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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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Ein Buch über das russische Heerwesen.

Preußens jüngste kriegerische Erfolge haben in beinahe allen europäischen
Staaten die Beschäftigung mit militärischen Fragen und Problemen auf die Tages¬
ordnung gesetzt; seit den Tagen Friedrichs des Großen und der Siege der fran¬
zösischen Revolutionscumee ist die Welt mit technisch-militärischen Dingen nicht
mehr so lebhaft beschäftigt gewesen, wie während der letzten vierzehn Monate.
Jedes neue Zeitungsblatt weiß von kriegerischen Neformversuchen und Reform-
Plänen zu erzählen, welche in Oestreich oder in Frankreich, jenseit des Mains
oder am mittelländischen Meere aufgetaucht sind und neben der journalistischen Be¬
schäftigung mit soldatischen Dingen zieht sich der breite Strom einer militärwissen-
schaftlichen Literatur, die auf Leser aus den verschiedensten Berufs- und Bil¬
dungsclassen rechnen kann, zumal in Norddeutschland, wo jeder Bürger zugleich
Soldat und als solcher an dem Stande der militärischen Einrichtungen in
den Nachbarstaaten persönlich interessirt ist. -- Diese Theilnahme hat sich vor¬
zugsweise der Armee Frankreichs, des Staats, von dem Deutschland in
erster Reihe die Gefährdung der Errungenschaften des vorigen Jahres zu er¬
warten hat, zugewendet, und dem gemäß besitzen wir bereits eine kleine, täg¬
lich wachsende Literatur über das Heerwesen und die kriegerische Organisation,
auf nvlche der dritte Napoleon sich stützt.

Frankreich ist, wenn auch der gefährlichste, doch nicht der einzige, vielleicht
nicht einmal der mächtigste unter den Nachbarn Preußens und Deutschlands.
Mindestens ebenso wichtig ist Nußland, bis zum Krimkriege der Schrecken des
deutschen Philisters, seit den Schlägen, welche seine Macht bei Inkermann und an
der Alma trafen, halbvergessen und für eine ziemlich große Anzahl Politiker mit
der Phrase "ein Koloß auf thönernen Füßen" abgethan. Und doch hat sich
das russische Reich seit den Tagen Von Sewastopol so vollständig verändert, daß es
selbst den genauesten seiner früheren Kenner zur terra ineoZmta, geworden ist.
Die Veränderungen, welche sich in der Organisation des russischen Heeres


Grenzboten III. 1867. 61
Ein Buch über das russische Heerwesen.

Preußens jüngste kriegerische Erfolge haben in beinahe allen europäischen
Staaten die Beschäftigung mit militärischen Fragen und Problemen auf die Tages¬
ordnung gesetzt; seit den Tagen Friedrichs des Großen und der Siege der fran¬
zösischen Revolutionscumee ist die Welt mit technisch-militärischen Dingen nicht
mehr so lebhaft beschäftigt gewesen, wie während der letzten vierzehn Monate.
Jedes neue Zeitungsblatt weiß von kriegerischen Neformversuchen und Reform-
Plänen zu erzählen, welche in Oestreich oder in Frankreich, jenseit des Mains
oder am mittelländischen Meere aufgetaucht sind und neben der journalistischen Be¬
schäftigung mit soldatischen Dingen zieht sich der breite Strom einer militärwissen-
schaftlichen Literatur, die auf Leser aus den verschiedensten Berufs- und Bil¬
dungsclassen rechnen kann, zumal in Norddeutschland, wo jeder Bürger zugleich
Soldat und als solcher an dem Stande der militärischen Einrichtungen in
den Nachbarstaaten persönlich interessirt ist. — Diese Theilnahme hat sich vor¬
zugsweise der Armee Frankreichs, des Staats, von dem Deutschland in
erster Reihe die Gefährdung der Errungenschaften des vorigen Jahres zu er¬
warten hat, zugewendet, und dem gemäß besitzen wir bereits eine kleine, täg¬
lich wachsende Literatur über das Heerwesen und die kriegerische Organisation,
auf nvlche der dritte Napoleon sich stützt.

Frankreich ist, wenn auch der gefährlichste, doch nicht der einzige, vielleicht
nicht einmal der mächtigste unter den Nachbarn Preußens und Deutschlands.
Mindestens ebenso wichtig ist Nußland, bis zum Krimkriege der Schrecken des
deutschen Philisters, seit den Schlägen, welche seine Macht bei Inkermann und an
der Alma trafen, halbvergessen und für eine ziemlich große Anzahl Politiker mit
der Phrase „ein Koloß auf thönernen Füßen" abgethan. Und doch hat sich
das russische Reich seit den Tagen Von Sewastopol so vollständig verändert, daß es
selbst den genauesten seiner früheren Kenner zur terra ineoZmta, geworden ist.
Die Veränderungen, welche sich in der Organisation des russischen Heeres


Grenzboten III. 1867. 61
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[0491] Ein Buch über das russische Heerwesen. Preußens jüngste kriegerische Erfolge haben in beinahe allen europäischen Staaten die Beschäftigung mit militärischen Fragen und Problemen auf die Tages¬ ordnung gesetzt; seit den Tagen Friedrichs des Großen und der Siege der fran¬ zösischen Revolutionscumee ist die Welt mit technisch-militärischen Dingen nicht mehr so lebhaft beschäftigt gewesen, wie während der letzten vierzehn Monate. Jedes neue Zeitungsblatt weiß von kriegerischen Neformversuchen und Reform- Plänen zu erzählen, welche in Oestreich oder in Frankreich, jenseit des Mains oder am mittelländischen Meere aufgetaucht sind und neben der journalistischen Be¬ schäftigung mit soldatischen Dingen zieht sich der breite Strom einer militärwissen- schaftlichen Literatur, die auf Leser aus den verschiedensten Berufs- und Bil¬ dungsclassen rechnen kann, zumal in Norddeutschland, wo jeder Bürger zugleich Soldat und als solcher an dem Stande der militärischen Einrichtungen in den Nachbarstaaten persönlich interessirt ist. — Diese Theilnahme hat sich vor¬ zugsweise der Armee Frankreichs, des Staats, von dem Deutschland in erster Reihe die Gefährdung der Errungenschaften des vorigen Jahres zu er¬ warten hat, zugewendet, und dem gemäß besitzen wir bereits eine kleine, täg¬ lich wachsende Literatur über das Heerwesen und die kriegerische Organisation, auf nvlche der dritte Napoleon sich stützt. Frankreich ist, wenn auch der gefährlichste, doch nicht der einzige, vielleicht nicht einmal der mächtigste unter den Nachbarn Preußens und Deutschlands. Mindestens ebenso wichtig ist Nußland, bis zum Krimkriege der Schrecken des deutschen Philisters, seit den Schlägen, welche seine Macht bei Inkermann und an der Alma trafen, halbvergessen und für eine ziemlich große Anzahl Politiker mit der Phrase „ein Koloß auf thönernen Füßen" abgethan. Und doch hat sich das russische Reich seit den Tagen Von Sewastopol so vollständig verändert, daß es selbst den genauesten seiner früheren Kenner zur terra ineoZmta, geworden ist. Die Veränderungen, welche sich in der Organisation des russischen Heeres Grenzboten III. 1867. 61

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/491>, abgerufen am 15.01.2025.