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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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und des "waghalsig kühnen bismarckschen Unternehmens" als vollständig zwei¬
felhaft geworden bezeichnet werden. predigt das moskauer Blatt starres
Festhalten an der nationalen Politik Rußlands, denn nur diese vermöge dem
Staat bei den bevorstehenden Verwicklungen des Westens Vortheile zu erringen.
Bei der Furcht vor preußischer Präponderanz an der Ostsee, welche zu den
Hauptmerkmalen der Politik des moskauer Publicisten gehört, und dem regen
Mitgefühl, das derselbe für die in ilner Selbständigkeit gefährdeten süd- und
mitteldeutschen Stämme hat, kann nicht zweifelhaft sein, daß eine Förderung
der deutschen Hegemonie Preußens nicht im Katechismus der russischen National¬
partei steht. Von Sympathien des preußischen Volks mit dem östlichen Nach¬
bar ist gleichfalls wenig zu spüren gewesen.

Aus dem Gebiet des inneren Völkerlebens ist während der Augustwochen
mancherlei vorgegangen, was in anderen Zeiten Theilnahme und Interesse ge¬
nug geweckt hätte: die englische Reformbill hat die letzten legislatorischen Stadien
passirt und ist zum Gesetz erhoben worden, die Erwartungen, welche sich in
Frankreich herkömmlicherweise an den 16. August knüpften, sind mit dem Ver¬
sprechen erhöhter Sorgfalt für die Vicinalwege abgespeist worden, in Spanien
tobt ein neuer Aufstand, die Rückkehr des Sultan nach Konstantinopel hat die
Hoffnungen für die Erhaltung der Türkei neu gekräftigt und die Pfordte zu einer
ziemlich entschiedenen Ablehnung der Vorschläge bezüglich Candias ermuthigt, in Ru߬
land ist die vollständige Loslösung der römisch-katholischen Diöcesen dieses Staats
von der Curie, die Verlegung der polnisch-katholischen Kirchenbehörden nach Peters¬
burg angeordnet, eine Umgestaltung des Zolltarifs in Aussicht genommen und der
Bund mit der nordamerikanischen Union bei Gelegenheit des Besuchs, den
Admiral Farragut der russischen Hauptstadt abgestattet, neu besiegelt worden,
die kaiserliche Negierung hat endlich die im Februar d. I. constitutioneller Ge¬
lüste wegen suspendirten Petersburger Provinzialstände rehabilitirt, -- in Däne¬
mark haben imperialistische Franzosen und demokratische Dänen gemeinsam für
die Wiederherstellung des eiderdänischen Regiments in Schleswig geschwärmt --
wer aber hätte in dem gegenwärtigen Stadium deutschen Lebens, wo es sich um
die Behauptung der Errungenschaften des vorigen Jahres, um die Wahl
der Werkleute handelt, von welchen das Gebäude unserer staatlichen Existenz
weiter geführt werden soll -- wer hätte da Zeit und Neigung, Dingen nach¬
zugehen, die zu uns und unserer Zukunft nur eine entfernte und indirecte Be¬
ziehung haben? Von dem Gesichtspunkt ihrer Bedeutung für Deutschland und
die deutschen Dinge verdienen von all den Vorgängen im Auslande, welche in
die letzten Wochen fallen, die bisher resultatlos gebliebenen Verhandlungen
zwischen den Ministern des cisleithanischen Oestreich und denen Ungarns die meiste
Aufmerksamkeit, denn bei der Entscheidung über die künftige auswärtige Politik
Franz Josephs werden sie sicher eine große Rolle spielen. Und nicht bei diesen


und des „waghalsig kühnen bismarckschen Unternehmens" als vollständig zwei¬
felhaft geworden bezeichnet werden. predigt das moskauer Blatt starres
Festhalten an der nationalen Politik Rußlands, denn nur diese vermöge dem
Staat bei den bevorstehenden Verwicklungen des Westens Vortheile zu erringen.
Bei der Furcht vor preußischer Präponderanz an der Ostsee, welche zu den
Hauptmerkmalen der Politik des moskauer Publicisten gehört, und dem regen
Mitgefühl, das derselbe für die in ilner Selbständigkeit gefährdeten süd- und
mitteldeutschen Stämme hat, kann nicht zweifelhaft sein, daß eine Förderung
der deutschen Hegemonie Preußens nicht im Katechismus der russischen National¬
partei steht. Von Sympathien des preußischen Volks mit dem östlichen Nach¬
bar ist gleichfalls wenig zu spüren gewesen.

