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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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regeln die Zahl der Lehrlinge in einem Gewerbe, um schädlichen Ueberfül¬
lungen vorzubeugen. Sie unterstützen Arbeiter in Fällen des Conflictes mit
Arbeitgebern. Sie regeln die Stunden der Arbeitszeit und der sonstigen Usancen
des Gewerbes. Einzelne Vereine verfolgen hierneben auch noch die allgemeine
und^ gewerbliche Ausbildung ihrer Angehörigen. Sie haben Gesellschaften zu
gegenseitiger Versicherung ihrer Werkzeuge gebildet. Vor mehren Jahren wurde
eine von der berühmten britischen Gesellschaft zur Förderung der socialen
Wissenschaften ausgesetzte Commission beauftragt: die Lage, Zwecke und Mittel
dieser "Iraäes-Venons" zu untersuchen und konnte nicht umhin, eine die Schäd¬
lichkeit weit überwiegende Nützlichkeit derselben anzuerkennen, ja fühlte sich ge¬
drungen, es auszusprechen: daß nichts so sehr schaden würde, als ein etwaiges
Verbot derselben.

Ueber diese "I'raach-HnioriL" schrieb man neuerdings aus London: "Ein
Schauder geht durch das Land. Man hört seit Tagen von nichts als den
entsetzlichen Enthüllungen von Sheffield sprechen. Diese Enthüllungen bewei¬
sen, welche Greuel, unerhört seit Menschengedenken, sich hinter der modernen
Civilisation verborgen halten und nur von Zeit zu Zeit durch die dünne Kruste
brechen, die den Flammenheerd böser Leidenschaften überwölbt und "Civilisation"
genannt wird. Mord ist da nicht mehr ein einzelner Mord, er ist enthüllt als
--"Sitte". Eine Arbeitertyrannei wird der Welt offengelegt, eine Vehme
der brutalsten Art, ohne jede auch die geringste psychologische Erklärung,
als die einer völligen Gewissensfälschung und eines Egoismus, der in ein
System gebracht ist. Jede Zeile in den langen stenographischen Berichten über
die Verhöre spricht Schrecken, jeder Satz aus dem Munde des Hauptzeugen ist
eine Apotheose "Kains". Robespierre hat seinen Partner im neunzehnten Jahr¬
hundert gesunden; "Broadhead" ist es, der wie jener von dem Kummer spricht,
den es ihm verursacht, wenn er einen Bravo gedungen, um diesen oder jenen
Arbeiter aus der Welt zu schaffen, falls ein solcher sich den Gesetzen des Ge¬
werbevereins "IraüoIImoir" nicht fügte; der im Verhör unter Thränen ver¬
sicherte, wie wehe es ihm gethan, diesen und jenen zu dingen, um seit Jahren
die Häuser unfolgsamer Arbeiter mit Pulver in die Luft zu sprengen, nament¬
lich, wenn deren Familien mit darin gewohnt. Aber er habe das als Secretär
des Vereins für nothwendig gehalten, um die Kasse vor Verlusten zu bewahren
und den Vereinsgesetzen unbedingten Gehorsam zu sichern. In diesem Manne
culminirt der Arbeiterterrorismus; er hat so gehandelt mit stillschweigender
Genehmigung des leitenden Comites und hat die Blutgelder regelmäßig gebucht
als "geheime Dienstausgaben".

Nur einer der Morde wurde bekannt, dessen Werkzeug statt des Anstifters
nun in Untersuchung ist. Broadhead, der Zahlmeister, bleibt auf freiem Fuße,
er ist "Zeuge" und hat erklärt, alle Aufklärungen geben zu wollen, wenn die


regeln die Zahl der Lehrlinge in einem Gewerbe, um schädlichen Ueberfül¬
lungen vorzubeugen. Sie unterstützen Arbeiter in Fällen des Conflictes mit
Arbeitgebern. Sie regeln die Stunden der Arbeitszeit und der sonstigen Usancen
des Gewerbes. Einzelne Vereine verfolgen hierneben auch noch die allgemeine
und^ gewerbliche Ausbildung ihrer Angehörigen. Sie haben Gesellschaften zu
gegenseitiger Versicherung ihrer Werkzeuge gebildet. Vor mehren Jahren wurde
eine von der berühmten britischen Gesellschaft zur Förderung der socialen
Wissenschaften ausgesetzte Commission beauftragt: die Lage, Zwecke und Mittel
dieser „Iraäes-Venons" zu untersuchen und konnte nicht umhin, eine die Schäd¬
lichkeit weit überwiegende Nützlichkeit derselben anzuerkennen, ja fühlte sich ge¬
drungen, es auszusprechen: daß nichts so sehr schaden würde, als ein etwaiges
Verbot derselben.

Ueber diese „I'raach-HnioriL" schrieb man neuerdings aus London: „Ein
Schauder geht durch das Land. Man hört seit Tagen von nichts als den
entsetzlichen Enthüllungen von Sheffield sprechen. Diese Enthüllungen bewei¬
sen, welche Greuel, unerhört seit Menschengedenken, sich hinter der modernen
Civilisation verborgen halten und nur von Zeit zu Zeit durch die dünne Kruste
brechen, die den Flammenheerd böser Leidenschaften überwölbt und „Civilisation"
genannt wird. Mord ist da nicht mehr ein einzelner Mord, er ist enthüllt als
--„Sitte". Eine Arbeitertyrannei wird der Welt offengelegt, eine Vehme
der brutalsten Art, ohne jede auch die geringste psychologische Erklärung,
als die einer völligen Gewissensfälschung und eines Egoismus, der in ein
System gebracht ist. Jede Zeile in den langen stenographischen Berichten über
die Verhöre spricht Schrecken, jeder Satz aus dem Munde des Hauptzeugen ist
eine Apotheose „Kains". Robespierre hat seinen Partner im neunzehnten Jahr¬
hundert gesunden; „Broadhead" ist es, der wie jener von dem Kummer spricht,
den es ihm verursacht, wenn er einen Bravo gedungen, um diesen oder jenen
Arbeiter aus der Welt zu schaffen, falls ein solcher sich den Gesetzen des Ge¬
werbevereins „IraüoIImoir" nicht fügte; der im Verhör unter Thränen ver¬
sicherte, wie wehe es ihm gethan, diesen und jenen zu dingen, um seit Jahren
die Häuser unfolgsamer Arbeiter mit Pulver in die Luft zu sprengen, nament¬
lich, wenn deren Familien mit darin gewohnt. Aber er habe das als Secretär
des Vereins für nothwendig gehalten, um die Kasse vor Verlusten zu bewahren
und den Vereinsgesetzen unbedingten Gehorsam zu sichern. In diesem Manne
culminirt der Arbeiterterrorismus; er hat so gehandelt mit stillschweigender
Genehmigung des leitenden Comites und hat die Blutgelder regelmäßig gebucht
als „geheime Dienstausgaben".

Nur einer der Morde wurde bekannt, dessen Werkzeug statt des Anstifters
nun in Untersuchung ist. Broadhead, der Zahlmeister, bleibt auf freiem Fuße,
er ist „Zeuge" und hat erklärt, alle Aufklärungen geben zu wollen, wenn die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/460>, abgerufen am 15.01.2025.