch noch erst durchzuführen ist, hat


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/68>, abgerufen am 15.01.2025.