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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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aber kann nach der Lage der Verhältnisse niemals gegen Preußen abgegeben
werden.

So haben denn die Verhandlungen nicht zur Einverleibung, sondern zu
einem Accesfionsvertrage geführt.

Derselbe war noch nicht zum Abschluß gelangt, sondern zunächst nur in
Punctationen aufgesetzt, als der waldecksche Landtag zur Beschlußfassung über
die Bundesverfassung zusammenberufen wurde. Bekanntlich hatten die Regie¬
rungen verabredet, daß letztere am 1. Juli in Kraft treten sollte. Dennoch
wurde der Landtag erst am 11. Juni eröffnet. Es wurden ihm die Bundes¬
verfassung und der Entwurf des Accessionsvertrages zugleich vorgelegt, offenbar,
um durch letzteren die Annahme der ersteren überhaupt möglich zu machen.
Nach wenigen Sitzungen (am 18. Juni) einigte man sich dahin, die Regierung
an der Erfüllung ihrer Verpflichtung, die Verfassung vor dem 1. Juli zu publiciren,
nicht zu behindern. Man nahm die Verfassung an. fügte dieser Annahme aber
die Bedingung hinzu, daß binnen Jahresfrist ein Vertrag mit Preußen zum
Abschluß gelange, welcher entweder die Einverleibung bewirke, oder, wenn dies
nicht thunlich sein sollte, anderweitige, zur Abwendung der Ueberbürdung der
diesseitigen Staatsangehörigen dienende Einrichtungen schaffe. -- Den Entwurf
der Accession, wie er vorgelegt worden, hatte also der Landtag nicht gebilligt,
aber durch Annahme der Verfassung, wenn auch nominell nur für ein Jahr,
die wirksamste Waffe, für das Land günstigere Bestimmungen zu erwirken, aus
den Händen gegeben. Und dann bedenke man dieUngeheuerlichkeit, ein Neichsgrund-
gesetz unter einer Nesolutivbedingung auf ein Jahr anzunehmen, also alle auf Grund
desselben innerhalb dieses Jahres getroffenen Einrichtungen in Frage stellen zu wollen,
und zwar nicht etwa blos für Waldeck, nein, für Deutschland! Denn, käme
ein dem waldeckschen Landtage annehmbar erscheinender Vertrag mit Preußen
binnen Jahresfrist nicht zu Stande, so würde, wegen der rückwirkenden Kraft
der Resolutivbestimmung. eine giltige Zustimmung des Fürstentums Waldeck
zur Bundesverfassung als nicht erfolgt angenommen werden müssen, und weil
zum Zustandekommen der letzteren die Einwilligung aller pactireuden Staaten
erforderlich war, so würde die Verfassung des norddeutschen Bundes mit alle"
darauf gebauten Einrichtungen rechtlich hinfällig, also wieder einmal die Hoff¬
nung auf die deutsche Einheit zu Schanden gemacht worden sein. Wahrlich,
der Urheber jenes Antrags. Finanzrath a. D. Cuntze, wäre würdig. von der
vereinigten Cohorte querköpfiger Demokraten und großdeutscher Particularisten durch
ein Monument nero perennius geehrt zu werden! In Wahrheit aber hat es niemals
eine einfachere Stellung gegeben, als die des waldeckschen Landtages gegenüber
der Bundesverfassung. Es lag auf der Hand: die Verfassung, so wie sie war.
stellte an Waldeck schlechthin unerfüllbare Anforderungen; war die Regierung
nicht im Stande, die gegründeten Besorgnisse in bündigster Form zu bern-
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aber kann nach der Lage der Verhältnisse niemals gegen Preußen abgegeben
werden.

So haben denn die Verhandlungen nicht zur Einverleibung, sondern zu
einem Accesfionsvertrage geführt.

Derselbe war noch nicht zum Abschluß gelangt, sondern zunächst nur in
Punctationen aufgesetzt, als der waldecksche Landtag zur Beschlußfassung über
die Bundesverfassung zusammenberufen wurde. Bekanntlich hatten die Regie¬
rungen verabredet, daß letztere am 1. Juli in Kraft treten sollte. Dennoch
wurde der Landtag erst am 11. Juni eröffnet. Es wurden ihm die Bundes¬
verfassung und der Entwurf des Accessionsvertrages zugleich vorgelegt, offenbar,
um durch letzteren die Annahme der ersteren überhaupt möglich zu machen.
Nach wenigen Sitzungen (am 18. Juni) einigte man sich dahin, die Regierung
an der Erfüllung ihrer Verpflichtung, die Verfassung vor dem 1. Juli zu publiciren,
nicht zu behindern. Man nahm die Verfassung an. fügte dieser Annahme aber
die Bedingung hinzu, daß binnen Jahresfrist ein Vertrag mit Preußen zum
Abschluß gelange, welcher entweder die Einverleibung bewirke, oder, wenn dies
nicht thunlich sein sollte, anderweitige, zur Abwendung der Ueberbürdung der
diesseitigen Staatsangehörigen dienende Einrichtungen schaffe. — Den Entwurf
der Accession, wie er vorgelegt worden, hatte also der Landtag nicht gebilligt,
aber durch Annahme der Verfassung, wenn auch nominell nur für ein Jahr,
die wirksamste Waffe, für das Land günstigere Bestimmungen zu erwirken, aus
den Händen gegeben. Und dann bedenke man dieUngeheuerlichkeit, ein Neichsgrund-
gesetz unter einer Nesolutivbedingung auf ein Jahr anzunehmen, also alle auf Grund
desselben innerhalb dieses Jahres getroffenen Einrichtungen in Frage stellen zu wollen,
und zwar nicht etwa blos für Waldeck, nein, für Deutschland! Denn, käme
ein dem waldeckschen Landtage annehmbar erscheinender Vertrag mit Preußen
binnen Jahresfrist nicht zu Stande, so würde, wegen der rückwirkenden Kraft
der Resolutivbestimmung. eine giltige Zustimmung des Fürstentums Waldeck
zur Bundesverfassung als nicht erfolgt angenommen werden müssen, und weil
zum Zustandekommen der letzteren die Einwilligung aller pactireuden Staaten
erforderlich war, so würde die Verfassung des norddeutschen Bundes mit alle»
darauf gebauten Einrichtungen rechtlich hinfällig, also wieder einmal die Hoff¬
nung auf die deutsche Einheit zu Schanden gemacht worden sein. Wahrlich,
der Urheber jenes Antrags. Finanzrath a. D. Cuntze, wäre würdig. von der
vereinigten Cohorte querköpfiger Demokraten und großdeutscher Particularisten durch
ein Monument nero perennius geehrt zu werden! In Wahrheit aber hat es niemals
eine einfachere Stellung gegeben, als die des waldeckschen Landtages gegenüber
der Bundesverfassung. Es lag auf der Hand: die Verfassung, so wie sie war.
stellte an Waldeck schlechthin unerfüllbare Anforderungen; war die Regierung
nicht im Stande, die gegründeten Besorgnisse in bündigster Form zu bern-
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/413>, abgerufen am 15.01.2025.