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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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aufgäbe Winckelmanns haben warten können oder höchstens irgendwo als
Reliquen einen Abdruck verdient haben; für eine Sonderaufgabe der ganzen
Schrift geben sie keinen hinlänglichen Grund. Denn wie viel auch Winckel-
mann selber auf diese gehalten hat, so haben doch schon die Zeitgenosse" sie
am kühlsten von allen seinen Arbeiten aufgenommen, und dieses Urtheil ist mit
vollem Rechte bestehen geblieben. Die oben erwähnte Kritik Justis über den¬
jenigen Abschnitt von Winckelmanns Erstlingsschrift, der die Allegorie angeht,
wo sich "die breiteste Schattenseite" der Arbeit gelagert hat, gilt in allem We¬
sentlichen auch für unser Buch, das sich weniger in den Grundansch.ruungen
von jenen früheren Gedanken unterscheidet, als durch die Fülle der EinzelauS-
sührung, die eine ganz staunenswerthe Belesenheit verräth. Indem Winckel-
mann die Allegorie "im weitläuftigsten Verstände" nimmt als "Andeutung der
Begriffe durch Bilder und also als eine allgemeine Sprache, vornehmlich für
Künstlei", zieht er alle Personificationen. Symbole, Attribute u. s. w. mit in
den Kreis der Betrachtung, auch solche Gegenstände und Andeutungen, welche
ganz einfach zur Handlung gehörten. Wenn z. B. Grudo Nein neben seiner
büßenden Magdalene ein paar weiße Rüben malt, so sind ihm dieselben eine
Allegorie ihres strengen Lebens, und wenn Raphael in einer Darstellung der
Pest eine Figur sich die Nase zuhalten läßt -- gewiß ein sehr natürliches
Motiv! -- so muß diese Figur eine Allegorie auf das Ansteckende der Krank¬
heit und den üblen Geruch der Kranken sein. Kein Wunder, wenn da die
ganzen Götter sich zu Allegorien verflachen, wenn Jupiter mit bräunlicher
Haut gemalt wird, nicht weil er ein kräftiger Mann ist. sondern well er die
Luft bedeutet, "welche, wenn sie von Blitzen schwanger ist, sich in dunkelen
Dünsten verhüllet zeiget, deren Bild gedachte Farbe des Jupiters zu sein scheinet".
Bon dergleichen Erklärungen wimmelt die ganze Schrift, und was schlimmer
^'t als eine Reihe von verfehlten Einzelheiten sein würde, der ganze Grund¬
gedanke ist ein falscher, ungesunder, untünstierischer. Vollends übel wird es,
wo das Gebiet der eigentlichen Allegorie in ihrer engeren Bedeutung betreten
'wird. Wir finden in mehren Capiteln unter verschiedenen Gesichtspunkten
Allegorien zusammengestellt aus Schriften und Kunstwerken der Alten und aus
neueren Bildern, ja das letzte Capitel bringt sogar neue Allegorien in Vor¬
schlag. Wie viele Besucher des Pcilazzo Barberini und seines prachtvollen
Saales mögen wohl ein Verständniß dafür haben, daß >in Deckengemälde Pierro
von Cortonas der Bär, welcher seine Jungen leckt, die Erziehung der Kinder
andeutet? Wer kann die Absicht errathen, wenn ein Steuerruder als Bild der
Reinheit gelten soll? -- weil nämlich die Griechen ein Sprichwort "reiner als
um Steuer" hatten! Leider heißt es hier mit Recht: je gelehrter je vettehrtcr.
und es ist zu bedauern, daß Winckelmanns seltne Gelehrsamkeit sich hier einmal in
den Dienst einer so geschmacklosen Zeitrichtung begeben hat. Auch ist er sich selbst


aufgäbe Winckelmanns haben warten können oder höchstens irgendwo als
Reliquen einen Abdruck verdient haben; für eine Sonderaufgabe der ganzen
Schrift geben sie keinen hinlänglichen Grund. Denn wie viel auch Winckel-
mann selber auf diese gehalten hat, so haben doch schon die Zeitgenosse» sie
am kühlsten von allen seinen Arbeiten aufgenommen, und dieses Urtheil ist mit
vollem Rechte bestehen geblieben. Die oben erwähnte Kritik Justis über den¬
jenigen Abschnitt von Winckelmanns Erstlingsschrift, der die Allegorie angeht,
wo sich „die breiteste Schattenseite" der Arbeit gelagert hat, gilt in allem We¬
sentlichen auch für unser Buch, das sich weniger in den Grundansch.ruungen
von jenen früheren Gedanken unterscheidet, als durch die Fülle der EinzelauS-
sührung, die eine ganz staunenswerthe Belesenheit verräth. Indem Winckel-
mann die Allegorie „im weitläuftigsten Verstände" nimmt als „Andeutung der
Begriffe durch Bilder und also als eine allgemeine Sprache, vornehmlich für
Künstlei", zieht er alle Personificationen. Symbole, Attribute u. s. w. mit in
den Kreis der Betrachtung, auch solche Gegenstände und Andeutungen, welche
ganz einfach zur Handlung gehörten. Wenn z. B. Grudo Nein neben seiner
büßenden Magdalene ein paar weiße Rüben malt, so sind ihm dieselben eine
Allegorie ihres strengen Lebens, und wenn Raphael in einer Darstellung der
Pest eine Figur sich die Nase zuhalten läßt — gewiß ein sehr natürliches
Motiv! — so muß diese Figur eine Allegorie auf das Ansteckende der Krank¬
heit und den üblen Geruch der Kranken sein. Kein Wunder, wenn da die
ganzen Götter sich zu Allegorien verflachen, wenn Jupiter mit bräunlicher
Haut gemalt wird, nicht weil er ein kräftiger Mann ist. sondern well er die
Luft bedeutet, „welche, wenn sie von Blitzen schwanger ist, sich in dunkelen
Dünsten verhüllet zeiget, deren Bild gedachte Farbe des Jupiters zu sein scheinet".
Bon dergleichen Erklärungen wimmelt die ganze Schrift, und was schlimmer
^'t als eine Reihe von verfehlten Einzelheiten sein würde, der ganze Grund¬
gedanke ist ein falscher, ungesunder, untünstierischer. Vollends übel wird es,
wo das Gebiet der eigentlichen Allegorie in ihrer engeren Bedeutung betreten
'wird. Wir finden in mehren Capiteln unter verschiedenen Gesichtspunkten
Allegorien zusammengestellt aus Schriften und Kunstwerken der Alten und aus
neueren Bildern, ja das letzte Capitel bringt sogar neue Allegorien in Vor¬
schlag. Wie viele Besucher des Pcilazzo Barberini und seines prachtvollen
Saales mögen wohl ein Verständniß dafür haben, daß >in Deckengemälde Pierro
von Cortonas der Bär, welcher seine Jungen leckt, die Erziehung der Kinder
andeutet? Wer kann die Absicht errathen, wenn ein Steuerruder als Bild der
Reinheit gelten soll? — weil nämlich die Griechen ein Sprichwort „reiner als
um Steuer" hatten! Leider heißt es hier mit Recht: je gelehrter je vettehrtcr.
und es ist zu bedauern, daß Winckelmanns seltne Gelehrsamkeit sich hier einmal in
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/511>, abgerufen am 15.01.2025.