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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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tollen Hund an seinem Schreibpult vor den Kopf schösse---- Sie kennen
die liebenswürdige Laune des Alten, der selbst in seinen heftigsten Aufwallungen
humoristisch bleibt: ich darf Ihnen also die Scene nicht weiter ausmahlen. --

Können Sie nicht erfahren lieber Merkel, von wem in den Jahrbüchern
der preußischen Monarchie die Briefe einer Dame über Berlin sind? -- Böttiger
meint, es sey wirtlich eine Dame, ich nicht. Sie spricht ja von Puffendvrs,
von hübschen Unterosficieren u. s. w. Eben so wünsche ich wohl in Erfahrung
zu bringen, wer denn eigentlich die kritischen Mitarbeiter am Archiv der Zeit
und ihres Geschmackes sind: denn wir werden uns hoffentlich noch naher kennen
lernen. -- Wir wollen es gegenseitig mit unseren Schriften so machen, wie im
Eagliostro, wo einer dem andern statt des Duells vorschlägt, giftige Pillen
niederzuschlucken, und wo der gewonnen hat, der am längsten aushält. --

Was sagt man in Berlin zu dem Schillersche" Stück, dem Wallenstein?
Ich mag Ihrem Urtheil durch das meinige nicht vorgreifen: nur erbitte ich
mir auf folgende Fragen Antwort. 1) Bleibt das Schillersche nicht immer und
ewig trotz des schön klingenden Namens von Tetralogie ein Stück zu 10 Acten?
denn in den griechischen Stücken war jedes ein in sich geschlossenes Ganzes.
2) Kann ein Held, der immer mit der Nase im Astrolav steck!, von zwey seiner
Subalternen an Klugheit und Menschenkenntniß übertroffen wird, und sich zu¬
letzt in seinen Beschlüssen durch ein Weib bestimmen läßt, meine Bewunderung
verdienen? Ich höre zwar von seiner Größe, aber ich sehe sie nicht. 3) Gehört
die Sprache aus den drey neusten Schillerschen Almanachen in den 30jährigen
Krieg? und zerstört der Dichter durch seine oft sehr schönen und glänzenden
Sentiments, die aber ganz aus der Zeit fallen, nicht alle Individualität der
Charactere? 4) Ist die ganze Handlung nicht viel zu gering, um sie zu 10 Acten
auszudehnen, und fatti Ihnen dabey nicht das Goldblättchen ein, das man so
breit schlagen kann, daß 20000 Reiter darauf Platz habe"? Ich könnte die
Fragen noch ins Unendliche vervielfältigen: aber die Zeit ist zu kurz. Erlauben
Sie mir aber nur noch eine hinzuzufügen, die mich aber mehr ais alle vorher¬
gehenden interessirt: Wann kommen Sie denn wirklich nach Weimar zurück?
Ganz ihr


Falk.
IV. C. F. Cramer an Merkel.
10.

Amsterdam, 16. Febr. 1806.

Ich kenne Sie zwar nicht persönlich, Geehrtester, (denn ich kann ein flüch¬
tiges Sehen vor etwa 6 Jahren in Leipzig, zur Ostermesse, da ich noch
keine Zeile von Ihnen gelesen hatte, nicht kennen nennen) und weis nicht ob
ich von Ihnen gekannt bin -- allein ich habe Sie nachher sehr viel, darf ich
lagen, kennen gelernt; denn ich habe Ihre Schrift zum Besten der Letten gelesen


tollen Hund an seinem Schreibpult vor den Kopf schösse--— Sie kennen
die liebenswürdige Laune des Alten, der selbst in seinen heftigsten Aufwallungen
humoristisch bleibt: ich darf Ihnen also die Scene nicht weiter ausmahlen. —

Können Sie nicht erfahren lieber Merkel, von wem in den Jahrbüchern
der preußischen Monarchie die Briefe einer Dame über Berlin sind? — Böttiger
meint, es sey wirtlich eine Dame, ich nicht. Sie spricht ja von Puffendvrs,
von hübschen Unterosficieren u. s. w. Eben so wünsche ich wohl in Erfahrung
zu bringen, wer denn eigentlich die kritischen Mitarbeiter am Archiv der Zeit
und ihres Geschmackes sind: denn wir werden uns hoffentlich noch naher kennen
lernen. — Wir wollen es gegenseitig mit unseren Schriften so machen, wie im
Eagliostro, wo einer dem andern statt des Duells vorschlägt, giftige Pillen
niederzuschlucken, und wo der gewonnen hat, der am längsten aushält. —