Aus dem Gebiet des inneren Völkerlebens ist während der Augustwochen
mancherlei vorgegangen, was in anderen Zeiten Theilnahme und Interesse ge¬
nug geweckt hätte: die englische Reformbill hat die letzten legislatorischen Stadien
passirt und ist zum Gesetz erhoben worden, die Erwartungen, welche sich in
Frankreich herkömmlicherweise an den 16. August knüpften, sind mit dem Ver¬
sprechen erhöhter Sorgfalt für die Vicinalwege abgespeist worden, in Spanien
tobt ein neuer Aufstand, die Rückkehr des Sultan nach Konstantinopel hat die
Hoffnungen für die Erhaltung der Türkei neu gekräftigt und die Pfordte zu einer
ziemlich entschiedenen Ablehnung der Vorschläge bezüglich Candias ermuthigt, in Ru߬
land ist die vollständige Loslösung der römisch-katholischen Diöcesen dieses Staats
von der Curie, die Verlegung der polnisch-katholischen Kirchenbehörden nach Peters¬
burg angeordnet, eine Umgestaltung des Zolltarifs in Aussicht genommen und der
Bund mit der nordamerikanischen Union bei Gelegenheit des Besuchs, den
Admiral Farragut der russischen Hauptstadt abgestattet, neu besiegelt worden,
die kaiserliche Negierung hat endlich die im Februar d. I. constitutioneller Ge¬
lüste wegen suspendirten Petersburger Provinzialstände rehabilitirt, — in Däne¬
mark haben imperialistische Franzosen und demokratische Dänen gemeinsam für
die Wiederherstellung des eiderdänischen Regiments in Schleswig geschwärmt —
wer aber hätte in dem gegenwärtigen Stadium deutschen Lebens, wo es sich um
die Behauptung der Errungenschaften des vorigen Jahres, um die Wahl
der Werkleute handelt, von welchen das Gebäude unserer staatlichen Existenz
weiter geführt werden soll — wer hätte da Zeit und Neigung, Dingen nach¬
zugehen, die zu uns und unserer Zukunft nur eine entfernte und indirecte Be¬
ziehung haben? Von dem Gesichtspunkt ihrer Bedeutung für Deutschland und
die deutschen Dinge verdienen von all den Vorgängen im Auslande, welche in
die letzten Wochen fallen, die bisher resultatlos gebliebenen Verhandlungen
zwischen den Ministern des cisleithanischen Oestreich und denen Ungarns die meiste
Aufmerksamkeit, denn bei der Entscheidung über die künftige auswärtige Politik
Franz Josephs werden sie sicher eine große Rolle spielen. Und nicht bei diesen


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[0409] und des „waghalsig kühnen bismarckschen Unternehmens" als vollständig zwei¬ felhaft geworden bezeichnet werden. predigt das moskauer Blatt starres Festhalten an der nationalen Politik Rußlands, denn nur diese vermöge dem Staat bei den bevorstehenden Verwicklungen des Westens Vortheile zu erringen. Bei der Furcht vor preußischer Präponderanz an der Ostsee, welche zu den Hauptmerkmalen der Politik des moskauer Publicisten gehört, und dem regen Mitgefühl, das derselbe für die in ilner Selbständigkeit gefährdeten süd- und mitteldeutschen Stämme hat, kann nicht zweifelhaft sein, daß eine Förderung der deutschen Hegemonie Preußens nicht im Katechismus der russischen National¬ partei steht. Von Sympathien des preußischen Volks mit dem östlichen Nach¬ bar ist gleichfalls wenig zu spüren gewesen. Aus dem Gebiet des inneren Völkerlebens ist während der Augustwochen mancherlei vorgegangen, was in anderen Zeiten Theilnahme und Interesse ge¬ nug geweckt hätte: die englische Reformbill hat die letzten legislatorischen Stadien passirt und ist zum Gesetz erhoben worden, die Erwartungen, welche sich in Frankreich herkömmlicherweise an den 16. August knüpften, sind mit dem Ver¬ sprechen erhöhter Sorgfalt für die Vicinalwege abgespeist worden, in Spanien tobt ein neuer Aufstand, die Rückkehr des Sultan nach Konstantinopel hat die Hoffnungen für die Erhaltung der Türkei neu gekräftigt und die Pfordte zu einer ziemlich entschiedenen Ablehnung der Vorschläge bezüglich Candias ermuthigt, in Ru߬ land ist die vollständige Loslösung der römisch-katholischen Diöcesen dieses Staats von der Curie, die Verlegung der polnisch-katholischen Kirchenbehörden nach Peters¬ burg angeordnet, eine Umgestaltung des Zolltarifs in Aussicht genommen und der Bund mit der nordamerikanischen Union bei Gelegenheit des Besuchs, den Admiral Farragut der russischen Hauptstadt abgestattet, neu besiegelt worden, die kaiserliche Negierung hat endlich die im Februar d. I. constitutioneller Ge¬ lüste wegen suspendirten Petersburger Provinzialstände rehabilitirt, — in Däne¬ mark haben imperialistische Franzosen und demokratische Dänen gemeinsam für die Wiederherstellung des eiderdänischen Regiments in Schleswig geschwärmt — wer aber hätte in dem gegenwärtigen Stadium deutschen Lebens, wo es sich um die Behauptung der Errungenschaften des vorigen Jahres, um die Wahl der Werkleute handelt, von welchen das Gebäude unserer staatlichen Existenz weiter geführt werden soll — wer hätte da Zeit und Neigung, Dingen nach¬ zugehen, die zu uns und unserer Zukunft nur eine entfernte und indirecte Be¬ ziehung haben? Von dem Gesichtspunkt ihrer Bedeutung für Deutschland und die deutschen Dinge verdienen von all den Vorgängen im Auslande, welche in die letzten Wochen fallen, die bisher resultatlos gebliebenen Verhandlungen zwischen den Ministern des cisleithanischen Oestreich und denen Ungarns die meiste Aufmerksamkeit, denn bei der Entscheidung über die künftige auswärtige Politik Franz Josephs werden sie sicher eine große Rolle spielen. Und nicht bei diesen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/409>, abgerufen am 15.01.2025.