Was sagt man in Berlin zu dem Schillersche» Stück, dem Wallenstein?
Ich mag Ihrem Urtheil durch das meinige nicht vorgreifen: nur erbitte ich
mir auf folgende Fragen Antwort. 1) Bleibt das Schillersche nicht immer und
ewig trotz des schön klingenden Namens von Tetralogie ein Stück zu 10 Acten?
denn in den griechischen Stücken war jedes ein in sich geschlossenes Ganzes.
2) Kann ein Held, der immer mit der Nase im Astrolav steck!, von zwey seiner
Subalternen an Klugheit und Menschenkenntniß übertroffen wird, und sich zu¬
letzt in seinen Beschlüssen durch ein Weib bestimmen läßt, meine Bewunderung
verdienen? Ich höre zwar von seiner Größe, aber ich sehe sie nicht. 3) Gehört
die Sprache aus den drey neusten Schillerschen Almanachen in den 30jährigen
Krieg? und zerstört der Dichter durch seine oft sehr schönen und glänzenden
Sentiments, die aber ganz aus der Zeit fallen, nicht alle Individualität der
Charactere? 4) Ist die ganze Handlung nicht viel zu gering, um sie zu 10 Acten
auszudehnen, und fatti Ihnen dabey nicht das Goldblättchen ein, das man so
breit schlagen kann, daß 20000 Reiter darauf Platz habe»? Ich könnte die
Fragen noch ins Unendliche vervielfältigen: aber die Zeit ist zu kurz. Erlauben
Sie mir aber nur noch eine hinzuzufügen, die mich aber mehr ais alle vorher¬
gehenden interessirt: Wann kommen Sie denn wirklich nach Weimar zurück?
Ganz ihr


Falk.
IV. C. F. Cramer an Merkel.
10.

Amsterdam, 16. Febr. 1806.

Ich kenne Sie zwar nicht persönlich, Geehrtester, (denn ich kann ein flüch¬
tiges Sehen vor etwa 6 Jahren in Leipzig, zur Ostermesse, da ich noch
keine Zeile von Ihnen gelesen hatte, nicht kennen nennen) und weis nicht ob
ich von Ihnen gekannt bin — allein ich habe Sie nachher sehr viel, darf ich
lagen, kennen gelernt; denn ich habe Ihre Schrift zum Besten der Letten gelesen


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[0447] tollen Hund an seinem Schreibpult vor den Kopf schösse--— Sie kennen die liebenswürdige Laune des Alten, der selbst in seinen heftigsten Aufwallungen humoristisch bleibt: ich darf Ihnen also die Scene nicht weiter ausmahlen. — Können Sie nicht erfahren lieber Merkel, von wem in den Jahrbüchern der preußischen Monarchie die Briefe einer Dame über Berlin sind? — Böttiger meint, es sey wirtlich eine Dame, ich nicht. Sie spricht ja von Puffendvrs, von hübschen Unterosficieren u. s. w. Eben so wünsche ich wohl in Erfahrung zu bringen, wer denn eigentlich die kritischen Mitarbeiter am Archiv der Zeit und ihres Geschmackes sind: denn wir werden uns hoffentlich noch naher kennen lernen. — Wir wollen es gegenseitig mit unseren Schriften so machen, wie im Eagliostro, wo einer dem andern statt des Duells vorschlägt, giftige Pillen niederzuschlucken, und wo der gewonnen hat, der am längsten aushält. — Was sagt man in Berlin zu dem Schillersche» Stück, dem Wallenstein? Ich mag Ihrem Urtheil durch das meinige nicht vorgreifen: nur erbitte ich mir auf folgende Fragen Antwort. 1) Bleibt das Schillersche nicht immer und ewig trotz des schön klingenden Namens von Tetralogie ein Stück zu 10 Acten? denn in den griechischen Stücken war jedes ein in sich geschlossenes Ganzes. 2) Kann ein Held, der immer mit der Nase im Astrolav steck!, von zwey seiner Subalternen an Klugheit und Menschenkenntniß übertroffen wird, und sich zu¬ letzt in seinen Beschlüssen durch ein Weib bestimmen läßt, meine Bewunderung verdienen? Ich höre zwar von seiner Größe, aber ich sehe sie nicht. 3) Gehört die Sprache aus den drey neusten Schillerschen Almanachen in den 30jährigen Krieg? und zerstört der Dichter durch seine oft sehr schönen und glänzenden Sentiments, die aber ganz aus der Zeit fallen, nicht alle Individualität der Charactere? 4) Ist die ganze Handlung nicht viel zu gering, um sie zu 10 Acten auszudehnen, und fatti Ihnen dabey nicht das Goldblättchen ein, das man so breit schlagen kann, daß 20000 Reiter darauf Platz habe»? Ich könnte die Fragen noch ins Unendliche vervielfältigen: aber die Zeit ist zu kurz. Erlauben Sie mir aber nur noch eine hinzuzufügen, die mich aber mehr ais alle vorher¬ gehenden interessirt: Wann kommen Sie denn wirklich nach Weimar zurück? Ganz ihr Falk. IV. C. F. Cramer an Merkel. 10. Amsterdam, 16. Febr. 1806. Ich kenne Sie zwar nicht persönlich, Geehrtester, (denn ich kann ein flüch¬ tiges Sehen vor etwa 6 Jahren in Leipzig, zur Ostermesse, da ich noch keine Zeile von Ihnen gelesen hatte, nicht kennen nennen) und weis nicht ob ich von Ihnen gekannt bin — allein ich habe Sie nachher sehr viel, darf ich lagen, kennen gelernt; denn ich habe Ihre Schrift zum Besten der Letten gelesen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/447>, abgerufen am 15.01.2025.